Zurück in die Barbarei?

Ein Beitrag von Udo Hahn für die Sendung “Zum Sonntag” des BR2. Sendetermin: 23. Juni 2018 / 17.55 Uhr. Wer nachhören möchte, findet die Aufzeichnung der Sendung hier.

Müttern ihre Kinder zu entreißen – es ist kaum Schrecklicheres vorstellbar. An der Grenze zwischen Mexiko und den USA geschieht gerade genau dies. Die US-amerikanischen Behörden lassen Kinder von ihren Eltern trennen, wenn diese illegal die Grenze überschritten haben. Zwischen Mitte April und Ende Mai hat dieses Schicksal bereits 2.000 Kinder getroffen. Der Menschenrechtskommissar der Vereinten Nationen hat die Trump-Regierung aufgefordert, diese skrupellose Praxis zu beenden. In Melania Trump, der First Lady im Weißen Haus, hat er eine Mitstreiterin gefunden. Ihre Sprecherin sagte kürzlich: „Frau Trump hasst es zu sehen, wie Kinder von ihrer Familie getrennt werden.“ Ihr Mann scheint zu diesem Mitleid nicht fähig. Vielmehr ziehen sich die USA aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen jetzt endgültig zurück.

„Barbarisch“ – auch mir fällt im Zusammenhang des gerade geschilderten Vorgehens der amerikanischen Grenzbehörden kein anderes Wort ein. Das gilt auch im Blick auf das Drama um das Rettungsschiff Aquarius, dem der Innenminister Italiens verbot, einen Hafen des Landes anzusteuern. In Seenot geratene Menschen abzuweisen – für manche ein weiteres Indiz, wie zivilisatorische Errungenschaften derzeit im wahrsten Sinne des Wortes über Bord geworfen werden.

„Barbarisch“ ist in unserer Sprache ein Synonym für herzlos, unmenschlich, gefühllos, gnadenlos, inhuman, brutal, unbarmherzig. Das Wort „barbarisch“ stammt ursprünglich aus dem antiken Griechenland und wurde zur Bezeichnung jener Völker verwendet, die nicht griechisch sprachen. Zum Beispiel die alten Römer. Diese waren es dann, die den Begriff übernahmen und all jene Völker charakterisierten, die nicht nach den griechischen oder römischen Bräuchen lebten. Heute kennzeichnen wir feindliche Angriffe auf zivilisierte Kulturen als „barbarisch“ – zum Beispiel Terroranschläge oder die Sprengung kulturhistorisch wertvoller Güter durch den so genannten Islamischen Staat.

Barbaren – das waren aus der Perspektive all jener Länder, die sich dem Humanismus und der Aufklärung verpflichtet sehen – bislang stets die anderen. Wer die aktuellen Entwicklungen beobachtet, dürfte die Warnung nicht für übertrieben halten, dass wir gerade auch in der westlichen Welt darauf achten müssen, zivilisatorische Fortschritte nicht zu verlieren.

Was verloren zu gehen scheint, lässt sich auch mit Begriffen wie Respekt, Rücksicht und Zurückhaltung beschreiben. Enrico Brissa spricht von der „Trias guter Manieren“. Sie ist für ihn die entscheidende Voraussetzung für weltläufiges Benehmen. Brissa diente den Bundespräsidenten Wulff und Gauck als Protokollchef und leitet heute das Protokoll beim Deutschen Bundestag. Er hat gerade unter dem Titel „Auf dem Parkett“ ein „Kleines Handbuch des weltläufigen Benehmens“ veröffentlicht. 150 Stichworte – von A wie Abendland bis Z wie Zurückhaltung. Er will das Bewusstsein für Umgangsformen wecken. Antiquierte Vorstellungen von Benimm will er dabei nicht wiederbeleben, vielmehr ein achtsames Miteinander fördern. Das ist auch dringend nötig. Denn immer mehr Menschen sind verunsichert, was die Formen und Regeln des Umgangs, die Gebräuche und Rituale menschlichen Benehmens angeht. Diese sind oft nicht mehr präsent. Dabei geht es nicht nur um Stilfragen, sondern um Haltung. Auch da ist Donald Trump ein Paradebeispiel mit seiner Rücksichtslosigkeit im Großen wie im Kleinen. Für beide Zielgruppen, für die Verunsicherten und die Rücksichtslosen hat Brissa sein Handbuch geschrieben. Prädikat „lesenswert“.

Eigentlich ist alles ganz einfach und seit Aristoteles hinlänglich bekannt. Er hat den Terminus „Mitte“ in die Ethik eingeführt – die Tugend, auf die es ankommt und die Menschen vor den Extremen bewahren soll. Also: Freigiebigkeit ist die Mitte zwischen Geiz und Verschwendung. Oder: Toleranz – der Kurs zwischen Intoleranz und Ignoranz.

Man könnte sich auch an der „Goldenen Regel“ orientieren: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.“ Mit anderen Worten: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“ Wo dieses Bewusstsein fehlt, ist am Ende der Schritt in die Barbarei tatsächlich nicht weit.

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Willkommen im Juli! Kurz vor der Akademie-Sommerpause haben wir unser neues Jahresprogramm fertiggestellt, das in den nächsten Tagen verschickt wird. Online können Sie jetzt schon die Veranstaltungen ab September abrufen. Außerdem im Newsletter: Eindrücke aus unseren letzten Veranstaltungen, aus der Provenienzforschung und Gedanken von Direktor Udo Hahn über Evangelische Akademien als “anerkannte Orte des Vertrauens”.

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