Kampf gegen digitale Ungerechtigkeit

Was ist ethisches Handeln im digitalen Kontext und wie beeinflusst dieses die journalistische Arbeit? Wie kann digitale Bildungsgerechtigkeit geschaffen werden und sollte ein Schulfach „Medienkompetenz“ eingeführt werden? Diesen und weiteren Fragen stellte sich Medienethiker und Journalist Jonas Bedford-Strohm im Gespräch mit Joshua Steib, dem Jugendbotschafter der Akademie.

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Was bedeutet Ethik im digitalen Journalismus? Jonas Bedford-Strom, Medienethiker am Zentrum für Ethik der Medien und der Digitalen Gesellschaft, Gründer, Innovationsmanager und Journalist beim Bayerischen Rundfunk, ging auf das Beispiel der Künstlichen Intelligenz (KI) ein, um eine der ersten Fragen im RotundeTalk mit Joshua Steib zu beantworten. KI werde im Journalismus häufig dazu verwendet, um große Mengen an Daten zu sichten und Muster zu erkennen. So untersuchen häufig nicht mehr Menschen Datenstrukturen auf ihre Integrität hin, sondern KI-Technologien. Redaktionelle Einzelabnahmen seien vor allem bei großen Datenmengen nicht mehr üblich, so sagt er.

Doch welche Rolle spielen in diesen journalistischen Arbeitsprozessen ethische Richtlinien? Darauf antwortete Jonas Bedford-Strohm: „In vieler Hinsicht ändert sich der Zweck von Journalismus-Ethik überhaupt nicht. Aber die Anwendungsfelder verändern sich und dementsprechend muss man neue Lösungen finden, damit man die gleiche journalistische Integrität wahren kann.“ Die Frage, ob in der digitalen Welt andere Regeln als in der analogen gelten würden, hält Jonas Bedford- Strohm für nicht mehr zeitgemäß. Er bezweifelt, dass eine Trennung der beiden Welten überhaupt aufrechterhalten werden kann. Digitale Medien seien bereits stark in die analoge Welt integriert – beide Welten seien Dimensionen der gleichen Wirklichkeit. Digitale Kommunikation, aber auch Hatespeech seien, so Bedford-Strohm, für den Sender und Empfänger physische Realitäten und somit nicht mehr nur der analogen oder nur der digitalen Welt zuordenbar. Für diese Wirklichkeit gelte es ethische Vorstellungen zu diskutieren und zu entwerfen.

Diese Annahme bildet auch die Grundlage für die Frage nach der digitalen Bildungsgerechtigkeit. So sei es wenig überraschend, dass sich Ungerechtigkeiten sowohl in analogen als auch digitalen Formen niederschlagen und erlebbar sind. Es sei aber auch wichtig zu beachten, dass viele der neuen Technologien Ungerechtigkeiten bekämpfen würden. Jonas Bedford-Strohm nennt in diesem Zusammenhang die von Greta Thunberg initiierte Fridays for Future-Bewegung, durch welche Schülerinnen und Schüler auch online ihren Stimmen Gehör verschafften und umweltpolitisch wirkten. Außerdem hätten Jugendliche über digitale Medien einen Zugang zu großem Wissen und könnten so ihre Lehrkräfte „fact-checken“. Diese veränderten Dynamiken durch digitale Technologien könnten die Bildungslandschaft langfristig verändern und eröffneten neue Chancen in der Bildung.

Um aktuellen Defiziten in der Bildungsgerechtigkeit entgegenzuwirken, sollte nicht nur der Zugang zu den nötigen technischen Mitteln ermöglicht werden, sondern auch die dazugehörigen Strukturen aufgebaut werden. In seiner Schulzeit hätte sich Jonas Bedford-Strohm einen stärkeren Fokus auf Digitalkompetenzen gewünscht. Ein solches Lernangebot müsse, so sagt er, jedoch auch gut durchdacht sein. Lehrkräfte, welche sich weniger gut mit digitalen Medien und Technologien auskennen als ihre Schülerinnen und Schüler, könnten in reinen Frontalunterrichtsstunden diesem Bildungsauftrag nicht gerecht werden. Vielleicht könne man, so Jonas Bedford-Strohm, diese Pandemie-Situation als Chance wahrnehmen, um eine neue Form des Lernens auszuprobieren: intergenerationales Lernen. Die Lehrkräfte wären in diesem Szenario vor allem Koordinatorinnen und Anleiter, die mit ihrem pädagogischen Fachwissen zu einer dynamischen und gemeinschaftlichen Lernform beitragen. Die Inhalte und die Umsetzung würden von den Schülerinnen und Schülern kommen – und alle, sowohl Lehrerinnen als auch Schüler, könnten voneinander profitieren.

Angesprochen auf den Digital Divide zwischen Ländern des Globalen Südens und Ländern des Globalen Nordens kritisierte der Medienethiker, dass viel zu selten über den eigenen Tellerrand geschaut werden würde. Als Gründer und Vorstand des Vereins Wikwiheba war er bereits mehrere Male in Ruanda und konnte dort Teilschritte der digitalen Entwicklung des Landes miterleben. In den vergangenen sieben Jahren hätte, so Jonas Bedford-Strom, eine starke Entwicklung stattgefunden und mittlerweile sei die technische Infrastruktur in manchen Bereichen besser als in Deutschland. Als Beispiel für diese Feststellung nannte er den mobilen Internetempfang. In Ländern wie Ruanda finde aktuell eine Sprunginnovation statt, da manche Zwischenschritte der technischen Entwicklung, wie eine flächendeckende Verbreitung von Festnetztelefonen vor Ort nicht stattgefunden hätte. Dieser große Sprung komme mit einer starken Innovationskraft einher. Bankgeschäfte über das Handy abzuwickeln sei in Ruanda Alltag. Dies konnte er am eigenen Leib erfahren, als er vier Monate in Ruanda lebte. Auch im Bereich der digitalen Start-ups sei diese Innovationskraft zu spüren. Als Gründer verschiedener Start-ups sieht Jonas Bedford-Strom die Wichtigkeit und Stärke von Start-ups in ihrer Innovationskraft und der Möglichkeit, abseits von bereits bestehenden Strukturen, neue Strategien und Herangehensweisen zu entwickeln. Ein ruandisches Start-up eröffnete 2015 in Kooperation mit der ruandischen Regierung ein digitales Bürgerinnenportal welches verschiedene Bürgerservice-Angebote enthielt. Jonas Bedford-Strohm mahnt in diesem Zusammenhang: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht mit einer Arroganz rangehen, weil wir glauben, nur weil unsere Wirtschaftsleistung stark ist, sind wir besonders digital beeindruckend.“

Auf die aktuelle europäische Situation angesprochen, skizzierte Jonas Bedford-Strohm, dass die Corona-Pandemie eine große Herausforderung darstelle und sichtbar mache, dass alle europäischen Länder unmittelbar miteinander verwoben sind. Sobald innereuropäische Grenzen geschlossen werden, funktioniere die europäische Wirtschaft nicht mehr. Europa ist auf Vernetzung, Verbundenheit und Vielfalt aufgebaut und angewiesen. Jedoch sei die Vielfalt nicht nur das, was Europa ausmache, sondern auch das, was es so schwierig mache, gemeinsam Lösungen zu finden. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass dies eine große Herausforderung sei. Die einzelnen Akteurinnen und Akteure so zu koordinieren, dass gemeinsam Lösungen gefunden werden können, sei allein schon eine große Leistung. Eine weitere Herausforderung in der europäischen Zusammenarbeit sieht Jonas Bedford-Strohm in den unterschiedlichen Sprachen, da Diskurse und Austausch wichtig für eine funktionierende Demokratie seien. Aus diesem Grund begann er mit einem Team ein innereuropäisches Verlagsnetzwerk aufzubauen, das die nationalen Medienblasen, die entlang der verschiedenen Sprachen konstruiert sind, miteinander vernetzen soll. Teil dieser Arbeit ist auch der Aufbau einer Plattform, auf der Artikel aus ganz Europa in verschiedenen Sprachen publiziert werden. Dies sei nur aufgrund von Übersetzungstechnologien möglich. Künstliche Intelligenz soll in diesem Fall also zu einer verstärkten europäischen Gemeinschaft beitragen.

Pina Vetter & Julia Wunderlich

Das vollständige Interview auf dem YouTube-Kanal der Evangelischen Akademie Tutzing können Sie unter diesem Link ansehen.

Bild: Jonas Bedford-Strohm, Medienethiker am Zentrum für Ethik der Medien und der Digitalen Gesellschaft, Gründer, Innovationsmanager und Journalist beim Bayerischen Rundfunk
(Foto: ma/eat archiv)

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