was haben die Kathedrale Saint-Etienne von Bourges und die Kapelle im Schloss Tutzing gemeinsam? Ein Kirchenfenster, das die Kreuzigung Jesu zeigt. Ein Motiv mit einer besonderen Botschaft, die den im Neuen Testament wahrnehmbaren Antijudaismus ins Bild setzt.
Ich habe über die Ostertage den Besuch bei Freunden in Frankreich genutzt, um dieses gotische Meisterwerk aus dem 13. Jahrhundert – südlich der Loire – zu besuchen.
Ein großartiger Bau mit farbenprächtigen Fenstern! Wie kam das Motiv in die Kapelle des Schlosses? Einer der früheren Besitzer, der ungarische jüdische Kunstsammler Marczell von Nemes (Moses Klein), machte 1921 einen Rauchersalon zur Kapelle. Dort ließ er Kirchenfenster einbauen, die eine Münchner Manufaktur anfertigte. Dem Betrachter bietet sich eine Fülle von Motiven u.a. aus anderen Kathedralen – und eben das genannte aus Bourges.

Warum von Nemes es auswählte, ist unklar. Hat es mit seiner Konversion zur römisch-katholischen Kirche zu tun? Das bleibt Spekulation. Das Motiv ist kein Einzelfall in der Bildsprache vergangener Jahrhunderte. Seiner eindeutigen Aussage kann sich niemand entziehen: Christus wendet sich vom Judentum ab – und exklusiv der Kirche zu. Die Wirkung dieser Botschaft ist verheerend – bis heute.
Die christlichen Kirchen haben lange gebraucht, um sich neu zu positionieren.
In der Studie „Christen und Juden III“, die der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sich im Jahr 2000 zu eigen machte, wird als Konsens beschrieben, was jetzt gilt:

• Die Absage an den Antisemitismus
• Das Eingeständnis christlicher Mitverantwortung und Schuld am Holocaust
• Die Erkenntnis der unlösbaren Verbindung des christlichen Glaubens mit dem Judentum
• Die Anerkennung der bleibenden Erwählung Israels
• Die Bejahung des Staates Israel

Wer bei Tagungen in unserem Haus die Andachten und Gottesdienste in der Kapelle besucht, wird auch mit diesem Erbe konfrontiert. Für uns ist es Mahnung und Verpflichtung, in dem in der Studie beschriebenen Sinne zu wirken.
Das ist unsere gemeinsame Verantwortung.

Der Park der Akademie zeigt inzwischen seine ganze Frühlingspracht. Und auch in unserem Programm warten besondere Tagungen auf Sie.
Wir freuen uns, wenn wir Sie bei uns willkommen heißen dürfen!
Herzliche Grüße – vom gesamten Team der Evangelischen Akademie Tutzing
Ihr

Udo Hahn
Akademiedirektor

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