Grenzschutz oder Menschenrecht?

Zu wenig Transparenz, zu viel Macht, eine zweifelhafte Rhetorik sowie eine PR-Kampagne, die auf ein harmloses Erscheinungsbild setzt – und damit im harten Kontrast zur Wirklichkeit steht. Das sind einige der Kritikpunkte an Frontex, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache. Diese Thematik griff Akademiedirektor Udo Hahn mit Dietrich Krauß, einem der Autoren der ZDF-“Anstalt”, und Arne Semsrott, Journalist und Projektleiter von FragDenStaat in einer Online-Diskussion vom 9. Februar auf.

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Sprache ist ein Indiz – so auch im Fall von Geflüchteten, die versuchen, nach Europa zu kommen. Wie sprechen wir eigentlich über die Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen müssen und bei uns ein Leben in Sicherheit suchen? Mit dieser Frage leitete Akademiedirektor Udo Hahn die Online-Debatte “Die Anstalt – politische Satire im Schloss” am 9. Februar ein, die das Thema der ZDF-Sendung vom 1. Februar aufgriff (unter diesem Link abrufbar) und vertiefte.

Dass sich die Sprache verändert habe, darüber waren sich die Gesprächsgäste an diesem Abend einig. Der Journalist Arne Semsrott und der Autor Dr. Dietrich Krauß sehen unsere Rhetorik im Wandel. Während früher Begriffe wie “Flüchtlingsflut” gefallen seien, würden heute verstärkt militärische Ausdrücke benutzt, um über Migration zu sprechen.

Zu den Flüchtlingen, die im Diskurs entmenschlicht werden, kommt nun die Grenze hinzu, die sprachlich eine Vermenschlichung erlebt. So sei von “Grenzverletzung” oder “Grenzschutz” die Rede – als wäre die Grenze, ähnlich wie eine Person, verletzlich und schutzbedürftig, meint Arne Semsrott.

Dietrich Krauß beobachtet, dass dem sprachlichen Wandel eine Veränderung im Umgang mit asylsuchenden Menschen folge. Wenn Flüchtlinge als “Bedrohung” beschrieben und dargestellt werden, erscheint dadurch eine gewaltsame Reaktion berechtigt.

Als Beispiel führte Dietrich Krauß die aktuelle Situation an der polnischen Außengrenze zu Belarus an: Der belarussische Machthaber Lukaschenko nutze Geflüchtete für eigene Zwecke aus und werde in der öffentlichen Debatte im Westen für sein Verhalten angeprangert. Doch statt die Menschen an der Grenze aufzunehmen und damit das Verhalten Lukaschenkos zu kontrastieren, nehme die EU nicht nur verschiedenste Rechtsbrüche in Kauf, sondern helfe sogar dabei, diese zu legitimieren. Hier nennt er beispielsweise die Aushöhlung des Asylrechts, die Einschränkung der Pressefreiheit und die Erosion der Gerichtsbarkeit. Diese Reaktion sei kaum mit den Werten der EU vereinbar, werde aber im öffentlichen Diskurs als standhaft und solidarisch gepriesen, so Krauß weiter.

Darüber hinaus würden Rettungsmaßnahmen gezielt verhindert. “Auf dem Meer gehen die Menschenrechte unter”, hieß es in der “Anstalt”-Folge vom 1. Februar. Das geschehe nicht etwa, weil die EU wegsehe, sondern gerade, weil sie dabei zusehe, wie Menschenleben in Gefahr sind und aktiv dafür sorge, dass keiner hilft, so Dietrich Krauß. Arne Semsrott erwähnte in diesem Zusammenhang die Kriminalisierung der zivilen Seenotrettung mit teils fragwürdigen Mitteln. So hätten beispielsweise italienische Sicherheitskräfte die Initiative “Jugend Rettet” gezielt abgehört, um an Tonmaterial zu kommen, mit dem sich das Image der Organisation angreifen lasse.

Dennoch, erinnerte Udo Hahn, bliebe der Schutz der Außengrenzen ein legitimes Recht. Es stelle sich die Frage, wie man heute Grenzen so schützt, dass man sowohl dem Sicherheitsaspekt als auch den Menschenrechten gerecht wird.

Die Militarisierung des Grenzschutzes sei heute, im Gegensatz zu früher, die Norm, so Krauß daraufhin. Das Manko sieht er aktuell bei der Gewährleistung von Menschenrechten. Seit Jahrzehnten gebe es keine legalen Fluchtwege mehr, Geflüchtete hätten kaum mehr die Möglichkeit, nicht illegal in die EU zu kommen.

Daran anknüpfend drehte sich das Gespräch eingehend um Frontex, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache, die im Fokus der “Anstalt”-Folge stand. Finanziert durch den EU-Haushalt (also indirekt auch durch Deutschland) und ausgestattet mit immer weitreichenderen Kompetenzen werde Frontex zunehmend intransparent in ihren Praktiken, so Arne Semsrott. Er ist nicht nur Vorstandsmitglied von Lobby Control und Autor von Netzpolitik.org, sondern seit 2014 auch Projektleiter von FragDenStaat: eine Plattform, die sich regelmäßig mit Frontex auseinandersetzt und bereits mehrfach Klage gegen die Agentur eingereicht hat, um mehr Transparenz einzufordern. Semsrott beschrieb, wie sich die Institution für Grenzmanagement langsam zu einer regelrechten Grenzpolizei mit eigenem Personal entwickle, die womöglich bald auch über eigene Waffen verfüge.

Arne Semsrott sieht Frontex als Teil eines Diskurses, der Migration als Sicherheitsproblem darstellt. So werde auf der Webseite der Institution die Botschaft vermittelt, dass mit den Menschen auch Terrorismus und Schmuggel einen Weg in die EU finden.

Gleichzeitig investiere Frontex in PR-Kampagnen, in denen sich die Agentur als zivilgesellschaftliches Netzwerk profiliert und ein harmloses Erscheinungsbild pflegt. Ein großer Kontrast zur tatsächlichen Arbeit und dem großen Anklang, auf den Frontex gerade bei Menschen aus dem rechten Milieu stößt, findet Semsrott.

Eine Zuschauerin fragte, ob es Initiativen gebe, etwa von einzelnen Staaten, Frontex wieder stärker “an die Leine” zu legen. Arne Semsrott merkte an, dass das verantwortliche Gremium der Verwaltungsrat der Agentur selbst sei. Darin sind alle EU-Mitgliedsstaaten sowie die Kommission vertreten, was allerdings häufig dazu führt, dass gegensätzliche Interessen aufeinandertreffen und dadurch Entscheidungen verhindern. Im Parlament gebe es ebenfalls kritische Nachfragen bezüglich der Arbeit von Frontex, zum Beispiel von Grünen, Linken und SPD, wobei deren Einfluss auf Frontex sehr gering sei. Außerdem gebe es zivilgesellschaftliche Initiativen, ein Schweizer Referendum ziele zum Beispiel darauf ab, dass die Schweiz kein Geld mehr an Frontex zahlt.

Wird Frontex weiter an Einfluss und Kompetenzen gewinnen? Wird eine rechte Rhetorik Überhand nehmen, die Abschottung als Lösung und Migration als Bedrohung präsentiert? Oder gibt es Hoffnung auf einen Umbruch, der andere Perspektiven und Erzählungen in den Vordergrund rückt?

Arne Semsrott sieht pessimistisch in die Zukunft: Letztendlich lasse sich festhalten, dass die Rechtssituation erodiert sei und Verstöße gegen die Menschenrechte deutlich schneller hingenommen werden. Je mehr Zeit vergehe desto wahrscheinlicher sei es, dass sich der von Frontex gesteuerte Diskurs verhärte. Gleichzeitig nehme er aber wahr, dass auch ein öffentlicher Diskurs stattfindet, der politisches Agieren ermögliche. Die Chance ist also greifbar, doch damit sie genutzt werden könne, müsse deutlich mehr öffentlicher Druck ausgeübt werden. Die Entwicklung der Diskussion um Migration entscheide auch, in welche Richtung sich die EU bewegen wird.

Dietrich Krauß betonte abschließend die Position, in der sich Geflüchtete befinden: Sie haben kein politisches Gewicht, sind keine potenziellen Wähler und stellen deshalb keinen politischen Faktor dar, der per se nach Handlung ruft. Außerdem müsse man sich fragen, was diese “Politik der Abhärtung” und der zunehmend entmenschlichende Diskurs für uns als Gesellschaft bedeuten. Ein Rechtsruck in der Außenpolitik ziehe nämlich häufig einen Wandel der Innenpolitik nach sich. Hier sah Dietrich Krauß auch die Kirche in der Verantwortung, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Alessia Neuner /dgr

Bild: Online-Debatte zur “Anstalt”-Sendung vom 1. Februar: Gesprächspartner von Udo Hahn waren Dr. Dietrich Krauß und Arne Semsrott (Screenshot: eat archiv)

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