Ausführlicher Bericht zur Sommertagung des Politischen Clubs

Prof. Dr. Carsten Reinemann: „Vergröberung der kommunikativen Sitten? Die Verantwortung der Bürger für die Kommunikationskultur unserer Gesellschaft“ (17.6.2018) 

Carsten Reinemann, Professor für Kommunikationswissenschaften mit dem Schwerpunkt politische Kommunikation an der LMU München, verweist in seinem Vortrag auf die Umwälzung des Medienangebots. Wir befänden uns heute in einer „multinationalen Vielkanal-Umgebung“ bzw. „High-Choice-Umgebung“. Diese Entwicklung habe ihren Ursprung in der Dualisierung des Rundfunks, also lange vor dem Aufkommen des Internets. Das Aufkommen des privaten Fernsehens und Rundfunksystems neben den Öffentlich-Rechtlichen führte zu einer Ausweitung des Angebots.

Durch Social Media sei dieses Angebot noch einmal explosionsartig angestiegen, so Reinemann.  Dadurch entstünde Öffentlichkeit zunehmend abseits der klassischen Medien. Jeder Mediennutzer habe heute die Möglichkeit, Informationen selbst zu recherchieren, diese zu bewerten und zu kommentieren – und damit selbst Öffentlichkeit zu schaffen. Es sein dadurch zu einer „partizipativen Revolution“ gekommen. Darin lägen sowohl Chancen als auch Risiken für die Demokratie.

Das „Mehr an Freiheit“ bringe auch Verantwortung mit sich. Zum einen, eine Verantwortung der Medien für die Kommunikationskultur. Zum anderen Verantwortung für die Bürger – und zwar nicht nur für die Eliten. Es gehe um die „bürgerliche Verantwortung aller“. Die Art und Weise, wie wir alle miteinander umgehen, habe Einfluss auf den politischen Diskurs. Auch wenn das grundsätzlich kein neuer Gedanke sei.

Für den Einzelnen bedeute dies mehrere Punkte.

  1. „Informiertheit ist erste Bürgerpflicht.“ Es gebe einen Zusammenhang zwischen Informiertheit und Vertrauen in die Politik. Desinformation mache für Manipulation anfälliger, so Reinemann. Wenn Politikferne immer weniger Nachrichtenangebote nutzten begäben sie sich in eine Negativspirale.
  2. Medien und Inhalte noch bewusster auswählen. Hier sei die Verantwortung gestiegen, sagt Reinemann. Schon das eigene Nutzungsverhalten sei in punkto Social Media zur Information für die anderen geworden (vgl. „trending topics“), habe Einfluss auf eigenen News-Feed und den der Freunde. Online bekomme diese Rückwirkung des eigenen Nutzerverhaltens noch einmal eine ganz neue Qualität.
  3. Eigenes Medienwissen hinterfragen. Quellenvielfalt bedeute auch, dass man sich vergewissern muss, was man über die Medien weiß. Problem: „Viele machen sich mehr Gedanken über Fleisch- und Milchkonsum als über Medienkonsum.“ Was Medien anbelange, gebe es bislang noch große Wissenslücken in der Bevölkerung. Je mehr Menschen über Medien wüssten, desto höher sei auch das Vertrauen in sie. Medienwissen, Zynismus und Medienvertrauen hänge unmittelbar zusammen. (Tipp: „Claim Checker“ – Tool, um Behauptungen zu überprüfen)
  4. Sich der eigenen Verzerrungen bewusst werden. So etwa durch eigene psychologische Prozesse. „Wir halten Menschen, die unsere Meinung teilen, für glaubwürdiger“, führte Reinemann als Beispiel an. Beispiel Trump: „Hostile-Media-Effekt“
  5. Selbstverantwortlich kommunizieren. Bedeutet: nicht einfach wegschauen, Zivilcourage zeigen, wo es nötig ist, aber auch sich des eigenen Tons bewusst zu sein.
  6. Stärkung von Medien- und Demokratiekompetenz einfordern. Wer sich medialer Mechanismen bewusst sei, erkenne schneller extremistische Inhalte und auch Strategien.
  7. Unabhängigen und der Demokratie verpflichteten Journalismus unterstützen. „Die Menschheit hat den Journalismus nicht ohne Grund erfunden.“

Darüber hinaus gelte immer der Grundsatz: Erst denken, dann klicken.

Schlusswort Dr. Wolfgang Thierse (17.6. 2018)

Wolfgang Thierse greift die Forderung von Tabea Rößner auf, die gesagt hat: „Wir brauchen eine breite gesellschaftliche Debatte.“ Thierse weist darauf hin, dass auch diese Veranstaltung ein Teil davon sei. Er erinnert an seinen eingangs erwähnten Satz „Die Zukunft der Medien ist die Zukunft der Demokratie.“ Man sähe jetzt, wie wenig selbstverständlich in der Welt die rechtstaatliche Demokratie sei, wie sie in Deutschland herrsche. Wenig selbstverständlich sei auch die Freiheit und Unabhängigkeit der Medien. Das gelte selbst für Europa! Das, was für uns so wichtig, kostbar und selbstverständlich sei, sei nicht selbstverständlich und eher die Ausnahme in der Welt. Es genüge ein Blick nach Polen, Ungarn, Russland, die Türkei, erst recht nach China, aber auch in die USA. Erst dann merke man, was wir für ein kostbares Gut zu verteidigen hätten und wir für die Zukunft auch zu gestalten hätten. Das sei die große Herausforderung.

Es gehe dabei auch um die Gestaltung der Zeitungslandschaft, die privatwirtschaftlich organisiert sei und die neben den öffentlich-rechtlichen Rundfunksendern bestehen wollen. Es gehe aber auch um die Zukunft des Journalismus im Internet, die weitere Entwicklung der Algorithmen und künstlichen Intelligenz. Das alles liege in der Verantwortung der Bürger und der Politik. Er lädt die Anwesenden dazu ein, diese Entwicklung weiter zu verfolgen und sich an der Debatte zu beteiligen.

Hans-Joachim Friedrichs, der frühere Sportreporter und „Tagesthemen“-Moderator  habe einmal den Satz geprägt: „Guter Journalismus macht sich mit keiner Sache gemein, auch mit keiner guten.“ Wenige Sätze seien mehr missverstanden oder schludrig interpretiert worden. Thierse selbst hofft, dass guter Journalismus sich mit der Sache der Demokratie und der Freiheit der Medien gemein mache. Sollte das nicht passieren, würde ihm „himmelangst und bang“. Wie schnell diese beiden Werte gefährdet seien, sähe man bereits in der Nachbarschaft. Er selbst kenne Polen ganz gut, hätte sich aber vor zwei Jahren noch nicht vorstellen können, wie schnell man die Unabhängigkeit der Justiz und die Freiheit der Medien einschränken kann. Darüber hinaus sei die Entwicklung in Polen nicht heimlich, sondern offensiv vonstattengegangen. Die Öffentlichkeit habe wenig Gegenwehr gezeigt.

„Die Demokratie ist die politische Lebensform der Freiheit.“ Sie könne schneller gefährdet sein, als man denkt. Die alte Einsicht laute: „Nichts eignet sich besser zur Abschaffung der Demokratie als die Demokratie selber.“ Das Thema werde und müsse uns also weiter beschäftigen.

Wolfgang Thierse bedankt sich beim Publikum, die lebendige Diskussionsfreude und den Sachverstand, der dabei sichtbar geworden sei.

Pressestelle der Evangelischen Akademie Tutzing / mit Material des Evangelischen Pressedienstes (EPD)

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