Ausführlicher Bericht zur Sommertagung des Politischen Clubs

„Die Zukunft der Medien ist die Zukunft der Demokratie“ – In seiner Begrüßung zur Sommertagung machte Wolfgang Thierse, der Leiter des Politischen Clubs, nicht nur den Anspruch der Veranstaltung deutlich – er verwies damit auch auf die Verantwortung der Medienmacher.

Fast 55 Jahre nachdem Egon Bahr in seiner Rede in der Evangelischen Akademie Tutzing „Wandel durch Annäherung“ in der westdeutschen Deutschland- und Wiedervereinigungspolitik forderte, ging es bei der Sommertagung des Politischen Clubs vom 15. bis 17. Juni 2018 um das Thema „Medien im Wandel – Medien in der Krise?“

Begrüßung Dr. Wolfgang Thierse

Dr. Wolfgang Thierse, Leiter des Politischen Clubs, bezieht sich eingangs auf Egon Bahr und seine Verbindung mit der Evangelischen Akademie Tutzing. Dem SPD-Politiker Bahr verdanke er seine politische Karriere, so Thierse. Als Kind habe er die Kommentare Bahrs im Rundfunksender Rias gehört.

Thierse berichtet von der Wut gegenüber den Medien, die er selbst erst vor kurzer Zeit persönlich miterlebte. Zwei Wochen vor der Tagung war er Zeuge einer Demo der AfD in Berlin. Als die Demonstranten vor dem ARD-Gebäude vorbeikamen, skandierten sie laut „Lügenpresse!“ Thierse konstatiert in seiner Rede eine „Vergröberung der kommunikativen Sitten“. Er spricht die epidemische Verbreitung von Falschnachrichten an sowie den rasanten Wandel der Medien, die vor allem durch neue Verbreitungswege wie sozialen Netzwerken die Öffentlichkeit der Gefahr der Zersplitterung, des Missbrauchs und der Manipulation aussetzt. Zunehmend fielen Wörter wie „Mainstreammedien“, um den Journalismus zu diffamieren. Thierse fragt: „Ist die Lage der Medien insgesamt wie das Bild von ihnen?“

Darüber hinaus sei die Meinungsfreiheit und Freiheit der Medien in vielen Ländern weltweit bedroht. Thierse weist darauf hin, dass die „Zukunft der Medien die Zukunft der Demokratie“ sei.
Insofern möchte er für die Sommertagung des Politischen Clubs 2018 die Frage stellen: Was sind die Aufgaben der Journalisten, der Politiker, aber auch der Nutzer? Müssen Journalisten etwa jede Provokation der AfD in die Berichterstattung aufnehmen? Thierse moderiert den ersten Redner an: Ulrich Wickert. Er verweist auf Wickerts Buch zum Thema: „Medien, Macht und Verantwortung“.

Ulrich Wickert: „Macht und Verantwortung von Journalismus in politisch-medialen Umbruchzeiten“ (15.6.2018)

Wickert verweist trotz der derzeit diskutierten Vorwürfe gegen die Medien – vor allem auch gegen die öffentlich-rechtlichen – darauf, dass die „Tagesschau“ der ARD weltweit nach wie vor die am meisten gesehene Nachrichtensendung ist. Jedoch ließe sich nicht wegdiskutieren, dass wir uns in politisch-medialen Umbruchzeiten befänden. Das, so Wickert, habe mit Populismus zu tun. Bestes Beispiel: Donald Trump, der derzeitige Präsident der USA. Trump habe zuerst Erfolg als Fernsehstar gehabt, danach viel von Facebook profitiert. Ein weiteres Beispiel: Facebook-Chef Mark Zuckerberg, der glaubt, er habe dazu beigetragen, dass die Bundestagswahlen in Deutschland gut abgelaufen seien. Noch ein Punkt: die Algorithmen. Wer beispielsweise bei Youtube „Bundestag“ eingebe, bekomme als erste Treffer „RT“ (Russia Today), „Welt“ und „Focus“ geliefert.

Wickert folgert: „Das wahre Problem für den seriösen Journalismus ist die Verteilung der Werbung. Sie ist die wirtschaftliche Bedrohung der Qualitätsmedien.“ Er kritisiert die Unternehmen, die Werbung verstärkt in sozialen Netzwerken schalten.

Wickert über sich selbst: „Ich bin Handwerker von Beruf“. Aber: Jedes Handwerk verlange nach Regeln, das betreffe auch den Journalismus. Er zitiert Kant: „Habe den Mut, Dich Deines Verstandes zu bedienen.“ Faulheit und Feigheit führe in eine selbstverschuldete Unmündigkeit. Wickert begreift die Aufklärung als Maßstab für den Journalismus. Jeder Journalist habe die Freiheit, von seiner Vernunft öffentlich Gebrauch zu machen.

In seiner Rede konstatiert er eine „Banalisierung der Öffentlichkeit“. Die spiegele sich in der Berichterstattung: Statt inhaltlicher Vorstellungen stünden Äußerlichkeiten, wie etwa Anstecker, die ein Politiker am Anzug trägt, im medialen Interesse, so der frühere „Tagesthemen“-Moderator in Tutzing. Die Neugier an der Figur wiege heutzutage mehr als Inhalte und Programme. Die Fernsehsender und Zeitungen setzten auch wegen des gestiegenen Konkurrenzdrucks immer stärker auf Voyeurismus.

Der unverrückbare Maßstab für alle Formen des Journalismus müsse die Würde des Menschen sein, was von vornherein jeden „Appell an die niederen Instinkte des Menschen“ oder die „Sensation um jeden Preis“ ausschließe, sagte Wickert. Journalismus habe eine Verantwortung. Es sei eine wesentliche Aufgabe der Medien, den Menschen Orientierung und die Einordnung von Fakten zu geben. Insofern sei jede Meldung danach zu beurteilen, welchen Wissensgewinn sie bringt. Die Maxime, nach denen der Journalismus handeln solle, seien Glaubwürdigkeit, Nutzen für den Empfänger und dann erst die Geschwindigkeit.

Vielleicht sollten Journalisten darauf achten, was Leser ihnen mitteilen, rät Wickert. Er selbst habe sich den Rat seiner Leser/Zuschauer zu Herzen genommen. In zwei konkreten Fällen hatten Zuschriften auch direkten Einfluss auf seine Arbeit. Zum einen bezüglich der Sprache und Wortwahl. Wickert spricht sich dafür aus, Fremdwörter weitgehend zu vermeiden, um sich nicht dahinter zu verstecken und um für den Leser/Nutzer/Zuschauer verständlich zu kommunizieren. So benutze er etwa anstelle des Wortes „Sanktionen“ das Wort „Strafmaßnahmen“. Und so vermeide er auch den Begriff „Holocaust“ und benenne ihn mit „Judenvernichtung“.
Zum anderen sei es ebenfalls der Rückmeldung eines Zuschauers zu verdanken, dass er seine „Tagesthemen“-Sendung mit dem Wunsch nach einer „geruhsamen Nacht“ beendete.

Den Medien komme nach Überzeugung Wickerts eine zentrale Rolle für das demokratische Gemeinwesen zu. „Die Zukunft der Medien ist die Zukunft der Demokratie und umgekehrt“, betonte der Autor und Journalist. Die Medien müssten entscheiden, welchen Politikern und welchen populistischen Provokationen sie eine Plattform bieten. Allerdings komme auch den Nutzern eine entscheidende Rolle zu. In Zeiten, in denen Algorithmen über die Präsenz eines Themas im Internet entscheiden, müsse der Nutzer sein mediales Konsumverhalten verantwortlich abwägen, sagte Wickert.

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