Im Fokus: ChatGPT, Bildungsgerechtigkeit, Klima

Good vibes in der Krisenzeit! Die Tagung “Generation of Change” griff Themen des gesellschaftlichen Wandels nicht nur auf, sondern zeigte auch Wege, sie positiv anzugehen.  Etwa 70 junge Menschen diskutierten mit Expertinnen und Experten über Diversität im Politikbetrieb, Rassismuskritik an Schulen, Bildungsgerechtigkeit durch ChatGPT und Klimaschutz im Globalen Süden. Außerdem wurden sie selbst kreativ und erarbeiteten eigene Zukunftsbilder. Zum ausführlichen Tagungsbericht und zur Bildergalerie.

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“I don‘t fear change coming”. Mit diesen Worten prägte die junge Poetin Amanda Gorman die Amtseinführung von US-Präsident Joe Biden. Ein Gamechanger! Wie genial wäre es, wenn unsere Träume und Visionen wahr werden würden? Die Herausforderungen unserer Zeit sind immens. Ein starkes Umdenken braucht ein stabiles Wir und Raum, um Träume zu verwirklichen. Was bedeutet es für die jungen Generationen, in diesen Zeiten zu leben?

Good vibes in der Krisenzeit – Das griffen wir von Amanda Gorman für die Tagung “Generation of Change – ChatGPT, Bildungsgerechtigkeit, Klima” auf. Im Juni 2023 kamen dazu etwa 70 junge Menschen in die Evangelischen Akademie Tutzing. Wir gingen politische Themen des Wandels mit kreativen Workshops und inspirierenden Vorträgen an. Im Fokus: Bildungsgerechtigkeit und Technologien, Diversität und Gesellschaft, Krieg und Frieden sowie Klimaschutz mit Schwerpunkt auf den Globalen Süden. Die Tagung fand in Kooperation mit Talent im Land – Bayern und der Start-Stiftung statt.

Neue Politiker:innen in Diversität

Ist unsere Politik zukunftssicher? Wird die Transformation adäquat politisch gestaltet oder nicht? Haben wir eine Notwendigkeit für einen positiven Wandel? Die Antworten der ersten Referentin Maja Bisanz fielen eindeutig aus. Als Kommunikationskoordinatorin von Brand New Bundestag (BNB) stellte sie die Agenda der unabhängigen und überparteilichen Graswurzel-Organisation vor. Sie setzen sich für eine progressive, zukunftsorientierte Politik ein und unterstützen Menschen mit verschiedenen Diversitätsfacetten bei ihrem Weg in politische Ämter. Das Ziel ist, dass in den Parlamenten alle Menschen der Gesellschaft repräsentiert sind.

Im Tagungsbeitrag skizzierte Bisanz den Zusammenhang zwischen Herausforderungen wie Klimakrise, sozialer Gerechtigkeit und Energiesicherheit und dem derzeitigen politischen System. Wie sind die Parteistrukturen, wer ist repräsentiert, wer nicht, für wen wird Politik gemacht? Und wer ist außer den Parteien noch politisch aktiv? Wie steht es um die Zivilgesellschaft? Brand New Bundestag sieht sich hier als Teil der Lösung.

Die Klimakrise sei seit Jahrzehnten bekannt, dennoch würden die Klimaziele immer wieder verfehlt. Das Fortschrittsversprechen der verschiedenen Bundesregierungen gelinge nicht, so Bisanz von BNB. Der Wohlstand für alle werde nicht eingelöst und die Arm-Reich-Schere gehe immer weiter auseinander. Warum ist das so? Für BNB fehlt es an pragmatischen Lösungen. Die Zivilgesellschaft sei frustriert durch das Nichthandeln der Politik. Die Ohnmachtsgefühle würden wachsen. Es komme zur langsamen Abspaltung der Zivilgesellschaft von der Politik. Fridays for Future ist eine der großen Bewegungen der Zivilgesellschaft. Ihre Wut brauche ein Ventil. Sie nehmen ihr demokratisches Recht auf Demonstration wahr. Aber dennoch passiere nichts. Warum? Für BNB liegt es daran, dass die Menschen, die in der Politik vertreten sind, oft zu homogen sind. Viele Gruppen seien hier nicht repräsentiert und strukturell ausgeschlossen, zum Beispiel Menschen mit ostdeutscher Biographie, Frauen*, junge Menschen, Menschen mit Behinderung oder mit Fluchthintergrund oder aus Nicht-Akademiker:innenfamilien.

Kommunalpolitisch falle auf, dass einige Menschen besonders unterrepräsentiert sind. Das liege, so Bisanz, an nicht bezahlter politischer Arbeit. Vor allem Familien und Mütter* hätten keine Zeit für Ehrenamt, unter anderem weil viele Sitzungen am Abend stattfinden, wenn Eltern hauptsächlich mit Care-Arbeit ausgelastet sind. Dadurch sei kein politisches Ehrenamt möglich. Da die Kommunalpolitik aber oft den Einstieg ins politische System biete, beginne hier schon ein struktureller Ausschluss. Die Repräsentanz von Diversität politisch tätiger Menschen sei aber nicht das einzige Anliegen der Initiative.

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: Der Fraktionszwang der Parteien, zum Beispiel bei Abstimmungen zum Klimaschutz, behindere ein Vorankommen bei bestimmten Themen. Parteiübergreifendes Arbeiten an Lösungen komme zu wenig zustande, so Bisanz. Hier unterstütze BNB Menschen, die sich politisch engagieren möchten, aber noch kein politisches Netzwerk haben. BNB versucht auch, inhaltliche Zusammenschlüsse zu stärken für überparteiliche Lösungen. In neuen Netzwerken treffen sich Abgeordnete zusammen mit der Zivilgesellschaft. Dies solle der Spaltung zwischen Parteien und Zivilgesellschaft entgegenwirken. Durch diese Netzwerktreffen entstand zum Beispiel eine Stellungnahme mit 50 Abgeordneten zur derzeitigen Änderung des Asylgesetzes.

In der anschließenden Diskussion mit den jungen Tagungsgästen ging es um drei Punkte:

  1. Welche Rolle können Jugendorganisationen der Parteien haben? BNB sieht diese als sehr wichtig an, um junge Menschen an die Politik heranzuführen. Zudem könnten Jugendorganisationen der Parteien die Perspektiven der Hauptparteien erweitern, wie sich zum Beispiel an der Stellungnahme der Jusos gegen die große Koalition gezeigt habe.
  2. Die Wahlalterabsenkung wird als zentrales Instrument gesehen, um junge Menschen früh für Politik zu begeistern.
  3. Die politische Bildung an Schulen reiche nicht aus. Bayern habe stundenmäßig die geringste Anzahl an politischer Bildung. Im Querschnitt sollte das in allen Fächern stattfinden.

Dialektik der Gleichheit und Differenz im Kontext von Diversity und Rassismus

Diversität und ihre Anerkennung ist in Bildungsinstitutionen besonders wichtig. Als Basis dient das Grundgesetz und die darin festgehaltene Unantastbarkeit der Würde jedes Menschen. Die Bundesminister- und Hochschulkonferenz formulierte 2015, dass Diversität Realität und Aufgabe jeder Schule sei. Heißt das, dass nun alle Lehrkräfte produktiv mit Diversität umgehen können? Oft ist die Vielfalt unter Schüler:innen deutlich höher als im Lehrer:innenkollegium. In seinem Vortrag “Diversitätssensibilität in Gesellschaft und Bildungsinstitutionen” ging Prof. Dr. Karim Fereidooni auf die Konstruktion von ‘Normalität’ in der Gesellschaft und in Bildungsinstitutionen ein. Er ist Professor für Didaktik der sozialwissenschaftlichen Bildung an der Universität Bochum mit Fokus auf Rassismuskritik in pädagogischen Institutionen, Schulforschung und Politische Bildung in der Migrationsgesellschaft und diversitätssensible Lehrer:innenbildung. Fereidooni problematisierte auf der Tagung diesen Konstruktionsprozess von “Normalität”, weil dadurch Ausschlussmechanismen entstehen. Darüber hinaus stellte er Studien zum Thema Diversitätssensibilität dar und zeigte Maßnahmen auf, mit denen mit Diversität konstruktiv umgegangen werden kann. Außerdem sprach er über den Zusammenhang zwischen dem “Migrationshintergrund” und Schulerfolg.

Diversity bedeute immer auch Intersektionalität, also die Diskriminierung in Verschränkung mehrerer Diversitätsfacetten, so Fereidooni. Intersektionalität wurde zum ersten Mal Ende der 80er Jahre von der amerikanischen Juristin Prof. Dr. Kimberlé Crenshaw benannt. So wurden 1970 bei General Motors Schwarze Arbeiterinnen entlassen. Dies wurde nicht als Rassismus benannt, weil Schwarze Männer nicht entlassen wurden. Ebenso wurde es nicht als Sexismus gesehen, weil Weiße Arbeiterinnen nicht entlassen wurden. Intersektionalität bedeute, dass eine Person, also hier die Schwarze Arbeiterin, aufgrund zusammenwirkender Persönlichkeitsmerkmale Opfer von Diskriminierung wurden. Diese Wechselwirkung führte zu einer eigenständigen Diskriminierungserfahrung. Die zitierte Bildungswissenschaftlerin Prof. Dr. Katharina Walgenbach spricht hier von Verwobenheit von Macht- und Privilegien-Kategorien. Jedes Diversitätsmerkmal habe eine Wahrscheinlichkeit inne, nach der Menschen diskriminiert werden. So hätten arme Menschen eine höhere Wahrscheinlichkeit Diskriminierung zu erleben als wohlhabende Menschen, was nicht bedeutet, dass wohlhabende Menschen nie Diskriminierung erleben.

Fereidooni zitierte den Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Hans Berner (2006), wonach eine Gleichbehandlung und Homogenisierung der Menschen dazu führe, dass Ungleichheiten negiert und untertrieben würden. Eine Überbewertung der Differenz der Menschen könne wiederum zu Kulturalisierung und Stigmatisierung führen. Oder auch zu einer Reduzierung der Person auf die Differenz, wie bei der Fokussierung auf “den Migrationshintergrund” bei Menschen statt auf die Vielseitigkeit und Diversity einer Person. Durch die Betonung der Differenz würde eine Reproduzierung von Differenz entstehen. Jedoch sollte Differenz betont werden, wenn dadurch ein Nachteil der Person ausgeglichen werden kann. Es hänge also vom Kontext und der Relevanz ab, Differenzen und Gleichheit zu benennen, so Fereidooni.

Was bedeutet diese Dialektik von Gleichheit und Differenz für den Kontext Schule? Fereidooni gibt Lehrer:innenfortbildungen für die Sensibilität für Diversität in Schulen und weiteren Bildungsinstitutionen. Schulen benötigen multiprofessionelle Teams um frühzeitig produktiv mit Diversität umzugehen. So zeigt die Handreichung der Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie e.V. auf, wie Organisationen in der Weiterentwicklung des Personalmanagements diversitätssensibel agieren können. Maßnahmen könnten sein: 1. Ein Verhaltenskodex gegen diskriminierendes Verhalten, 2. Strukturelle Verankerung: Entwicklung einer Diversitätsstrategie (Finanzen und Personalplan), 3. Schaffung von Beschwerdestellen für Diskriminierung, 4. Netzwerkaufbau für Diversitätssensibilität, 5. Karriere-Fördermaßnahmen, 6. Quoten für Menschen mit internationaler Familiengeschichte, 7. Einrichtung interreligiöser Gebetsräume.

Auf Ebene der Schüler:innen zeige sich im Zusammenhang von Migrationshintergrund und Bildungserfolg: Der wichtigste Aspekt für Bildungserfolg sind der soziale Status und der sozioökonomische Status der Eltern. Der Sachverständigenrat Integration und Migration zeigte 2021 keine signifikanten Unterschiede in der Lesekompetenz zwischen Schüler:innen mit und ohne Migrationshintergrund, wenn der soziale Status gleich ist. Schüler:innen mit Migrationshintergrund haben eine höhere Chance auf eine Gymnasialempfehlung bei einem hohen sozialen Status. Dies zeigte auch der kürzlich veröffentlichte Chancenmonitor auf, der u.a. durch das ifo-Institut für Wirtschaftsforschung herausgegeben wird. Die Leitfrage war: “Wie (un-)gerecht sind die Bildungschancen von Kindern aus verschiedenen Familien in Deutschland verteilt?”. Demnach kamen Kinder mit Migrationshintergrund mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 Prozent aufs Gymnasium, wenn das gesamte Haushaltsnettoeinkommen 4000-5000 Euro im Monat beträgt, beide Eltern Abitur haben und nicht alleinerziehend sind.

Das Schulsystem in Deutschland ist selektiv. Schon nach der 4. Klasse wird in den meisten Bundesländern eine Auswahl getroffen, welche weiterführende Schulen ein Kind nach der Grundschule besucht. Fereidooni wies auf die deutsche Besonderheit im europäischen Vergleich hin. In anderen europäischen Ländern verbrächten Kinder mehr Zeit auf einer gemeinsamen Schule. Hier schneiden Kinder anderer Staatsangehörigkeiten besser ab als bei früher Selektierung. Dies spräche für mehr Gesamtschulen, so Fereidooni. Das Leistungsniveau von leistungsstarken Kindern sinke dadurch nicht, ließe aber leistungsschwächere Kinder aufholen. Hier gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern: In Nordrhein-Westfalen gibt es 358 Gesamtschulen, in Bayern fünf mit diesem Konzept, so Fereidooni.

Ein weiterer Punkt sei die individuelle Förderung der Schüler:innen. Idealerweise sollten Lehrer:innen max. 15 Stunden pro Woche unterrichten, bei einer Klassengröße mit max. 15 Schüler:innen, laut Fereidooni. Auch mehr Schulen mit Ganztagsbetreuung könnten dazu beitragen, Unterschiede zwischen Schüler:innen mit und ohne Migrationshintergrund zu verringern. Ebenso bräuchten Lehrkräfte Zeit, um an Fortbildungen teilnehmen zu können, mit außerschulischen Partner:innen zu kooperieren und schulische Konzepte zu erstellen. Fereidooni plädiert auch dafür, Fortbildungen für Lehrkräfte hinsichtlich der Diversitätssensibilität verpflichtend zu machen. Im Vergleich dazu gebe es die Pflicht für Ärzt:innen, regelmäßig Fortbildungspunkte vorweisen zu müssen, um ihre Kassenzulassung nicht zu verlieren. Im bayerischen Schulsystem seien Fortbildungen relevant für Beförderungen. Stünden aber keine Beförderungen an, gebe es keine Nachteile, wenn Lehrer:innen sich nicht fortbilden.

Mehr Bildungsgerechtigkeit mit ChatGPT

Die Unesco fordert Lernen und Bildung zu Künstlicher Intelligenz (KI) für alle. Am Beispiel von ChatGPT zeigte Prof. Dr. Enkelejda Kasneci, Direktorin des Center for Educational Technologies der Technischen Universität München (TUM), auf der Tagung, wie schnell die technologische Entwicklung voranschreitet und dass es schwierig ist, mit noch kürzer werdenden Technologiezyklen überhaupt mitzuhalten. Um Möglichkeiten und Herausforderungen des Einsatzes solch generativer KI für die Bildung aufzuzeigen, haben die TUM und die Ludwig-Maximilians-Universität München ein gemeinsames Positionspapier herausgegeben. Für Kasneci stellt sich die Frage nach der Art der Nutzung von Technologien in der Bildung. Der Fokus liegt dabei auf vier Technologien: 1. Big Data, 2. affektive KI (Erfassung von Emotionen und Physiologie), 3. Chat-bots und ChatGPT, 4. virtuelle Realitäten.

In ihrem Impuls ging Kasneci auf den Hype um ChatGPT ein – das erste Tool, das Texte generieren kann. Die Nutzer:innenanzahl sei einzigartig in der Geschichte, ebenso wie die Qualität, sagte Kasneci. ChatGPT habe etwa das bayerische Abitur mit guten bis sehr guten Noten bestanden. Dadurch tauchen neue Fragen auf: Müssen wir noch selbst lernen? Haben Schulabgänger:innen die Fähigkeiten, die die Gesellschaft braucht oder wären diese Fähigkeiten auch automatisierbar?

ChatGPT sei so mächtig, weil es eine unvorstellbar große Datenmenge von Textdaten aus frei verfügbaren Texten im Netz nutzt. Kasneci empfiehlt das spielerische Ausprobieren dieser neuen Technik, wie zur Generierung neuer Ideen oder für Übersetzungen. Was heißt das im Kontext der Bildung? ChatGPT könne hier beispielsweise als Basistechnologie für die Entwicklung intelligenter Tutorsysteme genutzt werden. Das Programm stellt Quizfragen, um den Lernstand zu überprüfen und erklärt mehrmals und mit verschiedenen Worten den gleichen Lerninhalt. Die Schüler:innen können beliebig oft nachfragen ohne mit Unverständnis abgewertet zu werden, wenn sie es immer noch nicht verstanden haben. Menschen können zudem im Umgang mit derartigen Sprachmodellen lernen, ihre Fragen präzise zu stellen, um adäquate Antworten von der KI zu bekommen Wichtig bleibt vor allem die Schulung in Fähigkeiten zum kritischen Denken, Überprüfen und Hinterfragen der Ergebnisse der verschiedenen tools, wie Quellenarbeit und Prüfung auf Deepfakes und Fake News. Kasneci plädiert zudem für mehr interdisziplinäre Vernetzung von Informatiker:innen mit Bildungswissenschaftler:innen. Es brauche die Entwicklung innovativer Lehr- und Lernformate, wie Projektwochen an Schulen und Universitäten, zur Vernetzung in Forschungsfragen außerhalb der Curricula. Die TUM arbeitet bereits an verschiedenen Bildungstools für ein besseres und konstruktiveres Feedback an Schüler:innen.

Für Kasneci steht fest: Technologien wie ChatGPT können zu mehr Bildungsgerechtigkeit beitragen. Die Technik sei immer verfügbar, ohne Zeitdruck, die Schüler:innen müssten nicht mehr lange auf Feedback warten, seien unabhängig vom Bildungsstand und Wissen der Eltern. Die Technik werde nicht müde, sie ermögliche personalisiertes Lernen und baue Bildungsnachteile ab. In einem verantwortungsvollen Umgang kann solche Technik als produktive Kraft genutzt werden. Die Zukunft werde aus Mensch und KI bestehen, nicht nur aus Mensch und nicht nur aus KI. Nach dem theoretischen Input erwarteten die jungen Tagungsgäste kreative Workshops.

Mein Himmel – Der Himmel ist für alle offen

Was sind eigene Visionen für die Zukunft? Und was heißt ein offener Himmel für alle? Künstlerische Freiheit erlebten die jungen Tagungsgäste in zwei Workshops zu diesen Fragen. So konnten sie Postkarten an das zukünftige Ich designen. Die Ziele waren, auf die eigene Entwicklung im Leben zurückblicken, neue Hoffnung zu schöpfen oder Träumen Form geben. Außerdem entstanden unter dem Motto “Himmlische Welten – Große Visionen auf kleinen Leinwänden” eigene Kunstwerke. Die Leitgedanken waren, dass der Himmel für alle offen ist, ganz gleich, ob man religiös ist oder nicht. In den Workshops malten sie ihren Himmel – ob abstrakt, realistisch, mit einer Metapher oder als etwas, was man als “Himmel” oder “im Himmel sein” interpretieren könnte. Die Workshops wurden von den Künstlerinnen Lora Kortes und Mina Pham angeleitet (siehe Bilder).

Klar theologische Fragen machte Senthuran Varatharajah im Gespräch auf. Der Schriftsteller, evangelische Theologe und Philosoph sprach auf der Tagung über seinen Glauben. Interreligiosität bedeute für ihn, dass Menschen von ihrem Glauben erzählen, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören. Auch innerhalb der Religionen sei der Glaube divers und subjektiv. Für Varatharajah bedeutet das auch Reibung und einander im Gespräch neu zu finden. Der Glauben basiere für ihn auch auf den Erlebnissen, die er durch die Flucht vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka und dem interreligiösen Elternhaus, machte.

Migrationspolitik – mit neuem Fokus Ukraine

“Wir werden uns die nächsten Jahrzehnten fragen müssen, wie man die Abwehrpolitik der Festung Europa und die Abläufe im Mittelmeer ethisch und politisch rechtfertigen konnte” – so eröffnete Prof. Dr. Philip Anderson seinen Vortrag. Der Migrationsforscher ist Professor für Sozialraumorientierung und interkulturelle soziale Arbeit an der Hochschule Regensburg. Seiner Meinung nach braucht Deutschland viel zu lange, um sich als Migrationsland zu verstehen und dieses zu gestalten. Er fragte: Ist die Willkommenskultur wirklich eine Willkommenskultur? Sind nur die hochqualifizierten Fachkräfte willkommen? Möchten die Migrant:innen überhaupt nach Deutschland kommen?. Hierzu skizzierte Anderson die Ambivalenz in der Migrationspolitik, in der es verschiedene Formen der Migration gebe. Die Politik kategorisiere in gewünschte und unerwünschte Migrant:innen. Durch bürokratische Hürden werde nach wie vor versucht zu verhindern, dass Migrant:innen ihre Familien nachholen, so Anderson.

Diese Migrationspolitik stehe im Widerspruch zum demografischen Wandel in Deutschland. Denn eigentlich brauche es mehr Zuwanderungen. So müsste das Saldo plus bei 400.000 Menschen pro Jahr liegen. Kontrovers diskutiert wurde im Publikum die Frage des Vergleichs der Migrationen aus Afghanistan und der Ukraine. Hatten doch Ukrainer:innen Gleichstellung mit Deutschen hinsichtlich Freizügigkeit und Arbeit erfahren – im Kontrast zu anderen Gruppen von Menschen mit Migrations- und Fluchthintergrund. Dies führe zu zivilgesellschaftlichen Spannungen, so Anderson. Er plädierte für eine generelle Öffnung statt für Restriktionen in der Migrationspolitik.

Wie bedeutet das speziell für junge Menschen mit Migrationshintergrund im Kontext Schule? In Bezug auf junge Menschen, die migrierten, zeige sich auch die finanzielle Dimension im Familiengeflecht auf, wonach junge Migrant:innen auch für die Mikrofinanzierung der Familien relevant seien. Die Motivation und Lernbereitschaft sei vor allem in Berufsintegrationsklassen besonders hoch. Lernende in diesen Klassen möchten ihren Schulabschluss nachholen und gehen dafür am Abend zwischen 16 und 21 Uhr zur Schule. Der Eindruck von Anderson: Diese jungen Menschen stünden unter hohem Erwartungsdruck, den Abschluss zu schaffen, auch um schnell Geld für die Familie zu verdienen. Bei den Berufspraktika junger Migrant:innen in kleinen und mittleren Betrieben zeige sich, dass junge Menschen mit Fluchthintergrund eine besondere Haltung an den Tag legten. Zudem müssten sie die neuen beruflichen und sozialen Herausforderungen im Betrieb und in der Berufsschule bewältigen. Ausbilder:innen stellen fest, so Anderson, dass junge Migrant:innen rasch als Betreuer:innen fungieren können. Sie könnten die Integration weiterer junger Migrant:innen in den Betrieb sehr gut begleiten. Anderson forderte eine ganzheitliche Betreuung für Menschen mit Fluchthintergrund, um nach dem Schulabschluss eine Berufsausbildung zu beginnen. Besonders Mentoring, Nachhilfe und Pat.innensysteme seien wichtig – neben dem Krisenmanagement durch Therapeut:innen und Sozialpädagog.innen.

Klimaschutz im Globalen Süden          

Migrationsgründe entstünden auch durch den Klimawandel. So gehen Konflikte und die Klimaentwicklungen Hand in Hand und es werde vor allem vulnerable Gruppen weltweit treffen, so Joycelyn Longdon. Sie ist Gründerin der Online-Plattform Climate of Colour, die den letzten Impuls der Tagung setzte. Longdon promoviert aktuell im Fach Informatik an der Universität Cambridge. In dieser Arbeit wurde Design Listening als Methode von den Community-Mitgliedern selbst entwickelt, ausgehend von ihren bevorzugten Formen des Engagements und der kreativen Praxis. In ihrem Vortrag widmete sie sich der ökologischen Ungerechtigkeit im weltweiten Vergleich. Das Verhalten der USA, China, Russland, UK und Deutschland habe mit den größten Einfluss auf den globalen Klimawandel. Europäische Firmen profitieren von der Produktion und dem Ressourcenabbau in der Subsahara. Die Luftverschmutzung durch die Produktionen treffe aber auch die Menschen vor Ort. So steige der Nutzen des Globalen Nordens an der ökologischen Ausbeutung stetig. Die Luftverschmutzung werde immer häufiger als Grund für Todesfälle genannt. Longdon verwies auf den engen Zusammenhang zwischen erlebter Luftverschmutzung und dem Wohnort im Globalen Norden oder Süden. Kinder und junge Menschen seien besonders vulnerable Gruppen. Die Hälfte der Kinder weltweit sei klimatischen Risiken ausgesetzt. Mit Fridays for Future (FFF) will die Jugend Veränderungen bewirken. Longdon berichtet von internationalen Vernetzungen von FFF. Es könne nicht genug Bildung für nachhaltige Entwicklung geben, so Longdon. Marginalisierte Gruppen müssen sichtbarer gemacht werden, vor allem aus dem Globalen Süden. Daran arbeitet sie mit ihrer Plattform Climate of Colour.

Auf der Tagung standen die Tagungsbeiträge und Diskussionen unter dem Motto “I don‘t fear change coming” von Amanda Gorman. Veränderungen stehen an und das in vielen gesellschaftspolitischen Bereichen. Die Tagung machte Mut, diese Veränderungen mitzugestalten und eigene Träume und Visionen wahr werden zu lassen. Good vibes in der Krisenzeit, diese Haltung bleibt nach der Tagung bestehen.

Die Tagung fand in Kooperation mit Talent im Land – Bayern und der Start-Stiftung statt.

Julia Wunderlich, Studienleiterin für Jugendpolitik & Jugendbildung (Junges Forum), Evangelische Akademie Tutzing

Aufmacherbild:
Kunstwerk eines jungen Tagungsgastes zum Motto „Himmlische Welten – Große Visionen auf kleinen Leinwänden“
(Evangelische Akademie Tutzing/ Junges Forum)

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