Planspiel, Poetry und Jugendpolitik in der Politikwerkstatt

“Lächeln, wenn die Wolken tränen.” Im Tutzinger Akademie-Poetry Slam erklang diese Textzeile eines Tagungsgasts. Selbstgeschriebene Texte entstanden in der Politikwerkstatt zu Themen wie Inflation, Pandemie, Krieg und Umwelt. Ein paar der Slam-Performances sind nun auf YouTube zu sehen. In diesem Bericht schildert Studienleiterin Julia Wunderlich das Tagungswochenende: mit Diskursen zum Bildungssystem, das soziale Ungleichheit reproduziert, zur Wirkkraft der Informatiker:innen für Frieden und zur Simulation des EU-Parlaments in einem theatralen Planspiel.

Zum Video auf YouTube

Poetry Slam – das ist ein Wettstreit moderner Dichter:innen. Die Texte sind selbstgeschrieben, mit freien Inhalten, individuellem Stil und Sprache. In einem Tutzinger Akademie-Slam boten junge Slammer:innen ihre Dichtkunst dar. Ein Video auf unserem YouTube-Kanal #EATutzing zeigt nun fünf der rund 70 entstandenen Slamtexte. Der Poetry Slam war Teil der Politikwerkstatt des Jungen Forums. Dieses Tagungsformat fand im Oktober 2022 in der Evangelischen Akademie Tutzing in Kooperation mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit statt (Infos zur Veranstaltung unter diesem Link). Poetry Slam-Workshops sind ein fester Bestandteil in der Tagungsarbeit für Jugendbildung und Jugendpolitik im Jungen Forum. Das freie Schreiben zu eigens gewählten Themen hat sich als Konzept der politischen Jugendbildung bewährt. Poetry Slam ist ein kreativer Zugang zur Reflexion gesellschaftspolitischer Themen. Es dient der Bildung – und macht Spaß. Eine Art Edutainment, also Education und Entertainment. Mein Fazit: Die Tiefe der Texte, die in kurzer Workshopzeit auf der Tagung entstanden, war beeindruckend.

Philipp Potthast, der Ex-Bayerische Meister des Poetry Slams, leitete den Workshop auf der Tagung an. Mit einer theoretischen Einführung in die Kunst des Poetry gab er den Tagungsgästen Handwerkszeug mit. Es war ein Crashkurs für das Texten in der Politikwerkstatt. Potthast präsentierte zudem viele praktische Beispiele aus der Slamszene. So konnte die Vielfalt an Themen, zu denen geslammt werden kann, aufgefächert werden.  Das Tagungspublikum analysierte die Slamtexte hinsichtlich literarischer Stilfiguren, rhetorischen Schmuckelementen oder der Wirkung des Sprechtempos der Slammer:innen. Potthast trug dem Tagungspublikum auch den Slamtext vor, mit dem er bei der Bayerischen Poetry-Slam Meisterschaft 2022 antrat.

Slamtexte zu Inflation, Umwelt, Integration, Pandemie, Krieg und mehr

In der Schreibphase des Workshops dichteten und reimten die Tagungsgäste ihre eigenen Texte. Potthast coachte individuell und feilte mit an den Texten. Im Tutzinger Akademie-Slam boten die Dichter:innen ihre Poetrys auf der Bühne dar. Die Themen reichten von Umweltpolitik, Integration, Identität, Fluchterfahrungen, Erlebnissen der Pandemie, Inflation bis hin zu globalen Fragen um Krieg & Frieden. Auf dem YouTube-Kanal der Akademie zeigt ein Video fünf der rund 70 entstandenen Slamtexte. Es gibt einen Einblick in den Tutzinger Akademie-Slam 2022.

Der Tutzinger Akademie-Slam war ein Teil der Politikwerkstatt. Diese Tagung fand in Kooperation mit Referatsleiter Alexander Müller und Referentin Barbara Weishaupt (Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit) statt. Eingebettet war der Workshop als kreativer, freier Teil in eine Tagung aus Vorträgen, Diskussionsrunden und einem theatralen Planspiel. Den Tagungsauftakt machte Referent Dr. Stefan Ullrich (Mitglied des Forums Informatikerinnen und Informatiker für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung). Ullrich skizzierte die brisante Aktualität von Friedensinformatik und kybernetischen Kriegern, also IT-basierten Kriegen. Ein Kunstvideo zeigte eindrücklich die verpixelte Sicht von Kampfpilot:innen auf ihre Ziele aus den Kampfjets. Eine künstlerische Initiative setzte der Entmenschlichung des Kriegs fußballfeldgroße Fotos von Menschen entgegen. Diese Bilder wurden auf dem Boden in Kriegsgebieten ausgelegt. Pilot:innen sollten damit erinnert werden, dass nicht Pixel, sondern Menschen getroffen werden. Ullrich machte eindrucksvoll die Wirkkraft deutlich, die Informatiker:innen hätten, um ihre Expertise für den Frieden statt für den Krieg einzusetzen.

Ein Bildungssystem, das soziale Ungleichheit reproduziert

Sagithjan Surendra stellte das von ihm gegründete Aelius Förderwerk vor. Er stellte klare Forderungen zur Reformation des Bildungssystems vor. Dieses System reproduziere soziale Ungleichheit: Ziel jeder Bildungsreform müsse die Kompensation sozialer Benachteiligung sein. Surendra sieht großes Potenzial in Angeboten der offenen Ganztagsbetreuung. Vor allem auch das Abschaffen des mehrgliedrigen Schulsystems würde der Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit dienen können. Denn noch immer sind soziale Mobilität und Bildungsaufstiege benachteiligter junger Menschen in Deutschland sehr schwer, also zum Beispiel der Wechsel zwischen den Schulformen. Auch die finanziellen Aspekte der Teilhabe aller machte Surendra sichtbar an Beispielen, etwa, wer sich ohne Probleme Studienfahrten oder Musikunterricht leisten könne – und wer nicht.

Der Fokus der Tagung lag nach der gesamtgesellschaftlichen Ebene mit dem anschließenden Panel mit Vertretern des Netzwerks junger Bürgermeister:innen nun auf der Kommunalpolitik. Besonders kontrovers wurde der Fakt diskutiert, dass der Anteil von Frauen auf Kommunalebene, also unter den Bürgermeisterinnen, nur zehn Prozent ausmache. Dies weicht stark von anderen politischen Ebenen ab.

Abstimmungsprozesse des EU-Parlaments in einem Theaterplanspiel

Im abendlichen interaktiven Theater „Was wäre, wenn die EU eine Kneipe wäre?“ war das Tagungspublikum Teil des Theaters. Das Planspiel des Brachland Ensembles in Koproduktion u.a. mit dem Theater Aachen & der Landeszentrale für politische Bildung NRW simulierte Abstimmungsprozesse des EU-Parlaments. In verschiedenen Rollen wurde im Theaterspiel politische Prozesse nachempfunden.

In der Politikwerkstatt fand ebenso die Diskussion rund um die Wahlalter-Absenkung auf EU-Ebene statt. Einen Monat nach der Tagung stimmte der Bundestag einem Gesetzentwurf zu, mit dem das Mindestwahlalter bei Europawahlen von 18 auf 16 Jahre gesenkt wird. Ebenso wurde die Frage, ob und wie Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden sollten, auf der Tagung thematisiert. Dieses Vorhaben steht im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition.

Den Tagungsabschluss machte die freie Journalistin Pegah Meggendorfer. Sie plädiert dafür, dass guter Journalismus auch auf Tiktok stattfinden muss und stellte dar, warum es ohne Journalismus keine Demokratie gibt.

Julia Wunderlich

Bild: Teaserbild zum Tutzinger Poetry Slam im Oktober 2002 (eat archiv)

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