Für eine neue Bewertung der Resilienzdebatte

Das Stichwort der Resilienz ist in aller Munde. Widerstandskraft soll uns durch schwere Zeiten helfen. Und die Zeiten sind nicht leicht: Kriege, wirtschaftliche Krisen, Klimawandel, Flucht und Hunger, Pandemien bestimmen die täglichen Nachrichten. Wer allerdings denkt, dem Risiko allein durch Resilienz begegnen zu können, begeht einen Fehler, meint die Wirtschaftswissenschaftlerin Mechthild Schrooten. Warum, beschreibt sie in diesem Blogartikel.

Von Mechthild Schrooten

Das Thema brennt. Multiple Krisen beherrschen die Welt. Covid-19, Inflation, Krieg, Klimakatastrophe, Hunger, Flucht sind nur einige Stichworte. In der politischen Verzweiflung wird nach unkonventionellen Lösungsansätzen gesucht. Neuerdings gehört es zum guten Ton, in einer solchen durch Unsicherheit geprägten Situation nach Resilienz zu fragen und diese fast schon einzufordern.

Aber was ist Resilienz? So einfach ist das nicht zu klären. Vereinfachend geht es um die Fähigkeit, auf extreme Situationen mit einer gewissen Gelassenheit zu reagieren. Krisenhafte Ereignisse stellen immer “Stress” dar. Die einzelnen Wissenschaften erklären “Resilienz” jeweils etwas unterschiedlich – im Kern aber geht es immer um eine leidvermeidende und vielfach um eine gesunde Reaktion auf ein extremes Ereignis, das von außen kommt.

Schnell wird klar, dass Menschen unterschiedlich reagieren. Ist Resilienz also eine Fähigkeit? Über die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen hinweg ist Resilienz bislang nur wenig eindeutig definiert. Das macht den Begriff besonders attraktiv in der öffentlichen Debatte. Denn Resilienz ist positiv besetzt – aber kaum klar zu fassen. Veröffentlichungen zur Resilienz boomen nicht nur in der Wissenschaft. Resilienz ist auch ein großes Thema in der Ratgeberliteratur.

Wirtschaft und Resilienz

In den Wirtschaftswissenschaften wird Resilienz inzwischen als so etwas wie “Soziales Kapital” angesehen. Treffender wäre es wohl, Resilienz als einen Produktionsfaktor anzusehen. Je resilienter Menschen, Teams und Gesellschaften, desto störungsfreier läuft anscheinend das Leben, der Betrieb und das gesellschaftliche Miteinander – auch unter extremen Bedingungen. So einfach wäre es dann. Kurzum: Resilienz hilft im Notfall.

Tatsächlich hat die OECD den Begriff “ökonomische Resilienz” zu einem ihrer Leitbegriffe erhoben. Mit der etwas wolkigen Resilienzdebatte kehrt eine alte Diskussion zurück. Leicht kann sie mit neoliberalem Gedankengut angefüttert werden. Ist nicht jeder Mensch für den persönlichen Umgang mit Krisen und Katastrophen verantwortlich? Schnell kann Resilienz eingefordert werden. Fragen stehen im Raum: Ist Resilienz eine Übungssache? Hängt Resilienz auch von meinem persönlichen Umfeld ab? Oder vielleicht auch von materiellen Ressourcen wie dem Einkommen?

Grenzen der Resilienzdebatte

In der Resilienzdebatte liegen auch Gefahren. Letztendlich wird das extreme Ereignis selbst nicht weiter thematisiert, sondern der Umgang damit in den Mittelpunkt gestellt. Es wird vom Verursachungsprinzip abgelenkt. Tatsächlich haben viele extreme Ereignisse klare Ursachen und die sind in den meisten Fällen menschengemacht. Den Blick von den Ursachen von Katastrophen abzuwenden wäre verhängnisvoll!

Eine weitere Gefahr besteht darin, dass andere Aspekte ausgeblendet werden. Resilienz wird vielfach der Vulnerabilität gegenübergestellt. Tatsächlich sind wir alle, sind alle Gesellschaften und Teams verwundbar. Das ist ein Fakt. Gerade diese Verwundbarkeit aber führt traditionell dazu, über Innovationen nachzudenken. Resilienz kann Innovationskraft nicht ersetzen.

Darüber hinaus ist Resilienz schwer zu messen. In der Literatur wird zwischen gesellschaftlicher Resilienz und individueller Resilienz unterschieden. Tatsächlich hängt der Umgang mit Krisen und Katastrophen von Erfahrungen, Erwartungen und natürlich auch von der materiellen Ausstattung ab. Reiche Menschen haben andere Optionen, mit Schocks umzugehen, als arme. Diese Erkenntnis ist nicht neu. Gibt es also grundlegende Muster? Sind diese psychologisch, soziologisch oder ökonomisch oder ganz anders zu erklären?

Staat und Resilienz

Bislang wurde viel über Risiko und Resilienz auf der persönlichen und gesellschaftlichen Ebene diskutiert. Aber wie ist es eigentlich mit dem Staat? Der Staat setzt die Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders. Der Staat kann Krisenfolgen abmildern. Der Staat kann die sozial-ökologische Transformation entscheidend gestalten. Ein funktionierender Sozialstaat erfordert wahrscheinlich weniger Resilienz von den Bürger:innen als ein Staat ohne soziale Sicherung. Hier ist ein erheblicher Gestaltungsspielraum vorhanden, der vielfach nicht genutzt wird.

Und es gibt einiges an gesellschaftlichen Innovationen, über die es sich lohnt nachzudenken. Dazu gehören eine partizipative Neugestaltung des Arbeitslebens ebenso wie Fragen nach den Einkommens-, Vermögens- und  Eigentumsverhältnissen. Wer länger darüber nachdenkt, wie wirtschaftlicher Stress genommen werden kann, ohne dass die Produktivität sinken muss, wird einiges finden. Ansatzpunkte bieten hier die gesamte Verteilungsfrage, Strategien gegen Massenarmut, die sozial-ökologische Transformation, die Geschlechterverhältnisse und vieles mehr.

Krisen treten im Kapitalismus regelmäßig auf. Krisen werfen Verteilungsfragen auf. Auf der Gewinnerseite steht meist das Kapital. Wenn die Resilienzdebatte möglicherweise dazu genutzt wird, schwierige Arbeitsbedingungen zu “externen” Ereignissen zu erklären, so geht das im Kern an einer seriösen  Fragestellung vorbei.

Wenn Resilienz zum Risiko wird…

Wenn Resilienz also für einzelne Menschen dazu führt, extreme Lebensbedingungen hinzunehmen und an ihnen vorbei ein glückliches Leben zu führen, so ist das auf der persönlichen Ebene bewundernswert. Wenn Resilienz einer Gesellschaft aber beispielsweise dazu führt, die Verwerfungen des Wirtschaftssystems zu akzeptieren, dann wird Resilienz selbst zu einem Risiko.

Daher ist vor einer allzu oberflächlichen Debatte zu warnen. Risiken lassen sich nicht mit Resilienz entschärfen. Der Umgang mit Risiken muss gut durchdacht und abgewogen werden. Besser als alle Resilienz ist die Vermeidung von menschengemachten Krisen und Katastrophen. In diesem Spannungsfeld muss Resilienz bewertet werden. Und genau deshalb findet die Tagung in der Evangelischen Akademie Tutzing zum richtigen Zeitpunkt statt.

Zur Autorin:
Prof. Dr. Mechthild Schrooten ist Professorin für Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Geld und Internationale Integration an der Hochschule Bremen. Seit 2008 ist sie Mitglied und später auch Sprecherin der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (e.V.).

Hinweis: Prof. Mechthild Schrooten spricht auf der Tagung “Gesellschaftliches Risiko & Resilienz”, die von 21. bis 23. April 2023 an der Evangelischen Akademie Tutzing stattfindet. Die Frage der Resilienz wird dabei unter anderem von Christian Felber, Dr. Stefanie Graefe und Dr. Wolfgang Schmidtbauer diskutiert – zur persönlichen, psychologischen Ebene, zu ökologischem Aktivismus und einem resilienten Wirtschaftssystem sowie zu globaler Gerechtigkeit und Frieden.

Bild: Mechthild Schrooten (Foto: Rainer Sievert)

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