Tagungsbericht “Gesellschaftliches Risiko und Resilienz”

Wie verwandelt unsere kapitalistische Gesellschaft Unsicherheiten in berechenbare Risiken? Wie werden individuelle und kollektive Entscheidungen beeinflusst? Kann Resilienz helfen, um den Krisen der Gegenwart angemessen zu begegnen? Um diese und weitere Fragen ging es in unserer Tagung “Gesellschaftliches Risiko und Resilienz” vom 21. bis 23.04.2023.

→ Eine Bildergalerie der Tagung finden Sie am Ende des Textes.

Das Tagungsprogramm hier als PDF abrufen

Zu den Videomitschnitten auf dem YouTube-Kanal der #EATutzing:
→ Dr. phil. Dipl. Psych. Wolfgang Schmidbauer: “Das Dilemma von Risiko und Resilienz – Unser Immunsystem funktioniert am besten, wenn wir glauben: Alles wird gut” (hier ansehen)
→ PD Dr. Stefanie Graefe: “Resilienz im Krisenkapitalismus – wider das Lob der Anpassungsfähigkeit” (hier ansehen)
→ Prof. Dr. Stefan Bauberger SJ: “Gesellschaftliche Resilienz durch Spiritualität – Wie können wir mit Angst und Wut angesichts von Klimakrise und Krieg umgehen?” (hier ansehen)

Den Tagungsauftakt bestritt Prof. Dr. Mechthild Schrooten mit einem Vortrag über Verteilungseffekte von Krisen und Krisenpolitik. Schrooten ist Professorin für Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Geld und Internationale Integration an der Hochschule Bremen. Anhand von neun Thesen stellte sie Krisen in den Kontext von Risiko und Resilienz, indem sie ausführte, dass gesellschaftliches Risiko ein Wesensmerkmal des Kapitalismus ist. Krisen im Wirtschaftszyklus seien folglich gewollt und das Effizienzprinzip des Kapitalismus werde durch Krisen meist gestärkt. Für Schrooten sind Krisen aller Art im Grunde Verteilungskrisen. Oft werde gesellschaftliche Resilienz auf die individuelle Ebene gehoben, da Krisen immer letzten Endes individuelle Auswirkungen haben. Schrooten stellte die aktuelle sozialökologische Krise in ihrer Besonderheit heraus. Diese entspreche nicht dem Effizienzprinzip des Kapitalismus, da, um dem Wachstumsstreben gerecht zu werden, sowohl der Input immer weiter minimiert, als auch der Output maximiert werden müsse.

Prof. Dr. Richard Sturn, Leiter des Instituts für Finanzwissenschaft und Öffentliche Wirtschaft sowie des Graz-Schumpeter-Centres an der Universität Graz, ging in seinem Vortrag auf die Ebenen der Resilienz und eine menschengerechte Wirtschaftsentwicklung in einer riskanten Welt ein. Er stellte der unsicheren, aber nicht berechenbaren Welt in der Antike das veränderte Risikoverständnis in der Moderne gegenüber. Die unsichere Welt sei zu einer riskanten, aber berechenbaren Welt geworden. Resilienz brauchte es damals wie heute. Indem er den Begriff in drei Ebenen unterteilte – Resilienz im Sinne von Elastizität, als Robustheit und als adaptive Resilienz -, kritisierte Prof. Dr. Richard Sturn das derzeitige, durch die kapitalistische Prägung der Gesellschaft bedingte Verständnis von Resilienz ausschließlich im Sinne von Elastizität. Damit ist die Fähigkeit eines Zustands gemeint, nach Kriseneinwirkung wieder in den Normalzustand zurückkehren zu können. Die Kritik an diesem eingeschränkten Resilienzbegriff bestehe darin, dass solcher die Notwendigkeit struktureller langfristiger Veränderungen aufgrund von Krisen verkennt. Ähnlich der robuste Resilienzbegriff, der aus der Tiefenökologie stammt und auf der nächsthöheren Ebene die Widerstandsfähigkeit eines Systems meint. Sturn plädierte demnach für den adaptiven Resilienzbegriff, der sich durch die Anpassungsfähigkeit eines Systems an veränderte Umweltbedingungen auszeichnet. Durch seinen präventiven Charakter könne er eine Strukturentwicklung hin zu einem zukunftsfähigen Gesellschaftssystem ermöglichen.

Für eine neue Art des Miteinanders

Dr. Boniface Mabanza Bambu, Literaturwissenschaftler, Philosoph und Theologe, ging im Anschluss an Prof. Dr. Richard Sturn auf den Resilienzbegriff und seine große Stärke – seine präkoloniale Herkunft – ein. In seinem Vortrag mit dem Titel „Krisen, Resilienz und Zukunftsfähigkeit – Betrachtungen aus einer postkolonialen Perspektive“ betonte er, dass das koloniale Erbe unflexible und asymmetrische Abhängigkeiten verstärkt und so der Innovations-Logik durch fehlende Diversifizierung im Kapitalismus fatale Grenzen setzt. Nicht zu vernachlässigen sei die Tatsache, dass nicht nur Gewinne, sondern auch Verluste und Risiken jeglicher Art, die durch die bedingte Externalisierung von wirtschaftlichem Wachstum einhergehen, massiv ungleich verteilt seien. Dementsprechend sei der ehemals kolonialisierte Globale Süden weitaus häufiger Risiken ausgesetzt. Vorkoloniale Resilienzmuster im gesellschaftlichen Handeln stellten aus diesem Grund eine wichtige Ressource für das Gemeinwesen dar. Resilienz bedeutet laut Dr. Boniface Mabanza Bambu nicht kurzfristige Robustheit, sondern ständiger Wandel im Sinne der Stabilisierung von Lebensgrundlagen. Sie sei somit ein Garant der Zukunft. Aus diesem Grund fordert Bambu dringend eine Dekolonialisierung aller Lebensbereiche und einen Bruch im dualistischen Denken. Ein “Weiter so” sei nicht möglich. Darüber hinaus plädiert Boniface Mabanza Bambu für eine neue Art des Miteinanders, indem gemeinsam nach dem Bottom-Up-Prinzip die Vielfalt an und in Gesellschaften in den Fokus gerate und die Weichen für eine zukunftsfähige, dekoloniale und resiliente Weltgemeinschaft gelegt würden.

Eine weitere Perspektive stellte Prof. Dr. Stefan Bauberger SJ vor. Er befasste sich mit der Fragestellung: “Gesellschaftliche Resilienz durch Spiritualität – Wie können wir mit Angst und Wut angesichts von Klimakrise und Krieg umgehen?”. Baumberger ist Jesuit, katholischer Priester und Zen-Meister sowie Professor für Naturphilosophie, Grenzfragen der Naturwissenschaft und Wissenschaftstheorie an der Hochschule für Philosophie in München. Er machte auf zwei Verirrungen aufmerksam, die aus der Spiritualität entspringen und für ihn keine Resilienz darstellen: Zum einen sieht er die Gefahr in einer konsequenten Trennung vom Transzendenten und dem Hier und Jetzt und zum anderen in der “direkten Übersetzung” von spiritueller Transzendentalität in das Diesseits. Aus Ersterer resultiere leicht das falsche Verständnis allein im Transzendenten die Erfüllung finden zu wollen, statt zugleich auch das Glück im Diesseits anzustreben, weshalb Ungerechtigkeiten hingenommen würden. Zweitere wird im Selbstoptimierungstrend deutlich, der durch spirituelle Methoden Erwartungen an sich selbst an transzendente Vorstellungen knüpft. Diese ausschließliche Fixierung auf das individuelle Wohl stehe der Verbundenheit mit der diesseitigen Welt und ihren Problemen im Weg. In solch einem Kontext angewendet könnten Praktiken wie Meditation und Achtsamkeitsrituale auch negative Auswirkungen haben: trotz widrigster Umstände immer weiter zu funktionieren, anstatt die Rahmenbedingungen für alle zu ändern.

Spiritualität und Transformation zusammendenken

Für Bauberger bedeutet Resilienz nicht die Stabilisierung eines Systems, sondern gerade die Kraft zur Veränderung. Nur in der Verknüpfung von Spiritualität und Transzendenz könne Letztere eine positive, bekräftigende Wirkung entfalten. Durch das Bewusstmachen, dass das Göttliche immanent ist und spirituell im Hier und Jetzt zugänglich wird, könne im Krisenmodus eine “kognitive Flucht ins Individuelle und ins Leben-Danach” verhindert werden und gleichzeitig das “Gefühl des Eingebunden-Seins”, Verantwortungsbewusstsein und gesellschaftliches Engagement stärken.

Dr. med. Gudrun Andrea Hoffmann, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie für Kinder und Erwachsene, Psychoanalytikerin, Kinderpsychiaterin und Kinderärztin, sprach zum Thema “Salutogenese gestaltet die Zukunft – Migration, Kinderarmut und Lockdown – Prävention für ein gesundes Heranwachsen”. Zuerst führte sie in das Modell der Salutogenese nach dem Gesundheitswissenschaftler Aaron Antonovsky ein, das sich aus der Frage gründet, wie Menschen trotz Krisen gesund sein können und wie deren Gesundheit gefördert werden kann. Außerdem machte sie auf unterschiedliche Weise deutlich, wie wichtig und notwendig es für eine resiliente Gesellschaft sei, für das Wohlbefinden der Kinder einzutreten. Hoffmann hält eine staatliche Sicherung des Kindeswohles für unabdingbar.

Der Resilienzbegriff aus der Perspektive der Psychologie wurde durch Dr. phil. Dipl. Psych. Wolfgang Schmidbauer noch intensiver beleuchtet. Schmidbauer, Psychoanalytiker und Autor, verdeutlichte in seinem Vortrag “Das Dilemma von Risiko und Resilienz – Unser Immunsystem funktioniert am besten, wenn wir glauben: Alles wird gut” die Macht der Angst und zeigte, wie wichtig positives Denken für das Gesundsein ist. Er veranschaulichte seine Argumentation unter anderem mithilfe sprachlicher Bilder von Beipackzetteln und  Aufklärungsgesprächen. Die Fähigkeit zur psychischen Resilienz sei angeboren, so Schmidbauer. Sie könne demzufolge nicht trainiert, sondern nur abtrainiert werden. Seine Beschreibung der Resilienz, die sich im Zukunftsoptimismus als “Toleranz zum Durchwurschteln” äußere, fand großen Anklang und wurde mehrmals im Laufe der Tagung aufgegriffen.

Prof. Dr. Wolfgang Dietrich, Historiker, Jurist, Politologe, Friedensforscher und Gründungsdirektor des Master-Lehrgangs für Frieden, Entwicklung, Sicherheit und Internationale Konflikttransformation an der Universität Innsbruck, ergänzte die Tagung mit seinem Beitrag “Die Philosophie der vielen Frieden – Risiko und Chance” um eine andere Perspektive. Ausgehend vom Friedensbegriff, der in seinem Wesen dynamisch und beziehungshaft sei, machte er auf die Macht von Sprache aufmerksam. Jene schaffe zwar keine Realität, aber rahme das jeweilige Weltbild ein. Dabei prangerte Prof. Dr. Wolfgang Dietrich besonders den vorherrschenden modernen Friedensbegriff an, der durch die einseitige Bedeutungszuweisung den vielschichtigen Friedensbegriffs verenge. Hierbei stehe der negative Friedensbegriff im Sinne von der bloßen Abwesenheit von Krieg durch das Garantieren von Sicherheit und Gerechtigkeit im Vordergrund. Der dabei deutlich werdende Dualismus stelle ein tief verankertes Denkmuster dar, das es im Sinne der Resilienz aufzubrechen gelte. Aus diesem Grund forderte er unter anderem eine veränderte Grammatik, die den vielseitigen Anforderungen unserer Welt eher gerecht werde und wozu “der/die/das Frieden” beitragen könnte. In seinen Aufsätzen plädiert Dietrich für einen transrationalen Friedensbegriff, der einen modernen wie postmodernen, einen moralischen und energetischen Friedensbegriff auf individueller wie gesellschaftlicher Ebene vereint.

Resilienz – ein “depolitiserendes” Konzept?

Mo aus Hamburg, Waldbesetzer:in im Dannenröder Forst und darüber hinaus organisiert in diversen gemeinschaftlichen queer-feministischen Kollektiven, berichtete in einem bewegenden Vortrag über persönliche Risiken, um gesellschaftliche Risiken zu mildern. Aus der Perspektive einer Waldbesetzung schilderte Mo das gemeinsame Handeln im Sinne einer gerechteren Zukunft. Gerade an Orten der Zerstörung fänden sich Menschen zusammen, die Angst und Hoffnung in Bezug auf die Zukunft eine. In der Gemeinschaft, im kreativen Ausprobieren, Reflektieren und wiederholten Innehalten liegt für Mo der Schlüssel zur Resilienz. Je diverser eine Gemeinschaft sei, desto resilienter sei sie und je weniger Hierarchien es in ihr gebe, desto höher sei die Handlungsfähigkeit. Mos persönlicher Bericht ließ die Teilnehmenden nachhaltig beeindruckt zurück und wurde noch oft im weiteren Tagungsverlauf aufgegriffen.

PD Dr. Stefanie Graefe widmete sich in ihren Vortrag zu “Resilienz im Krisenkapitalismus – wider das Lob der Anpassungsfähigkeit” der Systemkritik. Graefe, Privatdozentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena, bezeichnete Resilienz nicht nur als einen Begriff, sondern als ein mit der Zeit entstandenes Handlungskonzept, mitunter sogar als ein “depolitisierendes” Konzept, sobald es zur generalisierenden politischen Handlungsnorm wird. Als “Verhaltensprävention, nicht Verhältnisprävention” bezeichnete sie diese Handlungsnorm, die gesellschaftliche Missstände an das Individuum zurückdelegiert und somit ein defektes System am Leben hält. Darüber hinaus lieferte Graefe den theoretischen Hintergrund zum Resilienzkonzept und bezog sich sowohl auf die Kauai-Studie, die älteste und bekannteste Studie zur Resilienz, welche die Auswirkungen von schwierigen Umständen in der frühen Kindheit auf die spätere Entwicklung der Kinder untersuchte (vgl. Werner und Smith 1989)[1], als auch auf die Ökosystemtheorie. Sie problematisierte ein Resilienzverständnis, das von der Kraft, die im Unglück liegt, ausgeht und eine “tragedy into blessing” formt.

Diese Perspektive bildete einen wichtigen Abschluss auf das komplexe Thema der Resilienz und eine gute Überleitung zur abschließenden Diskussionsrunde “Resiliente Systeme, resiliente Gesellschaft” mit Statements von Mag. Christian Felber, Prof. Dr. Mechthild Schrooten, Dr. Boniface Mabanza Bambu und Katharina Hirschbrunn.

Als Auftakt gab Mag. Christian Felber, Buchautor, zeitgenössischer Tänzer, Initiator der “Gemeinwohl-Ökonomie” und der “Genossenschaft für Gemeinwohl” in Wien, einen Input zu dem Konzept der Gemeinwohlökonomie als Vorschlag eines resilienten Wirtschaftssystems im Gegensatz zur “freien” Marktwirtschaft der Neoklassik. Im Mittelpunkt der Kritik steht die Ausrichtung von Wirtschaft und Gesellschaft auf das BIP, das ausschließlich Auskunft über den monetären Wert bietet. Als Alternative hierzu soll das Gemeinwohlprodukt dienen. Wichtige Inspiration seien natürliche Ökosysteme, die in ihrer Nicht-Linearität, Multikausalität und autonomen wie interaktiven Beschaffenheit resilient sind.

Die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem Begriff und Konzept der Resilienz schärfte den Blick auf das Wesentliche, was eine zukünftige Gesellschaft auszeichnen sollte. Demnach ist ein “Fließgleichgewicht”, in Anlehnung an resiliente Systeme innerhalb der Ökologie, unerlässlich, um den gegenwärtigen Problemstellungen angemessen zu begegnen. Vorstellungen des gemeinsamen Handelns und Reflektierens im Sinne einer Fehlerkultur, gepaart mit unvoreingenommenem Austausch zwischen allen Ebenen und Kulturen, markieren eine Abkehr von derzeitigen Abschottungstendenzen rund um den Globus und könnten Gesellschaften resilient machen.

Jule Eckert, Johanna Reichenbach

 

 

Literatur:

Faltermaier, T. (2020). Salutogenese. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.). Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.

https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i104-2.0

Werner, Emmy E.; Smith, Ruth S. (1989): Vulnerable, but Invincible. A Longtitudinal Study of Resilient Children and Youth. New York: Adams Bannister Cox.

[1] Werner, Emmy E.; Smith, Ruth S. (1989): Vulnerable, but Invincible. A Longtitudinal Study of Resilient Children and Youth. New York: Adams Bannister Cox.

Bild: Der Psychologe, Psychoanalytiker und Autor Wolfgang Schmidbauer während seines Vortrags über das Dilemma von Risiko und Resilienz. (Foto: Gugger / eat archiv)

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