Die Reparatur – eine Kulturtechnik

Prof. Wolfgang M. Heckl ist seit 2004 Generaldirektor des Deutschen Museums in München – und ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft, Kommunikation und Kunst. Mit einem Föhn aus Bakelit in der Hand kam er am 12. März in die Münchner Erlöserkirche um auf Einladung der Evangelischen Akademie Tutzing und ihres Freundeskreises eine Kanzelrede über “Die Kultur der Reparatur” zu halten. Darin legte er dar, warum der Akt des Reparierens weit über die Funktionstüchtigkeit von Dingen hinausgeht.

Begrüßungsrede von Akademiedirektor Udo Hahn hier nachlesen.
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“Die Kultur der Reparatur” – das Thema der Kanzelrede des Experimentalphysikers, Nanowissenschaftlers und Experten für Wissenschaftskommunikation Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl griff den Titel seines Buches aus dem Jahre 2013 auf. Der Band hat seither nichts an Aktualität eingebüßt, im Gegenteil.

Auf der Kanzel der Erlöserkirche in München-Schwabing legte Heckl, der seit 2004 Generaldirektor des Deutschen Museums München ist, dar, warum Reparieren weit mehr bedeutet, als Dinge wieder funktionstüchtig zu machen.

Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, sagte in seiner Begrüßungsrede (hier vollständig nachlesen): “Was sich nach leidenschaftlicher Bastelei im Hobbyraum anhört, hat einen ernsten Grund. Wir können mit unserem verschwenderischen Lifestyle so nicht weitermachen. Er ist nicht gut für die, die ihn sich leisten können – und schon gar nicht für all jene, auf deren Kosten er geht.”

Wolfgang Heckl nahm in seiner Rede direkt Bezug darauf. 16,1 Tonnen Rohstoffe verbrauche jeder Mensch in Deutschland pro Jahr. In Relation zu den vorhandenen Ressourcen auf der Erde sei klar: “Die Idee des Wachstums wird längerfristig nicht aufrechterhalten werden können.” Allein aus Gründen der Nachhaltigkeit und mit dem Wissen, dass der Mensch eingebettet sei in den Kreislauf der Natur, könne es nicht so weitergehen, dass die Menschen mehr Dinge kaufen, als sie benötigen und Rohstoffe verschwenden, in dem sie Dinge wegwerfen, statt sie zu reparieren. Heckls Anliegen: “Ich möchte die Reparatur in die Mitte der Gesellschaft holen.” Er ist dafür, Rohstoffe so zu nutzen, dass sie in einer Kreislaufwirtschaft bleiben.

“Wir müssen einen Ausweg finden”, mahnte Heckl. Kunststoffe und Polymere etwa seien ein Werkstoff, dessen Vorteile in seinen Fähigkeiten zur Verformbarkeit stecken, hätten allerdings den großen Nachteil, dass sie nur schwer abbaubar sind. Durch die Abfälle ist Mikroplastik mittlerweile in Lebensmitteln und Trinkwasser vorhanden. “Wir essen pro Woche eine Kreditkarte”, veranschaulichte Heckl die Mengen an Mikroplastik, die durch Nahrungsaufnahme in den menschlichen Organismus gelangen.

Eine Kehrtwende sei nur zu erreichen, wenn weiter an Technologien gearbeitet werde, die die Nachhaltigkeit auf der Erde im Blick haben, das Wachstum gestoppt und wenn verstärkt auf eine Kultur der Reparatur gesetzt werde, die noch vor dem Recycling kommt.

Reparieren – auch ein soziales Projekt

In seiner Begrüßung war Akademiedirektor Hahn bereits auf den kulturellen Aspekt des Reparierens eingegangen: “Reparieren als Kulturleistung zu würdigen, kann gar nicht oft genug geschehen. Manchmal, so scheint es mir, wird vieles mit Kultur in Verbindung gebracht, als müsste und könnte es dadurch mehr Gewicht bekommen. So wird immer wieder die ‘Kultur des Zuhörens’ beschworen, eine ‘Kultur der Wertschätzung’ gefordert und für eine ‘Kultur des Erinnerns’ plädiert. Dabei handelt es sich doch hier eigentlich um Selbstverständlichkeiten. Aber wenn das Selbstverständliche in der Gefahr ist, verloren zu gehen, ist es geradezu zwingend, es mit Kultur in Verbindung zu setzen. Es signalisiert nämlich: Wesentliches fehlt, wo Zuhören, Wertschätzung und Erinnern nicht mehr vorhanden sind. Dieser Kulturverlust zerstört unsere Gesellschaft, unsere Demokratie – alles, was uns lieb und wert ist und was wir zum Leben und zum Überleben brauchen.”

Für Wolfgang Heckl ist Reparieren neben der Kulturtechnik auch ein soziales Projekt. Gleichgesinnte Menschen kämen auf diese Art und Weise in einen Austausch, der auch das Verständnis logischer Kreisläufe und technischer Funktionsweisen fördert. In den Repair-Cafés, deren Verbreitung Wolfgang Heckl maßgeblich gefördert hat, würden sich nicht nur Menschen mit ihren Dingen treffen, sondern hier werde auch besprochen, wie man in Zukunft miteinander leben möchte.

Das fördere nicht nur die Achtung vor den Dingen (Heckl hatte selbst einen alten Föhn aus Bakelit dabei und trug den 100 Jahre alten Anzug seines Großvaters), es fördere auch die Achtung der Menschen voreinander. Sinnbildlich fragte er: “Warum sind Oma und Opa noch zusammen? – Weil sie gelernt haben, zu reparieren.”

Neben dem Ende der Idee des Wachstums, das Heckl fordert und dem Naturprinzip auf dem die Reparatur beruht (Stichwörter Körper, Enzyme, Zellen, Entropie), sieht der Wissenschaftler im Reparieren auch ein Erziehungsprinzip. Es fördere das analytische Denken und Verstehen von Zusammenhängen sowie die Kreativität. Darüber hinaus steht die Reparatur für ihn für einen niederschwelligen Zugang zur Welterkenntnis, für Teilhabe an Zukunftsgerechtigkeit – und für Glück.

Im Zusammenhang mit letzterem beschrieb er ausführlich, wie er zu Hause die Toilettenspülung auseinandergebaut habe, Schwimmer und Hebelwirkungen dabei beobachten konnte – und Glück verspürte. “Wissen, was dahintersteht” sieht Heckl sowohl als Motivation als auch als pädagogisches Konzept.

Von der Politik fordert Heckl ein Recht auf Reparatur. Es sieht unter anderem vor, dass Ersatzteile von Geräten 20 Jahre vorrätig sein sollten und Gebrauchsanweisungen aller technischer Geräte kostenfrei im Internet abrufbar sein sollten. Auch die Ökologie von Produkten sei ein entscheidender Punkt. Mit Zustimmung berichtete Heckl, dass das Recht auf Reparatur mittlerweile die Europäische Kommission beschäftige.

Im Gespräch mit dem Publikum im Anschluss an die Kanzelrede ging Wolfgang Heckl noch auf weitere Aspekte des Reparierens und die Kommunikation von Wissenschaft ein.

Achtsam mit sich selbst, den Dingen, den Menschen und der Natur zu sein, ist für Heckl zentral. Über Fragen, wie unser Leben verbessert werden kann – und was es zu reparieren gilt – zu verzweifeln, ist ihm gleichermaßen fern. Als Reparierer ist er lösungsorientiert: “Wo die Gefahr wächst, wächst auch das Rettende.”

Dorothea Grass

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Aufmacherbild: eat archiv

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