“Covid-19 – Wie gut und allmächtig ist Gott?”

Die Ungewissheit nagt an allen, formulierte Studienleiter Dr. Jochen Wagner ein Grundgefühl dieser Tage. Das ist jedoch nicht erst seit Corona der Fall, sondern war schon immer so. Gott und das Leiden: Zeit für eine aktuelle Standortbestimmung im Rahmen einer Online-Veranstaltung der Evangelischen Akademie Tutzing mit Pfarrerin Dr. Sabrina Hoppe und Prof. Dr. Markus Buntfuß.

Warum Erdbeben, Naturkatastrophen, Krieg und Flüchtlingselend, Flugzeugabstürze? Warum Auschwitz und Hiroshima? Warum musste die Mutter von zwei Kindern unheilbar an Krebs erkranken? Warum fiel das 10-jährige Mädchen einem Sexualverbrechen zum Opfer? Und seit mehr als einem Jahr: warum Corona? Die Pandemie lässt die Welt ihre Ohnmacht spüren. Das Virus wirft viele Fragen auf. Auch die nach Gott. Oder doch nicht?

“Eher nicht”, so der Eindruck von Pfarrerin Sabrina Hoppe. In den seelsorgerlichen Gesprächen, die die promovierte Theologin führt, spiele Gott kaum eine Rolle. Die Menschen hätten keine Zeit, sich über ihn Gedanken zu machen, fasst die Seelsorgerin ihre Beobachtungen zusammen. Die alltäglichen Nöte seien gewichtiger – und der eigene Beitrag zur Lösung. In der Online-Veranstaltung “Covid-19 – Wie gut und allmächtig ist Gott?” sagte sie, “die Frage nach Gott steht in der Pandemie nicht im Vordergrund”. Die Fragen nach dem Woher und Wohin rund um Corona richteten die Menschen nicht an Gott, sondern an sich selbst. “Wie kommen wir da raus?”, sei die Frage, denn: “Wir sind selbst die Problemlöser.” So empfänden es viele. Wer so argumentiere, halte Gott freilich aus dem Thema raus. Natürlich spüre sie, dass die Frage nach Gott in allem Leiden mitschwinge, aber sie werde nicht explizit gestellt.

Selbsterlösung ist das Thema

Viele junge Menschen richteten die Schuldfrage an sich selbst, wenn sie etwas nicht schaffen. Dann heiße es oft, “ich bin nicht gut genug”, “ich mache zu wenig Yoga”. “ich trinke zu wenig Smoothies”, “ich führe kein Dankbarkeitstagebuch”. Achtsamkeit werde zum Druck, so die Pfarrerin. Stress durch Selfcare. “Die Menschen leben in einer Welt, in der Selbsterlösung das Thema ist.” Und die Frage, ob Gottvertrauen in der Krise helfen könnte, werde so verstanden, dass sie naiv und sorglos mache. “Welche Art Vertrauen ins Leben können wir entwickeln, um der Angst und der Schuld etwas entgegensetzen zu können?” Gute Frage!

Prof. Dr. Markus Buntfuß lehrt Systematische Theologie an der Theologischen Hochschule Augustana in Neuendettelsau. Er konstatiert, dass die Pandemie die Menschen auf allen Ebenen herausfordere und uns mit Krankheit, Tod und Trauer konfrontiere. Die Frage nach Gott und warum er das Leid zulasse, warum die Schwächsten am meisten Leiden müssten und die Reichen profitierten, beschäftige die Menschheit schon immer.

Es geht um die Theodizeefrage, die Rechtfertigung Gottes angesichts des Leidens. Die Debatte um eine rationale Erklärung des Theodizee-Problems ist nach Buntfuß‘ Überzeugung jedoch “theologisch unlösbar”. Die Dogmatik habe hier zwar keine Erklärung, der Glaube sei aber nicht sprachlos. Er biete im Blick auf das Negative die Möglichkeit, damit umzugehen und eine Haltung zu entwickeln. Der Glaube, der verstehen will, stoße immer wieder auf Unverständliches. Glauben heiße vertrauen, das nicht im Denken aufgehe. “Geht Vertrauen verloren, kann kein noch so guter Gedanke den Glauben stützen”, so der Theologieprofessor.

Warum lässt Gott Leiden zu? Ist unser Schicksal vorherbestimmt? Wenn es so wäre – was wäre das für eine willkürliche Macht, der wir bedingungslos ausgeliefert sind? Solange alles gut geht, ließe man sich das gefallen. Aber wenn das Gegenteil passiert, das wäre grausam – und Gott ein Tyrann. Wenn das Schicksal nicht vorherbestimmt ist, dann herrschte der blinde Zufall. Das Leben wäre dann einem Glücksspiel vergleichbar – und Gott ein ohnmächtiger Zuschauer. Wie aber ist das zu deuten, was mir widerfährt? In der Bibel kommt der Begriff “Schicksal” nicht vor. Aber das Buch Hiob im Alten Testament erzählt eine Geschichte, in der Gott sich rechtfertigen muss, warum einer alles verliert, obwohl er doch ein Gott wohlgefälliges Leben führt. Wie soll man da das Böse erklären?

Die Frage nach dem Leiden verstummt nicht

Wie Markus Buntfuß ausführte, scheiterten rationale Erklärungsversuche. Gott antwortet nicht auf die Anklage des Hiob. Stattdessen der Hinweis, die Schöpfung sei großartig, abgründig und unerklärlich. Und wie reagiert Hiob? Am Ende sind ihm seine Fragen nicht mehr wichtig. Er besteht, so Prof. Buntfuß, nicht mehr auf einer Antwort. Er wird vom Zwang, etwas erklären zu müssen, was sich nicht erklären lässt, befreit.

Die Frage nach dem Warum des Leidens verstummt damit jedoch nicht. Auch Jesus wurde diese Frage gestellt, als ein Turm eingestürzt war und 18 Menschen dabei ums Leben kamen. Hatten die Getöteten mehr Schuld auf sich geladen als die anderen? Er antwortet mit nein. Doch der Sinn des Unglücks erschließt sich damit keineswegs. Vielmehr deutet Jesus das Geschehen als Mahnung für die Überlebenden: “Wenn ihr nicht Buße tut, werdet ihr auch alle umkommen” (Lukas 13,5).

Der Beter des 73. Psalms fragt nach der Gerechtigkeit Gottes angesichts des Wohlergehens der Gottlosen. Warum muss der Glaubende leiden? Und kann man da überhaupt noch an Gott glauben? Der Psalmbeter erkennt, dass ein Leben in Saus und Braus nur ein kurzes Glück ist. Worauf es ankommt, und was tröstet, ist die Haltung des “Dennoch”: “Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei deiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde. Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil. Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf Gott den Herrn, dass ich verkündige all dein Tun” (Psalm 8,23-26.28).

Auch Jesus hat schon die Theodizee-Frage gestellt. In der Situation seines schlimmsten Leidens am Kreuz mit den Worten eines Psalms (22,2): “Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?” (Mk 15,34; Mt 27,46)

Das eigene Leben deuten

Dass in der Bibel etwa Seuchen als Strafe Gottes gedeutet wurden, ist nach Auffassung von Prof. Buntfuß Ausdruck einer vormodernen Gesellschaft. Moderne Gesellschaften suchten nach natürlichen Erklärungen. “Der Glaube hat heute nicht mehr die Funktion der Welterklärung.” Als individuelle Lebensdeutung bleibe er aber bedeutsam.

Wie das gehen könnte, beschrieb Sabrina Hoppe mit diesem Gedanken: Gott so viel zuzutrauen wie der Liebe. Sie könne Schranken überwinden, Gräben überbrücken. Kann sie alles? Auch auferwecken? Ja – im metaphorischen Sinne.

Auf den Gedanken der Allmacht Gottes möchte Markus Buntfuß allerdings nicht verzichten. Was soll ein Gott bringen, der nur mitleidet? Es brauche schon einen Gott, der Durchsetzungsvermögen hat. Die religiöse Sprache symbolisiert für den Theologieprofessor Grundängste und Grundhoffnungen. Sie erklärten keine Pandemie, sie könnten aber helfen, das eigene Leben zu deuten. Buntfuß erinnerte in diesem Zusammenhang an Dietrich Bonhoeffers Gedicht von den guten Mächten. Sie sorgten für das Gefühl von Geborgenheit – auch wenn Gott den bitteren Kelch des Leidens reicht, wie es der im Konzentrationslager Flossenbürg ermordete Bonhoeffer poetisch formulierte als tatsächliche Leiderfahrung. Für sich selbst könne er die Geborgenheit im Leiden durch die guten Mächte beschwören, so Buntfuß. Als Deutung des Weltgeschehens sei das aber nicht möglich.

Sabrina Hoppe knüpfte hier an und sagte: “Leiden führen mich an die Grenze meines Seins, wo Gottes Nähe und Ferne greifbar wird.” Oder: Gott kann die Scherben meines Lebens zu etwas Neuem zusammenfügen. Mit den Worten der Pfarrerin: “In den Scherben ist nicht nur Kaputtes, sondern auch das Heile.”

Oder mit der Mystikerin Catarina von Siena gesprochen: “Mein Gott, wo warst du, als mein Herz in Finsternis und Todesschatten war?” In ihrer Klage vernahm sie als Antwort, wie sie schreibt: “Meine Tochter, hast du es nicht gespürt? Ich war in deinem Herzen.” Gott ist da – das ist der Trost und die Hoffnung des Glaubens.

Udo Hahn

Der Autor leitet die Evangelische Akademie Tutzing.

 

Bild: Dr. Jochen Wagner, Dr. Sabrina Hoppe und Prof. Dr. Markus Buntfuß während der Online-Veranstaltung “Covid-19 – Wie gut und allmächtig ist Gott?”. (Screenshot: eat archiv)

Tags: , , , , , , , , ,