Drei Fragen an Alix Michell zur Tagung “Status Quo: Internet”

Was wurde aus dem Traum der absoluten Demokratie und Informationsfreiheit im Netz, die J.P. Barlow in seiner Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace skizzierte? “I come from Cyberspace, the new home of Mind”, schrieb er 1996. 26 Jahre später fragt Studienleiterin Alix Michell in einer Tagung vom 13.-15. Mai: Wo endet der Mythos, wo beginnt die Realität? 

 

Was sind denn zentrale Aspekte von Utopien der frühen Internet-Community gewesen?

Alix Michell: Man kann angesichts der Netz-Community aus den 1980er, 1990er Jahren von einer regelrecht euphorischen Aufbruchsstimmung in ein neues Land sprechen, eben in den Cyberspace. Man träumte von einem neuen Raum, in dem sich eine neue virtuelle Gesellschaft auf neue Weise entwickeln könnte.

Diese Gesellschaft müsse nicht durch etablierte Institutionen geregelt und reguliert werden, man vertraute auf eine Netiquette und auf das Gute im Menschen, das den Umgang miteinander prägen würde. Doch mehr als das: Barlow schreibt es so beispielsweise in seiner Unabhängigkeitserklärung des Internets, etablierte Institutionen wie staatliche Einrichtungen wurden nicht nur als nicht nötig bezeichnet, sie waren regelrecht unerwünscht: Das Unrecht und Leid in der physischen Welt wurde als Beweis des Versagens traditioneller Strukturen gesehen, Strukturen, die Armut, Leid und Gewalt hervorbringen. Der Cyberspace als neuer Raum sollte dem Menschen den Freiraum geben, Fairness und Gemeinschaftssinn auszuleben.

Auf dieser Basis strebte man nach Demokratisierung auf allen Ebenen – Mitbestimmung, Austausch und einer freien Informationsgesellschaft mit einem möglichst breit aufgestellten Wissen, das jedermann und jederfrau zugänglich sein sollte.

Und was ist daraus geworden?

Puh, das ist eine ganz schön komplexe Frage – zu komplex für dieses Format, aber darum veranstalten wir ja die Konferenz Mitte Mai.

Natürlich ist das Internet, von dem wir heute sprechen, ein ganz anderes als der Cyberspace vor gut dreißig Jahren. Es ist kommerzialisiert, privatisiert und hat sich zum wesentlichen Bestandteil vieler Aspekte unseres Alltags entwickelt.

Parallel dazu wollen wir uns im Rahmen der Tagung exemplarisch ganz konkret Ideen widmen, wie etwa der Informationsfreiheit oder dem Gedanken, dass der Mensch gut handle, wenn ihm nur die Freiheit dazu gegeben sei.

Neben dem freien Zugang zu Wissen und enzyklopädischen Projekten, wie beispielsweise Wiki-Plattformen, hat sich eine Flut an Informationen entwickelt, die von jeder Person allen Interessierten zugängig gemacht werden kann und die überhaupt keinen Prüfungsmechanismen unterliegen. Das birgt gleichermaßen Potenziale für demokratische und/oder emanzipatorische Prozesse wie auch für Desinformationsstrategien.

Auch das Konzept der Netiquette konnte sich nur eingeschränkt durchsetzen. Wir alle kennen oder erahnen zumindest die Ausmaße von Hass und Gewalt im Netz.
Doch das sind alles nur einzelne, wenige Stichworte – im Zuge der Tagung wollen wir dahinter schauen, fragen, welche komplexen Dynamiken zwischen diesen und anderen Punkten auf welche Weisen agieren und welche Lösungsstrategien es für entstandene Probleme geben könnte.

Und welche Fragen stehen jetzt an?

Eine Frage, die uns nicht zuletzt vor Datenschutz- und Privatheitsdiskursen im Zusammenhang mit der Digitalisierung auch schon länger beschäftigt, ist die Frage nach dem Verhältnis von Staat, Gesellschaft und ökonomisch orientierten Unternehmen: Wem obliegt hier welche Verantwortung und für wen? Unternehmen wie Facebook etwa weisen ja in weiten Teilen Verantwortung für das, was auch auf ihren Plattformen Unschönes passiert, ab. Staatlich wiederum ist es auf internationaler Ebene kompliziert, regulierend einzugreifen, ganz vereinfacht gesprochen.

Auch könnte man fragen, ob das World Wide Web heute überhaupt noch ein Raum für Utopien sein kann – oder ob sich diese nicht etwa wieder in den physischen Raum verlagern – in die Natur beispielsweise?
Und dann lohnt sich sicher auch ein Blick auf geglückte Utopien und wir können fragen – warum hat es hier funktioniert, was können wir davon lernen?

Die Fragen stellte Dorothea Grass.

→ “Status Quo Internet”, Tagung vom 13. bis 15 Mai 2022: Programm und Informationen zur Anmeldung hier abrufen

Bild: Studienleiterin Alix Michell (Foto: Haist/ eat archiv)

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