Zum 70. Geburtstag von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Freiheit und Demokratie – das sind die Lebensthemen der Juristin, früheren Bundesministerin und langjährigen Parlamentarierin. Nach ihrem Ausscheiden aus der Politik ist ihre Stimme nicht leiser geworden, ihr Engagement nicht weniger, auch im Kuratorium der Evangelischen Akademie Tutzing. In diesem Beitrag würdigt Akademiedirektor Udo Hahn die Leistung von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger – und gratuliert ihr im Namen der gesamten Einrichtung.

Sie ist couragiert – und konsequent, wenn sich etwas gegen ihre Überzeugung entwickelt. 1996 trat die FDP-Politikerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger deshalb nach der Entscheidung der Koalition für den Großen Lauschangriff von ihrem Amt als Bundesjustizministerin zurück. Von 2009 bis 2013 übte sie es erneut aus. Courage und Konsequenz – in ihrem Auftreten ist sie der “Grande Dame” der Liberalen, Hildegard Hamm-Brücher, durchaus ähnlich. Wie wichtig gerade die innere Unabhängigkeit ist, wie sie Freiräume im Denken und in der Urteilskraft schafft – an beiden Persönlichkeiten lässt sich das studieren. Am 26. Juli feiert Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ihren 70. Geburtstag.

Freiheit und Demokratie sind die Lebensthemen der Juristin, die auch als Richterin am Bayerischen Verfassungsgerichtshof tätig ist und sich in der überparteilichen Theodor Heuss Stiftung als stellvertretende Vorsitzende engagiert. Freiheit und Demokratie sind nichts Selbstverständliches. Leutheusser-Schnarrenberger war dies immer bewusst. Und ihr Frühwarnsystem funktioniert. Sie findet klare Worte, was sie zu einer gefragten Gesprächspartnerin macht. Und sie formuliert auch schon mal drastisch, wie im RotundeTalk der Evangelischen Akademie Tutzing vor einem Jahr (hier ansehen). Da bezeichnete sie die Behauptung, wir lebten in einer Diktatur, als “Schwachsinn”. Wer so etwas behaupte, wolle ein “anderes System” und nutze die Verunsicherung der Menschen. Deshalb könne man aber keine Versammlungen verbieten. Die Versammlungsfreiheit sei ein “existenzielles Grundrecht”.

Anlass zur Sorge gibt ihr die Entwicklung in Ländern wie Ungarn und Polen. Die Bemühungen dort, eine illiberale Demokratie zu etablieren, seien eine Herausforderung für den Zusammenhalt in Europa. Eine Gefahr für Deutschland sehe sie zwar nicht, denn unsere Demokratie sei “gefestigt und wehrhaft”. Wachsamkeit sei das Gebot der Stunde. Verschwörungsmythen, vor allem aber Rassismus und Antisemitismus stellten einen Angriff auf unsere offene Gesellschaft dar. Dieser Entwicklung müssten Rechtsstaat und Zivilgesellschaft entschlossen begegnen. Ihre Expertise hat Gewicht. Und sie stellt sich auch ganz persönlich dieser Auseinandersetzung. So ist sie seit Januar 2019 ehrenamtliche Antisemitismusbeauftragte des Landes Nordrhein-Westfalen.

Ein weiteres Thema, für das sie sich seit Jahren starkmacht, ist die Datensicherheit. Die Bedenken gegen die Europäische Datenschutz-Grundverordnung teile sie nicht, sagte Leutheusser-Schnarrenberger im RotundeTalk. Im Gegenteil: Die Menschen hätten ein Recht darauf. Selbstverständlich dürften Daten für kommerzielle Zwecke verwendet werden – im gesetzlichen Rahmen und im Rahmen der informationellen Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger. Als “undenkbar für unsere Verhältnisse” bezeichnete sie die digitalen Mittel, die China anwende, um Menschen auszuforschen und zu kontrollieren.

Aufmerksam und kritisch verfolgt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger die Belastungsprobe, auf die die Corona-Krise auf den deutschen Rechtstaat stellt. In der Online-Veranstaltung der Akademie unter dem Titel “Verändert die Pandemie die Gesellschaft?” (mehr dazu hier) plädierte sie dafür, die bestehenden Hygieneregelungen beizubehalten, aber die Grundrechte nicht zu beschränken. Eine Gratwanderung zwischen Schutz und Freiheit. “Wir müssen alles tun, um nicht in einen vierten Lockdown reinzukommen”, lautete ihr Plädoyer. Dennoch bleibe es ebenso wichtig, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit zu wahren.

Als studierte Rechtswissenschaftlerin, erfahrene Parlamentarierin und Politikerin stellt sie die Frage: Wie tief darf ein rechtlicher Eingriff in die Grundrechte ausfallen? Wie lange dauert er an? Dass es freiheitliche Einschränkungen über Monate gebe, dürfe nicht sein. Unbestritten sei auch, dass es eine derartige Situation in Deutschland noch nie gegeben habe. Ihre Kritik: Die Parlamente sind ihrer Meinung nach nicht ausreichend an den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie beteiligt worden.

Mahnende Worte der Juristin und Politikerin. Dass ihre Expertise weiterhin gefragt ist, daran besteht kein Zweifel.

Die Evangelische Akademie Tutzing gratuliert ihrem Kuratoriumsmitglied zum 70. Geburtstag!

Udo Hahn

Der Autor ist Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.

Bild: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im RotundeTalk der Evangelischen Akademie Tutzing im Sommer 2020 (Foto: eat archiv)

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