Wahrheit in der Krise

Falschinformationen als Bedrohung für freiheitliche Gesellschaften – damit beschäftigte sich im September die Tagung: “Desinformation – der Krieg im Innern”. Warum der Kampf um Wahrheit und Informationshoheit in den letzten Jahren härter geworden ist, wie sich die Lage in den mittel- und osteuropäischen Ländern darstellt und welche Rolle die Corona-Pandemie dabei einnimmt, können Sie hier nachlesen.

(Eindrücke der Tagung in Bildern finden Sie am Ende des Textes.)

Im Zeitalter der Digitalisierung sind demokratische Systeme zunehmend mit einem Problem konfrontiert, das in den vergangenen Jahren nochmal erheblich an Bedeutung gewonnen hat: der Kampf um Wahrheit und Informationshoheit. Von Trump in den USA, über Éric Zemmour in Frankreich hin zu Viktor Orbán in Ungarn und Mateusz Morawieczki in Polen – es finden sich weltweit politische Akteure, die sich von der Wahrheit als Grundlage des politischen Diskurses abgewandt haben. Welche Methoden dabei angewandt und welche Ziele verfolgt werden, sowie die Frage nach dem Umgang mit dieser Problematik waren Themen, die während der Tagung “Desinformation: Offene Gesellschaften, verborgene Kriege” weitreichend und mit einer großen Zahl internationaler Teilnehmender diskutiert wurden.

Die Verbreitung von Falsch- und Desinformationen, insbesondere im Internet, ist zu einem regelmäßigen Thema in den Schlagzeilen der internationalen Medien und zu einem Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden. Bei der Verbreitung von Falsch- und Desinformation handelt es sich jedoch nicht um ein rein zeitgenössisches Problem, auch wenn sich die Ziele und Methoden von Desinformationskampagnen mit dem Aufkommen des Internets und der sozialen Medien verändert haben. Desinformation scheint sich heute auf Manipulation und vor allem auf Verwirrung, Verunsicherung und Desorientierung zu konzentrieren. Infolgedessen wächst das Misstrauen in die demokratischen Grundsätze, wodurch Fehlinformation und Desinformation zu einer globalen Herausforderung werden.

Die Konferenz “Desinformation: Offene Gesellschaften, verborgene Kriege”, die vom 10. bis 12. September 2021 in der Evangelischen Akademie Tutzing stattfand (zum Programm), diskutierte das Thema Desinformation aus verschiedenen Perspektiven. Die Konferenz wurde von der Bundeszentrale für politische Bildung und der Evangelischen Akademie Tutzing (unter der Leitung von Kateryna Stetsevych und Alix Michell) organisiert und umfasste eine Vielzahl von Teilnehmenden aus ganz Europa, die aus der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der Politik kamen.

Die Konferenz behandelte drei Themenkomplexe:

I. Desinformation, Propaganda und ihre Geschichte

Die Konferenz befasste sich mit historischen Fragen, z. B. wie Propaganda und Desinformation in der Zeit vor und während des Kalten Krieges funktionierten, welche Akteure bestimmte Instrumente und Methoden einsetzten und welche davon auch heute noch Einfluss haben.

II. Desinformation – Technologien und Psychologie

Hacks, Push-Benachrichtigungen, Social Bots, Tracking – unser heutiges Leben wird von Begriffen beherrscht, die es vor 20 Jahren noch gar nicht gab und die zunehmend in unsere private und politische Welt eindringen: Die russische Einflussnahme in die US-Wahlen 2016 und 2020 sowie das Hacken von Regierungsstellen wie dem Deutschen Bundestag oder dem Bundeskanzleramt zeigen, wie fragil und leicht demokratische Institutionen zu manipulieren sind. 2019 stellte eine Studie der Universität Oxford fest, dass es in den vergangenen drei Jahren in mindestens 70 Ländern weltweit organisierte Desinformationskampagnen gab, die darauf abzielten, politische Gegner sowohl intern als auch extern zu diffamieren.

Die Diskussionen konzentrierten sich auf die Frage, wie datengestützte Desinformation funktioniert, wann und wie Einflusskampagnen organisiert werden, wie sie als Bestandteil hybrider Kriege interpretiert werden können und welchen Einfluss sie auf die internationale Sicherheit haben. Gibt es eine Art Grammatik der Desinformation, die jede Kampagne beschreiben kann? Unterscheiden sich die Methoden und Instrumente in nationalen Kontexten? Wenn ja, wie? Wie funktionieren sie technisch und wie können sie bekämpft werden? Wie können wir die Cybersicherheit in Europa gewährleisten, insbesondere angesichts der polarisierenden Machtstrukturen?

III. Desinformation während der Pandemie

Während der COVID-19-Pandemie haben die Desinformationsaktivitäten stark zugenommen. Verschwörungstheorien und Fehlinformationen haben sich in weiten Teilen der Bevölkerung verbreitet. Dies gefährdet nicht nur die öffentliche Gesundheit, sondern auch unseren Zusammenhalt als Gesellschaft. In einigen mittelosteuropäischen Ländern wie Ungarn und Polen, in denen sich bereits vor der Pandemie autokratische Tendenzen abzeichneten, wird die globale Pandemiekrise genutzt, um die demokratische Ordnung zu untergraben und die Grundrechte einzuschränken. Was kann getan werden, um der Desinformation in autoritären Staaten entgegenzuwirken? Wie können wir die Bürger:innen in diesen Ländern, in denen das Vertrauen in die demokratischen Institutionen ohnehin so zerbrechlich ist, aufklären? Welche Rolle können die Akteure der Zivilgesellschaft in diesem Prozess spielen?

Beat Ostermeier

Eine Zusammenfassung der Vorträge, Diskussionen und Kleingruppensitzungen, die an den einzelnen Konferenztagen stattfanden, können Sie in diesem PDF nachlesen.

Studienleiterin Alix Michell hat im Seefunken-Podcast der Evangelischen Akademie Tutzing ebenfalls von dieser Tagung berichtet. Sie können den Podcast hier anhören.

In Kürze folgen Video-Statements aus der Tagung (siehe YouTube-Kanal #EATutzing).

alle Fotos: Haist / eat archiv

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