Mehr Leben im Schlosspark!

Wer in diesem Sommer zu Gast in der Evangelischen Akademie Tutzing war, der konnte es nicht übersehen: Die englischen Rasenflächen waren hohen Wiesen mit gemähten Wegen gewichen. Die Akademie möchte mit dem Parkgelände, das Schloss Tutzing umgibt, eine Insel der Biodiversität schaffen.

Es ist Juni. Bienen summen, Insekten schwirren, Vögel singen und Schwalben sausen über blühende Wiesen. Mittendrin: Eine junge Frau, die ein feines Netz nach einer unbekannten Choreografie durch die Luft schwingt. Zehn Schwünge macht sie, abwechselnd von rechts nach links, zu einer festgelegten Tageszeit, an einer festgelegten Stelle im Park, der Schloss Tutzing, den Sitz der Evangelischen Akademie Tutzing, umgibt.

Die Frau heißt Saskia Ostner. Und was sie hier im Park macht, hat weniger mit Tanz zu tun, als mit Wissenschaft. Ostner ist Botanikerin und fertigt aktuell ihre Masterarbeit im Fach Ökologie an. Ihr Forschungsobjekt: die Biodiversität des zwei Hektar großen Geländes der Evangelischen Akademie Tutzing, das mit Schloss und Park unmittelbar an den Starnberger See grenzt.

Allein der Baumbestand ist eine Kostbarkeit: Mehr als zwanzig Arten, 36 von ihnen nachweislich über 100, vier bis zu 200 Jahre alt, wachsen hier auf dem denkmalgeschützten Anwesen. Darunter mehrere Ahorn-, Kiefer- und Buchenarten sowie Unterarten, Kastanien, Weiden, Linden, Eschen oder auch Exoten wie zum Beispiel Ginkgo, Tulpenbaum, Urweltmammutbaum, Trompetenbaum, Schwedische Mehlbeere oder Kaukasische Flügelnuss.

Untersuchung zu Pflanzenreichtum, Insektenvielfalt und Vogelarten

Der einst barocke Schlossgarten wurde 1802 bei dem groß angelegten Neubau des Schlosses von Friedrich Graf von Vieregg in einen englischen Landschaftsgarten umgewandelt. 1870 kaufte der darauffolgende Schlossbesitzer Eduard von Hallberger den Uferstreifen hinzu, der nun in den Park einbezogen werden konnte. Für die anschließende Umgestaltung des Parks zeichnete der bayerische Hofgartendirektor Karl von Effner verantwortlich. Er schuf zeitgleich mit dem benachbarten Kustermannpark eine weiträumig wirkende Parkszenerie.

In ihren Erhebungen hat die angehende Ökologin Saskia Ostner im Sommer 2021 den Pflanzenreichtum, die Insektenvielfalt und die Vogelarten festgehalten, die auf dem Gelände der Akademie ihre Lebenswelt haben. Etwa 70 Arten von Insekten hat sie gezählt, dazu 40 Vogelarten und eine spannende Pflanzenwelt. Die Wiesen haben Potenzial für artenreiche Mähwiesen. Durch die viele Mahd in den vergangenen Jahrzehnten seien sie zwar noch “mäßig artenarm”, wie es die Botanikerin ausdrückt, aber Vorkommen wie etwa von Wiesensalbei und Krautarten wie Wiesenschaumkraut seien es, die auf feuchte Böden hinwiesen und damit auf die Möglichkeit, hier Arten einzubringen, die viel Feuchtigkeit benötigen.

Das Biodiversitäts-Projekt im Schlosspark ist ein Herzensanliegen von Annette Findeiß, Verwaltungsleiterin der Akademie. Die Nachhaltigkeitsgrundsätze (hier nachlesen), denen sich das Bildungshaus verschrieben hat, möchte sie auch im Park umsetzen. “Wenn wir von ‘integriertem Nachhaltigkeitsmanagement’ sprechen und das europäische Umweltmanagementsystem EMAS anwenden, dann schließt das alle Bereiche ein – auch den Park.”

“Hier wird Schöpfungsverantwortung konkret.”

Nachhaltigkeit und Umweltbewusstein versucht Annette Findeiß täglich im Akademiebetrieb zu verankern: sparsamer und verantwortlicher Umgang mit Ressourcen stehen an erster Stelle, auf Müllvermeidung und -trennung wird achtgegeben, die Küche verarbeitet nur frische Ware, Bio-Lebensmittel und Produkte regionaler Erzeuger, Programme werden auf ökologischem Papier gedruckt, unnütz gewordene Ausdrucke dienen als Konzeptpapier, Umbaumaßnahmen werden ressourcenschonend umgesetzt – wie etwa bei der Restaurantrenovierung 2020 (hier mehr lesen). “Als Bildungshaus müssen wir Vorbild sein”, so sieht das Annette Findeiß.

Die Frage, wie der Schlosspark im ökologischen Gleichgewicht gehalten werden kann, beschäftigt sie schon eine Weile, der Gedanke “Was können wir möglich machen?” treibt sie regelrecht um. “Hier wird Schöpfungsverantwortung konkret.”, sagt sie. Um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, “was möglich ist”, wie man ein denkmalgeschütztes Schloss- und Parkensemble auf ökologisch nachhaltige Weise pflegt, wie oft, wann und wie gemäht werden sollte, welche Pflanzen gesät werden sollten, auf welche Lebenswelten von Tieren Rücksicht genommen werden muss und welche Nahrungsangebote Kleinstlebewesen das ganze Jahr hindurch finden können – das alles soll das Forschungsprojekt ergründen.

Nach einer denkmalpflegerischen Untersuchung in Kooperation mit der Universität Weihenstephan / Triesdorf, ist die Erfassung der Biodiversität durch die Universität Bayreuth und ihre Masterstudentin Saskia Ostner der nächste logische Schritt. Ziel ist, Methoden für eine ökologisch nachhaltige Parkpflege zu entwickeln und perspektivisch auch in das Bildungsangebot des Hauses integrierbar zu machen.

Eigene Biotope: Habitat-Bäume

Erste Veränderungen waren im Sommer 2021 im Vergleich zum Jahr zuvor sichtbar geworden: Nur noch selten sieht man die Rasenmähroboter, die früher den Rasen regelmäßig und überall kurz und “dicht” hielten. Um Lebensraum für Vögel und Insekten zu bieten, ließ Annette Findeiß die Wiesen im Sommer “abmagern”. Dadurch konnten mehr Pflanzen wachsen, die weniger Stickstoff benötigen. Wenn sie blühen, sind sie Nahrungsgrundlage für Insekten wie Bienen und Hummeln. “Magerrasen” wie diese bieten mehr Lebensraum, so genannte Habitate, für kleine Lebewesen wie Käfer, Insekten und Vögel. Im Juni konnten die Schlossgäste auf gemähten Wegen durch die blühende Wiesenpracht spazieren. Einzelne Felder auf dem Gelände dienten der Botanikerin Saskia Ostner als Testflächen zur Bestimmung der Biodiversität – und insbesondere der spätblühenden Gräser.

Im Zuge der Untersuchung kamen weitere Habitate zum Vorschein: etwa die Habitat-Bäume, von denen es auf dem Akademiegelände ungefähr 30 Stück gibt. Diese Bäume funktionieren als eigene Biotope. Viele Arten sind auf diesen Lebensraum stark spezialisiert und daher abhängig von ihm. Rinde, Spinnennetze und Pflanzenbewuchs, die in der Botanik Epiphyten heißen, bieten Schutz für Käfer und Insekten, in den Baumhöhlen nisten Spechte. Saskia Ostner hat in ihrer Untersuchung eine Vielzahl an Höhlen ausfindig gemacht – sowie weitere “Hotspots” für brütende Vögel.

“Parks werden oft unterschätzt”, sagt Saskia Ostner im “Seefunken”-Podcast der Akademie. Sie sieht sie als “Inseln der Biodiversität”, die in bebauten Gebieten und Siedlungen für ein ökologisches Gleichgewicht sorgen. Pflanzen und Tierwelt bieten sie Zuflucht, die vermehrt von Schottergärten und Betonwüsten vertrieben werden.

Annette Findeiß sieht im Park der Akademie außerdem einen Tagungsraum der besonderen Art. “Der Park ist unseren Gästen wichtig, er trägt viel zur Atmosphäre bei, in der sich die Menschen bei uns begegnen.” Akademie- und Erholungsort, Bildungsraum, Denkmalschutz, Landschaftspflege und ein nachhaltiges Parkpflegekonzept – all das möchte Annette Findeiß in ihrem Biodiversitätsprojekt miteinander verknüpfen.

 

Dorothea Grass

 

Mehr zum Thema:

Bild: Blühende Wiesen im Sommer vor Schloss Tutzing (Foto: ma/eat archiv)

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , ,