„Es lebe die Freiheit!“

Udo Hahn erinnert in seinem BR-Kommentar „Zum Sonntag“ an die letzten Worte von Hans Scholl, der heute vor 77 Jahren von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Die Mitglieder der „Weißen Rose“ äußerten in ihren Flugblättern Gedanken, die „aktueller denn je“ sind, sagt der Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.

„Es lebe die Freiheit!“ Das waren die letzten Worte von Hans Scholl, ehe das Todesurteil gegen ihn mit dem Fallbeil vollzogen wurde. Seine Schwester Sophie war zuvor hingerichtet worden. Sein Freund Christoph Propst nur wenige Augenblicke nach ihm. Es geschah heute vor 77 Jahren, etwa um diese Uhrzeit*. Die Geschwister Scholl und Christoph Probst waren nur wenige Tage zuvor, am 18. Februar 1943, verhaftet worden. Beim Auslegen von Flugblättern waren sie vom Hausmeister der Universität München ertappt und an die Gestapo verraten worden. Sie gehörten zur „Weißen Rose“ – wie auch Alexander Schmorell, Willi Graf und Professor Kurt Huber, die im April 1943 zum Tode verurteilt wurden.

Die „Weiße Rose“ gilt als Sinnbild des deutschen Widerstands gegen Adolf Hitler und als Symbol für beispielhafte Zivilcourage. Wie ernst das nationalsozialistische Terrorregime den Widerspruch dieser Gruppe junger Leute nahm, lässt sich schon allein daran ablesen, dass der Präsident des Volksgerichtshofs, Roland Freisler, eigens von Berlin nach München eilte, um Widerstandskämpfern buchstäblich den kurzen Prozess zu machen. „Wegen landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung“ – so der Urteilsspruch – sind sie ermordet worden.

Was wurde ihnen zum Vorwurf gemacht? Es war ihr bedingungsloses Eintreten für die Freiheit! Sechs Flugblätter haben sie insgesamt verfasst – und mit jeder Silbe das Unwesen der NS-Diktatur entlarvt. Das erste Flugblatt beginnt mit den Worten: „Nichts ist eines Kulturvolkes unwürdiger, als sich ohne Widerstand von einer verantwortungslosen und dunklen Trieben ergebenen Herrscherclique „regieren“ zu lassen.“ Mehr Mut konnte man damals nicht aufbringen, den Machthabern den Spiegel vorzuhalten. Im fünften Flugblatt schreiben sie, was nach dem Ende des Nationalsozialismus gewährleistet sein muss: „Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grundlagen des neuen Europa.“ Und das letzte Flugblatt endet mit der Zuversicht: „Unser Volk steht im Aufbruch gegen die Ver­knech­tung Europas durch den Nationalsozialismus, im neuen gläubigen Durchbruch von Freiheit und Ehre!“

Die Mitglieder der „Weißen Rose“ haben den sicher erwarteten Neuanfang nicht mehr erlebt. Aber sie gehören zweifellos zu seinen Wegbereitern. Ihre Gedanken sind aktueller denn je. Im Lichte ihrer Ausführungen lassen sich auch heute all jene Kräfte in unserem Land entlarven, die ein Aus für Demokratie bewusst herbeiführen wollen. Zum Beispiel, indem sie die Medien, die Justiz, die Zivilgesellschaft diffamieren. Also all das, was die Freiheit des Einzelnen gewährleistet, die Würde aller Menschen schützt – ungeachtet ihrer Herkunft oder ihrer Religion.

Nicht wenige Menschen fragen sich gerade angesichts eines wieder erstarkenden Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus in Deutschland, ob sich Geschichte wiederholen kann. Nein, Geschichte wiederholt sich nicht. Damit ist das Thema aber nicht erledigt. Die Frage hat ihre Berechtigung. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen der letzten Jahre dürfte inzwischen jedem klar geworden sein: Demokratie ist nicht einfach etwas, das wir haben und ein für alle Mal behalten. Sie ist ein durchaus zerbrechliches Konstrukt. Daraus entsteht die Verantwortung aller Bürgerinnen und Bürger. Demokratie und Rechtsstaat gehören zusammen. Sie machen Freiheit erst möglich.

In einigen Ländern läuft gerade das Experiment, Demokratie und Illiberalität – wörtlich: Unfreiheit – zu verknüpfen. Beziehungsweise Freiheit nur wenigen zu gewähren, die zu wissen vorgeben, was für eine Nation gut ist. Das kann nur schief gehen – wie sich mit Blick auf die Historie zweifelsfrei zeigen lässt. Mit Hans Scholl muss man dieser Entwicklung unmissverständlich entgegenhalten: „Es lebe die Freiheit!“

Udo Hahn ist Pfarrer und Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.

* Vorliegender Text von Udo Hahn ist zugleich Hörbeitrag für die Sendung „Zum Sonntag“ von Bayern2. Sendetermin: 22. Februar 2020 / 17.55 Uhr.

Unter diesem Link erfahren Sie mehr und können die Sendung anhören.

Bild: Udo Hahn  (Foto: Haist/eat archiv)

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