„Flüchtlinge sind die Botschafter der weltweiten Ungerechtigkeiten“

Am 20. Juni ist Weltflüchtlingstag. In seinem BR-Kommentar „Zum Sonntag“ erinnert Akademiedirektor Udo Hahn an die Wurzeln dieses Tages und an das, was fernab guter Absichten wichtig ist: konkretes Handeln.

„Flüchtlinge sind die Botschafter der weltweiten Ungerechtigkeiten.“ Ein kurzer Satz, der doch die ganze Wahrheit enthält. Formuliert hat ihn der Gründer und Ehrenpräsident der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl, Jürgen Micksch. Und zwar im Herbst 2015, als die Zuwanderung von Asylsuchenden in zahlreichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union die ungeteilte mediale und politische Aufmerksamkeit erreichte. Die Zahl der Menschen, die sich weltweit auf der Flucht befinden, ist in den vergangenen Jahren geradezu sprunghaft angestiegen: von 50 auf inzwischen 70 Millionen weltweit.

Heute ist Weltflüchtlingstag. Die Vereinten Nationen haben ihn 2001 eingeführt. Seither wird er immer am 20. Juni begangen. Als kirchlichen Gedenktag für Migranten und Geflüchtete gibt es ihn bereits seit 1914. Auf Initiative von Papst Benedikt XV. findet er am 19. Januar statt. Mit dem Weltflüchtlingstag der UNO verknüpft ist der „Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibung“, den die Deutsche Bundesregierung ebenfalls auf den 20. Juni gelegt hat. Er wurde 2014 vom Deutschen Bundestag beschlossen und 2015 erstmals durchgeführt. Initiiert hatte ihn schon Jahre zuvor der Bund der Vertriebenen. Dabei war es das Ziel, mit der historischen Erinnerung auch aktuelle Bezüge verbinden zu können. Neben den weltweiten Opfern von Flucht und Vertreibung soll er auch an die deutschen Flüchtlinge und Vertriebenen erinnern, die als Folge des Zweiten Weltkrieges dieses Schicksal erleiden mussten.

Heute, 75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, darf positiv bilanziert werden, dass viele Kriegsfolgen von einst mit viel Einsatz spürbar gemindert werden konnten. Dennoch hat die Zahl der Geflüchteten weltweit zugenommen. Und sie wird weiter steigen, wenn die Fluchtursachen nicht entschiedener bekämpft werden. Ein Satz, dessen Wahrheitsgehalt ebenfalls durch jede Silbe dringt.

Die Gründe für Flucht sind vielfältig. Und die Ursachen sind häufig eng miteinander verwoben: Krieg und Terror, Verfolgung und Diskriminierung, zerstörte Lebensgrundlagen sowie die daraus resultierende Armut und Perspektivlosigkeit. Übrigens: Ein Großteil der 70 Millionen Flüchtlinge stammt aus nur fünf Ländern: Syrien, Afghanistan, Südsudan, Myanmar und Somalia. Länder, die zum Synonym für Leid und Elend geworden sind. Länder, in denen ungezügelter Nationalismus, der Missbrauch von Religion sowie geltungssüchtige Potentaten dazu führen, dass Menschen nur eine Möglichkeit sehen: nämlich die Flucht.

Heute wird einmal mehr beschworen werden, die Fluchtursachen entschiedener bekämpfen und sich für bessere Lebensbedingungen der Betroffenen einsetzen zu wollen. Das ist gut und notwendig. Geschehen wird aber wohl wie immer: nichts. Diese Einsicht ist umso bitterer, da doch offensichtlich ist, dass zur Verbesserung der Lebensgrundlagen in den betroffenen Ländern meist nur Cent-Beträge notwendig wären. So war 2015 für Flüchtlinge ein Motiv, sich auf den Weg nach Europa zu machen, dass die Gebernationen ihre Gelder für die Lebensmittelversorgung gekürzt oder gar nicht erst überwiesen hatten.

Besser als nur Mahnungen ist z. B. die Initiative „Grüner Knopf“ – ein seit knapp einem Jahr bestehendes deutsches Textilsiegel, initiiert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Ein Anfang – immerhin. Freiwillig, nicht verpflichtend für die Branche. Die Allianz der Guten wird aber nur Erfolg haben, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher mitmachen. Wenn die Zivilgesellschaft die Menschen sensibilisiert und zu Änderungen im Kaufverhalten führt. Bloßes Bedauern ist zu wenig. Wie sagte Jürgen Micksch? „Flüchtlinge sind die Botschafter der weltweiten Ungerechtigkeiten.“ Wenn Worten nicht Taten folgen, dann wird ihre Zahl wohl leider wachsen.

Udo Hahn ist Pfarrer und Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.

* Vorliegender Text von Udo Hahn ist zugleich Hörbeitrag für die Sendung „Zum Sonntag“ von Bayern2. Sendetermin: 20. Juni 2020 / 17.55 Uhr.

Unter diesem Link erfahren Sie mehr und können die Sendung anhören.

Bild: Udo Hahn  (Foto: Haist/eat archiv)

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