Es geht um den Schutz der Pressefreiheit

“Der Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange ist von grundlegender Bedeutung. Denn im Kern geht es um Meinungs- und Pressefreiheit. Um sie ist es weltweit nicht gut bestellt. Sie muss verteidigt werden. Und auch in Demokratien ist sie gefährdet.” Ein Gastkommentar für die Bayern 2-Sendung “Zum Sonntag”.

Sendetermin: Samstag, 9.1. um 17.55 Uhr auf Radio Bayern 2

Das Schicksal des Wikileaks-Gründers Julian Assange liegt schon seit längerem in der Hand einer britischen Richterin. Vor einem Jahr hat sie seine Freilassung aus dem Gefängnis wegen Fluchtgefahr verweigert. Durchaus überraschend verhinderte sie jetzt aber seine Auslieferung an die USA. Humanitäre Gründe waren für sie ausschlaggebend. Sein Gesundheitszustand lasse die Überstellung nicht zu. Dem Antrag, Assange gegen Kaution auf freien Fuß zu setzen, lehnte sie jedoch ab. In dem weltweit Aufsehen erregenden und hochkomplexen Fall geht das juristische Tauziehen also weiter. Der Rechtsweg ist noch lange nicht ausgeschöpft.

Für seine Ankläger ist der gebürtige Australier ein Verbrecher, für seine Verteidiger ein Held. 2010 hat er auf Wikileaks geheimes Bildmaterial veröffentlicht. Es zeigt, wie US-Militärs in Bagdad unschuldige Zivilisten niedermetzeln. Die USA verlangen seither seine Auslieferung, um ihn wegen Spionage und Geheimnisverrat anzuklagen. Aufgrund eines Gesetzes aus der Zeit des Ersten Weltkriegs drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft. Einer Verhaftung entging Assange 2012 durch Flucht in die Botschaft Ecuadors in London. Dort genoss er Asyl. Im April 2019 entzog ihm aber die ecuadorianische Regierung diesen Status, worauf britische Polizisten ihn verhafteten. Seither befindet er sich in einem Hochsicherheitsgefängnis. Seine Haftbedingungen, der Fortgang des Verfahrens und überhaupt die gegen ihn gerichteten Vorwürfe nähren seit langem Zweifel an einem fairen Prozess in den USA. Vielmehr sieht alles danach aus, als sollte an ihm ein Exempel statuiert werden, mutmaßen Amnesty International und Reporter ohne Grenzen.

Der Fall Assange ist von grundlegender Bedeutung. Denn im Kern geht es um Meinungs- und Pressefreiheit. Um sie ist es weltweit nicht gut bestellt. Sie muss verteidigt werden. Und auch in Demokratien ist sie gefährdet. Hier erfüllen Medien grundlegende und unverzichtbare Funktionen: Sie sollen informieren und durch Kritik und Diskussion zur Meinungsbildung beitragen. Deshalb werden Medien nicht selten als „vierte Gewalt“ bezeichnet – neben den drei klassischen Staatsgewalten.

Viele Skandale könnten ohne investigative Recherchen nicht aufgedeckt werden. Whistleblower – Hinweisgeber wie der ehemalige CIA-Mitarbeiter Edward Snowden – bringen dabei wichtige Informationen aus einem geheimen oder geschützten Zusammenhang an die Öffentlichkeit. Dass Diktaturen kein Interesse an Kontrolle haben, ist hinlänglich bekannt. Auch, dass diese vor nichts zurückschrecken, nicht einmal vor Mord, wie die Zahl getöteter Journalisten Jahr für Jahr zeigt.

Im Fall Assange sitzen eigentlich die USA auf der Anklagebank – die älteste Demokratie der Neuzeit. Genauer: Jene, die im Irak-Krieg den Befehl zur Ermordung von Zivilisten gaben und die ihn ausführten. Bis heute musste sich jedoch kein US-Soldat für diese Kriegsverbrechen verantworten. Statt der eigentlich Verantwortlichen wird der Enthüller unnachgiebig verfolgt. Und mit ihm der kritische Journalismus. Im Falle einer Verurteilung in den USA begibt sich nämlich jeder Journalist künftig in akute Gefahr, wenn er sich mit der nationalen Sicherheit befasst. Medienhäuser und Rundfunk- und Fernsehsender riskieren dann fast automatisch den Spionagevorwurf. Das darf nicht sein.

Dass die Enthüllung von Geheimdienstinformationen von öffentlichem Interesse und durch die Pressefreiheit gerechtfertigt sein können, hat die britische Richterin gerade verneint. Und Assange zumindest indirekt schuldig gesprochen. Wie auch immer sein Fall ausgeht, die Debatte darüber, was Journalismus darf, muss weitergeführt werden. Schließlich geht es um die Meinungs- und Pressefreiheit. Ohne sie gibt es nämlich keine Demokratie.

Der Autor ist Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.

Hinweis:
Vorliegender Text ist als Gastkommentar für die Sendung “Zum Sonntag” von Radio Bayern 2 erschienen.
Sendetermin: 9. Januar 2021 / 17.55 Uhr. Unter diesem Link geht es zur Homepage der Sendung.

Zum Weiterlesen:
Mit dem Fall des Wikileaks-Gründers Julian Assange beschäftigte sich im Oktober 2020 eine Ausgabe unseres Formats: “Die Anstalt – Politische Satire im Schloss”. Hier gelangen Sie zu Bericht und Videoaufzeichnung.

Bild: Pfr. Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: Haist/eat archiv)

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