Erneuerbare Energien, Realsatire oder Interessenspolitik?

In der Satiresendung “Die Anstalt” ging es im Mai um den Klimawandel – und Anstrengungen zur Förderung der erneuerbaren Energien, die seit Jahren ins Leere laufen. In der Online-Debatte zu dieser Sendung sprach Studienleiterin Katharina Hirschbrunn mit Hans-Josef Fell, einem der Väter der EEG-Umlage, und dem Autor Dietrich Krauß.

Warum geht der Ausbau der erneuerbaren Energien so schleppend voran? Und welche Rolle spielen dabei Politik und Wirtschaft? Diese beiden Fragen standen am 27. Juni im Zentrum unserer Online-Debatte “Die Anstalt – Politische Satire im Schloss”. Studienleiterin Katharina Hirschbrunn begrüßte dazu den früheren Bundestagsabgeordneten Hans-Josef Fell, heute Präsident der Energy-Watch-Group, einem internationalen Think Tank aus Wissenschaftler:innen und Parlamentarier:innen. Fell gehört zu den Initiatoren des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Ebenfalls zu Gast war Dr. Dietrich Krauß, Journalist und Autor. Seit 2014 ist er Redakteur und einer der Autoren der “Anstalt” beim ZDF und schreibt auch für die “heute-show”.

Hans-Josef Fell lobte die Ausgabe der Sendung (“Die Anstalt” vom 24. Mai hier abrufen) und die damit verbundene Recherche des Autorenteams. Die Sketche und Parodien der Sendung brächten auf den Punkt, warum der Ausbau der erneuerbaren Energien stocke – und das, obwohl das Gesetz zum Ausbau der erneuerbaren Energien, kurz EEG, bereits im Jahr 2000 in Kraft getreten war. Ursprünglicher Leitgedanke des EEG: bevorzugt Strom aus erneuerbaren Quellen in das Stromnetz einspeisen.

Was dann passiert sei, sei sehr schwer von außen zu verstehen, berichtete Dr. Dietrich Krauß. Über 20 Jahre hinweg seien viele komplexe Strukturen geschaffen worden, die alle zulasten der Handlungsfähigkeit gegangen seien. Hans-Josef Fell erinnerte an die Entwicklung: 18 Paragrafen auf 20 Seiten – das sei der Ursprung des EEG im Jahr 2000 gewesen. Heute seien es mehr als 300 Seiten. “Es ist ein Wust”, machte Fell seinem Unmut Luft. Dieser Wust sei das größte Hemmnis, um wirkmächtig zu sein.

Die Gründe hierfür? “Platte Interessenspolitik”, sagte Dietrich Krauß – und zwar eine, die als solche zunächst gar nicht sichtbar gewesen sei. Der Lobby fossiler und atomarer Industrien sei es gelungen, sogenannte Frames zu formulieren, die alsbald Verankerung in der Öffentlichkeit fanden. Einer dieser Frames: “Hilfe, die Energiewende wird unbezahlbar.” Ein zweiter lautete: “Erneuerbare Energien sind fluktuierend und sind in der Stromerzeugung nicht verlässlich.” Beide Behauptungen jedoch seien unwahr, so Hans-Josef Fell. Als schließlich die soziale Frage noch hinzugekommen sei und erneuerbare Energien als zu teuer für die Verbraucher dargestellt wurden, sei die öffentliche Akzeptanz weggebrochen.

Hatte es zu Beginn des EEG noch eine Bewegung hin zu immer mehr individuellen Stromerzeugern gegeben, sei es später zum Einbruch gekommen. 2012 folgten große Einschnitte, die vor allem die Förderung von Solarenergie und Windkraft betrafen. Hans-Josef Fell sieht diese Entwicklung als Fehler. Deutschland wäre “jetzt durch” mit dem Wandel in der Stromerzeugung, hätte es umgesetzt, was geplant war. Er beklagte zu wenig Fairness auf dem Markt der Stromerzeugung, immer noch gebe es zu viele Subventionen für fossile Systeme. Auch kritisierte er eine Marktverzerrung: Weder Atomenergieindustrie noch fossile Industrien seien gezwungen, für Folgeschäden aufzukommen.

“Anstalt”-Autor Krauß kritisierte auch die Rechtsprechung der EU als “bremsende Instrumente”, die dezentrale und schnelle Lösungen im Ausbau der erneuerbaren Energien verhinderten. Hans-Josef Fell prangerte außerdem die Verquickung von Lobbyismus und EU-Politik an.

80 Prozent der Rohstoffe, die aus dem Boden gefördert würden, wie zum Beispiel Erdöl, Erdgas oder Uran, werden auf Schiffen um die Welt transportiert. Ein Umstellen auf erneuerbare Energien könnte 40 Prozent der Weltschifffahrt einsparen. Auch vor diesem Hintergrund votierte Fell dafür, sich für intelligente Kreislaufsystemlösungen einzusetzen.

Im Gespräch mit Katharina Hirschbrunn, Dietrich Krauß und den online zugeschalteten Gästen machte Fell aber auch Mut. Er erinnerte an die Ursprünge des EEG in bürgerlichen Initiativen, die sich auch jetzt finden: ganze Dörfer etwa, die ihren Strom selbst herstellen – zu einem deutlich niedrigeren Preis. Er forderte ein neues Framing: “Erneuerbare Energien sind das billigste, was wir heute haben.” Energie sei nicht knapp – schließlich gebe es Sonnenenergie.

Fell wunderte sich über die Kritik in der Sendung an Elon Musk: “Er war es, der allen gezeigt hat, wie man Null-Emissions-Auto” baut, sagte er über den Kopf von Tesla. Und: Gerade weil zum Beispiel Notärzte genauso wie Menschen in ländlichen Räumen auf das Automobil angewiesen seien, brauche es auch eine industriefreundliche Haltung für einen gewissen Individualverkehr.

Im Gespräch mit den Online-Zuschauerinnen und -Zuschauern ging es außerdem um individuelle und globale Verzichts- und Verteilungsfragen, ÖPNV-Konzepte (zum Beispiel mit elektrisch betriebenen Straßenbahnen), Gedankenexperimente mit persönlichen CO2-Konten sowie soziale Fragen und das bedingungslose Grundeinkommen.

Die nächste Online-Debatte zur ZDF-“Anstalt” vom 19. Juli wird am 9. August stattfinden. Im Zentrum wird das Thema Inflation stehen. Als Gesprächspartner ist wieder Dietrich Krauß dabei sowie als Gast zum Thema die Geldpolitik-Expertin Prof. Dr. Mechthild Schrooten.

Dorothea Grass (Mitarbeit: Martin Waßink)

Hinweis:

Informationen zur nächsten Online-Debatte “Die Anstalt – Politische Satire im Schloss” am Dienstag, 9. August 2022, finden Sie hier.

Weitere Informationen:

Sendung vom 24. Mai 2022 und Faktencheck hier abrufen.

Bild: Screenshot der Online-Debatte am 27. Juni 2022 mit Katharina Hirschbrunn, Dietrich Krauß und Hans-Josef Fell (unten im Bild). (Foto: eat archiv)

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