Ein anonymer Frommer – Zum Tod von Volker Panzer

Gastgeber aller Querdenker, Träumer, Wissenschaftler, Techniker und Künstler – das ist der Kulturjournalist und langjährige Leiter des ZDF-„nachtstudio“ Volker Panzer für Studienleiter Dr. Jochen Wagner gewesen. In seinem Nachruf zeichnet das Bild eines Zeitgenossen, der nicht nur Kooperationspartner, sondern auch Freund war.

„Ist das nicht Volker Panzer?“, denke ich während der Begrüßung einer Tagung. Inwendig seh‘ ich ihn noch heute vor mir sitzen, als wär’s gestern. Vom Glück kritischer Theorie. Gibt es richtiges Leben im falschen? Adorno zum 100. Geburtstag hieß die Tagung. Zu meiner Überraschung war Volker Panzer ins Tutzinger Schloss gekommen und hatte noch einen Platz in der Rotunde gefunden. So lernten wir uns in der Evangelischen Akademie Tutzing kennen, am Wochenende vom 16. bis 18. Mai 2003, durch einen von so vielen schönen Zufällen. „Sie meinen also, es gebe richtiges Leben im falschen – oder eher doch nicht?“ Seine Kunst, in Kontakt zu kommen, schien so schlicht, einfach, dezent und gleichviel, fast unmerklich von einem ironischen Unterton getragen, zugleich lausbubenhaft frech. Es war denn ein Leichtes, ins Gespräch zu kommen und was man, an so manches Adorno-Seminar erinnernd, vielleicht an Ordnungshut am Nichtidentischen und Ortungswut am Affirmativen meinte befürchten zu müssen, war Volker Panzer fremd. Eigentlich regierte immer eine Atmosphäre von  Sympathie, seine Freundlichkeit, Offenheit, bar orthodoxem oder inquisitorischem Getue, wie es manchen Adorniten eigen war. Er wollte wissen, was die Anderen meinen, wollte hören, was sie sagen, sehen, was sie ihm zeigten, von sich, der Welt, den Dingen, den Gefühlen und Extremen, damit sei er reich beschenkt, was einen interessierte, beseelte, faszinierte, was den Lebenshunger stillte und zugleich das Begehren ernährte, was jemand wünschte und wie jemand dessen Erfüllung erlebte oder erlitt. Denn killt nicht jede Erfüllung den Wunsch? Nimmt das ersehnte Jemand oder Etwas Gestalt an, so ist das, was nun da ist, ja die mortificatio, die Stillstellung des Phantasierten oder Erträumten – Umtausch in- oder exklusive.

Diese Dialektik kannte auch er – nicht nur angelesen, sondern erlebt. Entsprechend galt seine Neugier, theoretisch wie praktisch, auch dem, was weh tut, schreckt, krank und kaputt macht, ja, einen umbringt. „Es ist schon ein Kreuz mit den Passionen, oder?“ sinnierte er lächelnd. Und Kurzformeln, wie etwa eine von Augustin: „me nutrit, me destruit“ (was mich nährt, mich auch zerstört), haben ihm schlagfertig gefallen. Denn das war Volker Panzer, belesen, gebildet, vernetzt, bekannt mit Gott und der Welt, ständig auf Neues aus, verspielt wie sachlich streng, eben auch schlagfertig, provozierend, hartnäckig, lebhaft kontrovers: raus mit der Sprache – gibt es richtiges Leben im falschen, ja, oder nein? 

Er zögerte nicht, auch heiße Eisen in seinem reichen Themenbasar anzufassen, Längst war das von ihm erfundene, konzipierte und moderierte das ZDF-„nachtstudio“ zu mitternächtlicher Stunde von Sonntag auf Montag Kult, Geheimtipp und Illumination. Aufklärung, selber denken, aus der Reihe tanzen, sich riskieren, Auskunft geben, wahrnehmen, verstehen, bedeuten, all die Versuche zur Theorie, zur Schau, in der Sensation und Reflexion, Spektakel und Edukation in eins fallen, jenes Verstehen, tue eben zufällig wie notwendig weh: Bevor wir das Reale be-greifen, müssen wir es anfassen. Vor’m Begriff komme der Griff, vor’m Text das Textil, vor’m signum die res.

Bei allem jugendlichen Charme im Auftreten: Volker Panzer begnügte sich nicht nur mit den weichen Zeichen, er wollte – ganz Ontologie – zu den harten Dingen, wollte nicht nur Kommunikation, sondern Materialität, schielte vom Analogen auf’s Virtuelle, rang mit dem Digitalen um‘s Imaginäre, um doch immer wieder abzutauchen ins sinnliche Materiale.

„Und Sie selber?“ fragte ich auf der besagten Adorno-Tagung retour? „Natürlich gibt’s richtiges Leben, ob nun im oder neben oder diesseits dem falschen Leben!“ Und legte den Finger auf den wunden Punkt der Kritischen Theorie: Wenn der Verblendungszusammenhang total sei, alles Sein defekt, könne auch das Denken nurmehr totalitär sein – also radikal hoffnungslos. Nur, wer vermag dann noch einen Standpunkt außerhalb einer höllisch ausweglosen Immanenz behaupten? Um dieser Antinomie zu entgehen, nahmen wir Unterschlupf bei Walter Benjamin: Hatte er nicht auf ein Nichtentstelltes im vermeintlich dem Falschen Verfallenen insistiert, wo Adorno noch im vorgeblich Intakten nach dem Entstellten suchte? Da waren wir, Volker und ich, Ursula Pia Jauch, Thomas Leithäuser, Thomas Macho, Helga Kuhlmann, Stefan Müller-Dohm u.a. Zigarillos paffend – das gab es damals alles noch in der Evangelischen Akademie Tutzing – am Billardtisch hinter der Schlossdiele zugegen. Auch hier, im zweckfreien Spiel machte er als homo ludens eine gute Figur. Volltreffer oder peinliches Daneben – einerlei: Gelingen wie Misslingen waren ihm implementiert. Und richtig, die sattsam bekannten Kalauer blieben nicht aus: Gescheitert? Einerlei, wieder versuchen, wieder scheitern. Besser scheitern. Schon im Oktober 2003 war Volker Panzer auf meiner Tagung Die Klugheit der Gefühle als Referent. Es sollten viele Vorträge und Kooperationen mit unserem Hause werden, denen er allesamt eine besondere Signatur, ja, vielleicht darf man Aura sagen, verlieh: Er hatte Stil, gab dem Fatalen einen Rhythmus, er konnte der Schwere seines Stoffs wie der narrativen  Fußnoten aus den alltäglichen Notwendigkeiten die Erscheinungsweise lässiger Leichtigkeit stiften.

Für einen bekennenden Atheisten war Volker Panzer kein Agnostiker, sondern – was er gewiss bestritten, aber schmunzelnd ertragen hätte – ein anonymer Frommer. Nicht die Kirche, meinte er einmal, sondern die Welt habe Gott doch geliebt, oder? Und schmetterte in Rumpelstilz’scher Performance das Gedicht Weltenwende aus dem Stegreif in die gesellige, oft von live Jazz beswingte Runde in der Schlossdiele, die wir schon schier ritualisiert als Letzte verließen – kurz bevor es hell wurde.

Ohne Lug und Trug: Er war eine pastorale Natur, ein Zuhörer, ein Begleiter. Mir fällt ein Satz ein, der seine Haltung, ohne seinen Eros, sich im besten Sinne aufzuführen, konterkarieren würde: „Aufmerksamkeit ist das natürliche Gebet der Seele“ (Nicolas Malebranche). Aufmerksam, sensibel, das war dieser Vollblutkommunikator. Gar nicht „gepanzert“, sondern empfindsam für die feinsten Nuancen von Sprache und Gestik war ihm jenes mimetische Vermögen der flexiblen Anpassung an Stimmungen, Atmosphären, Kontexte und Konstellationen reich geschenkt.

Volker Panzer war in seiner Herzenshöflichkeit, jener altehrwürdigen cortesia ein profaner Heiliger. Ein Sympathisant jener Philosophie, die weniger Revoluzzer als jeune fille ist, der Zärtlichkeit eine machtvolle Kraft war, denn wie es Wahrheit nur zu zweien gebe (Hannah Arendt), so Volker Panzer einmal mehr in Tutzing vortragend, Himmel wie Hölle seien leer, entstehe Transzendenz seitwärts. Von wegen also noli me tangere (berühre mich nicht). Hat nicht Maria Magdalena ihren Rabbi Jesus von Nazareth umarmt, schier geküsst vor‘m Grab am Ostermorgen? Und damit konnte man Volker Panzer auch für theologische Tagungen gewinnen: Wenn er von der Liebe erzählen sollte.

Wie gesagt, schlagfertig war er und couragiert. Und so stellte er den einen oder anderen Schlager vor, schlagfertig, weil doch der Beat nur einem Trieb folgte, der Beatness, dem Glück. Ohne Zweifel, der Schlager war Volker Panzer die letzte Metaphysik nach der entzauberten Metaphysik. Ihrer Sprezzatura, ihrer Leichtigkeit vertraute er das Schwere des Lebens, auch seines Lebens an. Ein Schlager als Apostolat der Versöhnung, ein Lied als Prophezei zum Happyend? Unvergesslich zeugte er von seinem Kerygma, woran er glaube unterm leeren Himmel und woran wir Modernen unsere transzendental obdachlosen Seelen und Leiber, Physis wie Psyche, würden wärmen können wie am virtuellen Kaminfeuer im ZDF-„nachtstudio“. So betete, so sang Volker Panzer mit der leichten, zu Unrecht als seicht verunglimpften, Muse für die Kraft des Liebens.

Viel gäbe es noch zu erzählen. Seine Spontaneität etwa. Zeigt die Künstlerin Beate Passow in der Rotunde ein Kunstwerk: Es stellt den Aktienindex bzw. Börsenbericht der Financial Times einen Tag nach 9/11 in New York dar und zwar als rosa-schwarze Seidenstickerei. Volker Panzer kauft es ihr einfach ab. Das sei der Kairos gewesen, der bescherte Augenblick, da gelte es zuzugreifen, jetzt, französisch maintenant, was man mit der Hand herziehen könne.

Von solcher Geistesgegenwart lebte auch sein ZDF-„nachtstudio“. Die Fülle der Themen ist legendär. Ein Rätsel, dass dieses singuläre Format einer detektivischen Phänomenologie der Jetztzeit 2012 einfach eingestellt wurde. Doch wie auch im Privaten, hörte man von Volker Panzer nie eine Klage. Vielmehr strahlte er eine Zuversicht aus, die bar jeder Begründung einen einfach ansteckte. Evolutionären Humanismus nannte er diese grundsätzliche Bejahung des Lebens einmal. Er wirkte in Balance, tiefenentspannt, und überraschend zitierte er einmal die alttestamentliche Weisheit eines Hiob: der Herr habe es gegeben, der Herr habe es genommen, der Name des Herrn sei gelobt. Weder Tief- noch Hochstapler, gefiel ihm der Prediger Salomo: Sei nicht zu fromm und nicht zu gottlos, auf dass du dich nicht zugrunde richtest… Für ihn schwang in der profanen Ordnung des Glücks unveräußerlich die sakrale Ordnung der Erlösung mit. Nun ist der Freund, Gastgeber aller Querdenker, Träumer, Wissenschaftler, Techniker und Künstler am 13. August gestorben. Wir sind untröstlich. Wer wird uns je wieder so viel Staunen bescheren, mit dem alle Philosophie beginnt? 

 Dr. phil. Jochen Wagner

Bildnachweis: ZDF / Jürgen Detmers

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