„Dass Bürger Debatten führen, ist so wichtig wie vor 70 Jahren“

Tagungen, Vorträge, Bildungsreisen, Preisverleihungen, Kanzelreden, Diskussionsabende – der Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing tritt mit einer Vielzahl von Veranstaltungen in Erscheinung. Etwa 1200 Bürgerinnen und Bürger in ganz Bayern engagieren sich hier als ehrenamtliche Mitglieder: organisieren, netzwerken – und bilden Zivilgesellschaft. Landesbischof Prof. Dr. Heinrich Bedford Strohm bezeichnet sie als „Multiplikatoren einer Diskussionskultur, in der das Argument gilt, das sorgfältige Abwägen seinen Stellenwert hat und unterschiedliche Positionen als bereichernd erlebt werden“.

Nun hat der Freundeskreis sein 70-jähriges Bestehen gefeiert und dafür eine Form gewählt, die ihm seit jeher am Herzen liegt: eine Tagung sowohl für die Mitglieder als auch alle anderen, die daran interessiert sind, mehr über das gewählte Thema zu erfahren. In diesem Fall ging es um das ureigene Anliegen des Vereins. So trug die Jubiläumstagung im Juni den Titel: „Aufbrüche, Umbrüche, Ausblicke: Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland“. Gemeinsam mit dem Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung  am Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin und der Evangelischen Akademie Tutzing lud der Freundeskreis ins Schloss Tutzing ein. Im Interview blickt Brigitte Grande, die Vorsitzende des Gesamtfreundeskreises, auf die Geschichte des eingetragenen Vereins zurück und erklärt, warum zivilgesellschaftliches Engagement heute genauso wichtig ist wie zu den Gründungszeiten der Bundesrepublik.

70 Jahre Freundeskreis, Gratulation! Was ist für Sie daran der größte Grund zur Freude?

Brigitte Grande: 70 Jahre Freundeskreis bedeutet 70 Jahre ununterbrochenes ehrenamtliches Engagement von Bürgerinnen und Bürgern an der Seite, im Namen und im Dienst der Evangelischen Akademie Tutzing. Und das bayernweit, nämlich überall da, wo es örtliche Freundeskreise gibt, die nach dem Vorbild der Akademie zu Vorträgen und Diskussionsabenden einladen, Meinungsbildung ermöglichen und auch andere Bürger immer wieder zu gesellschaftlichem Engagement zu ermutigen. Gerade im Jubiläumsjahr ist zu spüren, dass die Leidenschaft für diese Aufgabe ungebrochen ist. Das freut mich sehr.

Der Freundeskreis ist fast so alt wie die Akademie, genauso alt wie unsere Verfassung und die Bundesrepublik Deutschland. Gibt es da Parallelen, wenn ja, welche?

Das Gründungsdatum des Freundeskreises bezieht sich natürlich in erster Linie auf die Akademie: In der unmittelbaren Nachkriegszeit sehnten sich die Menschen nach freiem, unzensiertem Meinungsaustausch. Die ersten Tagungen in Schloss Tutzing lösten bei Teilnehmenden so viel Begeisterung aus, dass sie einen „Freundeskreis der Akademie“ gründeten. In der Einladung zur Gründungsversammlung im September 1949 steht wörtlich: „die einzigartige und befruchtende Arbeit der Akademie darf nie mehr aufgegeben werden.“ Dafür hat sich der Freundeskreis von Beginn an bis heute eingesetzt. Dass die Gründung des Freundeskreises im selben Jahr wie die der Bundesrepublik erfolgte, ist ein so schöner wie passender Zufall. Denn der Freundeskreis ist durch seine Bildungsarbeit ein Teil der engagierten Zivilgesellschaft unseres Landes und die Zivilgesellschaft hat die Bundesrepublik mitgeprägt.

Haben sich die Aufgaben des Freundeskreises in den vergangenen sieben Jahrzehnten verändert?

Ja! In der Not der Nachkriegszeit hat der Freundeskreis die Akademie sehr praktisch unterstützt und Spendengeld zur Einrichtung von Gästezimmern gesammelt. Zu den ersten Tagungen brachten die Mitglieder des Freundeskreises sogar noch ihre Lebensmittelkarten mit! Auch bei der Programmgestaltung der Akademie wirkte der Konvent des Freundeskreises mit, bis 1954 dem Kuratorium der Akademie diese Aufgabe übertragen wurde. Im selben Jahr konnte der Konvent auch die finanzielle Unterstützung der Akademie beenden, die Akademie hatte sich konsolidiert. Von nun konzentrierte sich der Freundeskreis auf eine „Botschafterrolle“ und entwickelte sich nach und nach zu einem bayernweit agierenden Bildungsunternehmen mit präzise definierten Aufgaben, eigenen Publikationen und örtlichen Freundeskreisen in vielen bayerischen Städten. So ist es bis heute geblieben.

Wie kann man sich Ihre Arbeit vorstellen? Was treibt Sie an?

Kultur und Bildung befähigen Menschen zu Eigeninitiative und ermutigen sie, sich für die Gesellschaft einzubringen. Die Evangelische Akademie Tutzing, ein Ort der Bildung und der Debatte, ist deshalb ein Glücksfall für eine Gesellschaft. Der Freundeskreis unterstützt die Bildungsarbeit der Akademie mit eigenen Veranstaltungen und Projekten, damit – so hat es einer meiner Vorgänger im Amt des Vorsitzenden formuliert, „der Geist von Tutzing auch fern von Schloss Tutzing wirken kann.“

Nun ist es ja so, dass Sie in Ihrem Amt auch die Vorsitzende aller örtlichen Freundeskreise der Evangelischen Akademie Tutzing sind, die über ganz Bayern verteilt sind. Wie viele sind es aktuell und wie äußert sich die Verbindung zum „Mutterhaus“ in Tutzing?

Im Laufe der 70-jährigen Geschichte des Freundeskreises wirkten 46 örtliche Freundeskreise, nicht alle haben überlebt, manche bestanden nur für ein paar Jahre, andere wurden wiedergegründet, einige agieren kontinuierlich seit 70 Jahren. Bestehen und Angebote unserer „Dependancen“ hängen vom ehrenamtlichen Engagement des Leitungsteams und der Mitglieder vor Ort ab. Aktuell sind 14 Freundeskreise aktiv, in einigen Orten arbeiten wir derzeit an einer „Wiederbelebung“. Regelmäßige Konferenzen der Leitungsteams, die wir von der Geschäftsstelle in Schloss Tutzing aus organisieren, garantieren Austausch und gegenseitige Fortbildung. Zentrale Angebote wie die Jahrestagung in Schloss Tutzing oder der Bayerntag sind Treffpunkt für Leitungsteams und Mitglieder aus ganz Bayern.

Zum Jubiläum des Freundeskreises haben Sie vom 14. bis 16. Juni eine Tagung mit dem Titel „Aufbrüche, Umbrüche, Ausblicke – Zivilgesellschaft in der Bundesrepublik Deutschland“ veranstaltet. Worum ging es?

Angesichts des gemeinsamen Jubiläums der Bundesrepublik und des Freundeskreises wollten wir wissen, welche Bedeutung zivilgesellschaftliches Engagement für die Entwicklung unseres Landes hatte: Wie haben Bürger gesellschaftliche Entwicklungen mitgeprägt, welche Aufbrüche und Umbrüche haben sie mitgestaltet? Wir haben uns Wiederaufbau, Demokratisierungsbewegung, Wiedervereinigung und Migrationsgesellschaft angeschaut. Und natürlich haben wir auch einen Ausblick in die Zukunft gewagt. Der Blick nach vorn hat klar gezeigt, dass es angesichts des schwächer werden gesellschaftlichen Zusammenhalts und der weltweiten Bedrohung freier demokratischer Gesellschaften so wichtig ist wie vor 70 Jahren, dass Bürger Debatten führen zur Zukunft unserer Gesellschaft und sich für die Demokratie engagieren.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Ich wünsche mir die Fortsetzung der bisherigen Erfolgsgeschichte der Evangelischen Akademie und ihres Freundeskreises. Ich wünsche mir die Akademie weiterhin als Forum, wo wir fair über Gegenwart und Zukunft debattieren und Menschen befähigen und ermutigen. Den Freundeskreis wünsche ich mir als weiterhin starke bürgerschaftliche Kraft, die die Bildungsarbeit der Akademie unterstützt. Beide, Akademie und ihre „zivilgesellschaftliche Abteilung“ Freundeskreis, sind unverzichtbar für eine lebendige demokratische Gesellschaft.

Das Gespräch führte Dorothea Grass

Wissenswertes zum Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing:

1.250 Mitglieder (Stand 2019)

Ein Konvent aus Mitgliedern und aus Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens berät und beschließt über die Angelegenheiten des Vereins. Der Konvent wird alle vier Jahre von den Mitgliedern gewählt.

Die Mitglieder des Konvents sind: Udo Hahn, Gotthard Haushofer, Eckehard Schmidt, Constanze Angerer, Brigitte Grande, Dr. Jeanne Rubner, Dr. Nikolaus Blum, Dr. Karin Bergmann, Gerd F. Thomae, Christian von Sydow, Dr. Thomas Röbke, Max von Blanckenburg, Dr. Ute Eiling-Hütig MdL, Judith Stumptner.

Aktive örtliche Freundeskreise gibt es in diesen bayerischen Städten und Gemeinden: Hof, Kulmbach, Bayreuth, Aschaffenburg, Weiden, Nördlingen, Ingolstadt, Landshut, Augsburg, München, Grünwald, Herrsching, Starnberg, Tutzing, Kaufbeuren.

Wenn auch Sie Mitglied im Freundeskreis werden möchten, finden Sie unter diesem Link weitere Informationen. Bei Fragen wenden Sie sich per E-Mail an freundeskreis@ev-akademie-tutzing.de.

Die neuesten Informationen des Freundeskreises finden Sie auf der Homepage.

Bild: Brigitte Grande (Foto: eat archiv)

Zur Bildergalerie der Jubiläumstagung (Quelle: alle Bilder aus dem Archiv des Freundeskreises):

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