Vertrauen wir Algorithmen mehr als unseren eigenen Fähigkeiten?

Youtuber, Influencer, Blogger und Podcaster sind fester Bestandteil politischer Netzkultur. Ihre Botschaften werden gehört und wirken, sowohl virtuell als auch analog. Mit dem digitalen Wandel entstehen neue Interaktionsmuster und neue Fragen tauchen auf: Wer gestaltet diese neue Freiheit mit? Und wo sind die Grenzen? Welche Anwendungsgebiete von Algorithmen und künstlicher Intelligenz gibt es und wo liegen digitale Chancen für unser demokratisches System? Diesen Fragen ging eine Kooperationstagung des Jungen Forums mit den Bayreuther Dialogen nach, die Anfang Dezember 2019 in der Evangelischen Akademie Tutzing stattfand.

Wie kann ethisches Handeln im digitalen Raum funktionieren? Diese Frage stellte die Tagung „Diskursiver Funkenflug. Digitalethik & junge politische Philosophie“, die gleichzeitig eine Plattform zur Diskussion damit verbundener politisch-philosophischer Angelegenheiten bot. Julia Wunderlich, Studienleiterin Junges Forum, leitete die Tagung in Kooperation mit dem studentischen Tagungsteam des Studiengangs Philosophy & Economics an der Uni Bayreuth, mit dem die Veranstaltung geplant und organisiert wurde. Die Studierenden hatten bereits im Voraus der Tagung die Bayreuther Dialoge durchgeführt und in diesem Diskursformat thematisch verwandte Themen im Bereich der Digitalethik diskutiert.

Die Rolle etablierter Player im Ethikdiskurs, wie z.B. die Kirche, gelte es auch im Bereich der Digitalethik zu reflektieren, so Julia Wunderlich in ihrem Eröffnungsimpuls. Sie betonte, wie wichtig dabei junge, engagierte und empowerte Menschen sind, die sich im digitalpolitischen Diskurs verorten und bereit sind, die postdigitale Gesellschaft mitzugestalten. Eine stark engagierte Generation war auch in der gesamten Organisationsstruktur und Philosophie der Tagung zu erleben. Die Planung, Organisation und Moderation lag sowohl in den Händen der Studierenden sowie der Tagungsleiterin als Kooperationsteam.

Wie wirkt sich die Digitalisierung auf unsere (Willens-) Freiheit aus?

Wir leben in einer außergewöhnlichen Zeit, welche uns viele Freiheiten zuspricht. Dieser Meinung ist auch Prof. Dr. Philipp Hübl (Philosoph und Autor von „Die aufgeregte Gesellschaft“) und so nennt er die Freiheit, sich über natürliche Zwänge hinwegzusetzen oder die Freiheit, sich zwischen einer nahezu unbegrenzten Auswahl an Konsumgütern zu entscheiden, als Beispiele. Andererseits, so beschreibt der Philosoph, würden zunehmend innere Freiheiten, wie Geschlechtergleichheit gesetzlich verankert. Außerdem ziehe eine vermehrte Entscheidungsfreiheit nicht nur Positives mit sich und führe nicht selten zu Überforderung. Hübl wies darauf hin, dass durch Algorithmen unsere Willensfreiheit eingeschränkt werden kann. Dieses Risiko wird auch von Dr. Ulf Buermeyer (Jurist, Politik-Podcaster der „Lage der Nation“, Vorsitzender der Gesellschaft für Freiheitsrechte e. V.) und Jan Engelmann (Politikberater beim Think Tank iRights Lab für digitale Welt, zuvor Geschäftsführer bei Wikimedia Deutschland) thematisiert. Dr. Buermeyer nahm nicht nur in der Akademie eine Folge seines Podcasts „Lage der Nation“ auf, sondern teilte im Vortrag „Was bedeuten Automatisierungsprozesse für die Menschenrechte im virtuellen Raum?“ mit den Tagungsgästen seine Gedankengänge zu den möglichen Folgen des Einsatzes von Algorithmen und künstlicher Intelligenz in der Justiz. (Zu Ulf Buermeyers Video bei Youtube gelangen Sie über diesen Link.)

Wäre es möglich, Gerichtsurteile in Zukunft anhand von Algorithmen zu fällen und welche Risiken wären mit einer solchen Entwicklung verbunden? Buermeyer ist der Ansicht, dass diese Zukunftsvision aktuell nicht realistisch sei, da Justiz von Transparenz und der Nachvollziehbarkeit von Urteilen lebt und künstliche Intelligenz dies aufgrund von verschleierten Lernprozessen nicht gewährleisten könnte. Desweiteren bestehe das Risiko, dass Rechenprozesse, die auf eingespeicherte Daten zurückgreifen, diskriminierenden Maximen folgen könnten. Aus diesem Grund, so betont der Jurist, sei es immens wichtig, Menschen aus den Rechtswissenschaften, der Rechtsprechung und Informatik in Bezug auf Diversität zu schulen und so die unbewusste Weitergabe von diskriminierenden Maßstäben an Algorithmen und künstliche Intelligenz zu verhindern. Auch der Politikberater Jan Engelmann forderte, die Spannung zwischen Fremdbestimmung und Autonomie im digitalen Raum müsse stärker erkannt und darauf reagiert werden. Junge Menschen sollten sich stärker einmischen und digitale Prozesse hinterfragen.

Welche Normen und Werte sollten im digitalen Raum gelten?

Mit dieser Problematik sah sich Clarissa Henning (Geschäftsleitung des Instituts für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien in Stuttgart) in einem moderierten Publikumsgespräch rund um die Themen „Zwischen Digital Detox, Quantified Self und Influencern – Mein digitaler Zwilling und ich“ konfrontiert. Sie machte deutlich, dass im digitalen Raum dieselben Normen und Werte gelten sollten wie im Analogen. Diese These wurde im darauffolgenden Vortrag von Ulf Buermeyer konkretisiert, der sagte, Menschenrechte gelten digital ebenso wie analog. Und auch im Workshop mit Ines Hensch (Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Professur für Digitale Medien, Universität Augsburg) ging es um die Frage nach angemessenen Normen und Werten, welche anhand der Zehn Gebote der Digitalen Ethik und der Digitalcharta des Instituts für digitale Ethik diskutiert wurde. Die Diskussion über Normen und Werte im digitalen Bereich war ein umfangreich thematisierter Bestandteil der Tagung.

Es stellte sich jedoch auch die Frage, wie die Durchsetzung dieser Regeln und Werte erfolgen kann. Clarissa Henning fordert in diesem Kontext die Bürger dazu auf, eine Meinung und eine Haltung gegenüber Technologien zu entwickeln, um sie so kritisch hinterfragen zu können. Dennoch, so wurde im Publikumsgespräch festgestellt, fühle man sich den Datenriesen, wie Google und Facebook ausgeliefert. Aufgrund dieser Tatsache sieht Henning Handlungsbedarf beim Staat. Er müsse Leitplanken vorgeben, welche die Nutzerinnen und Nutzer schützten.

Welche neuen Entwicklungen entstehen als Folge der Digitalisierung?

Neue Technologien lassen immer auch neue Strukturen entstehen, bemerkte Dr. Kim Caspar Hecker (politischer Theoretiker und Gründer) in seinem Tagungsbeitrag „Existentielle Risiken und das Technologieverständnis im Silicon Valley: Implikationen für die politische Praxis“. Dies geschehe automatisch und betreffe uns alle, ob gewollt oder nicht. Der Mensch fügt sich den Strukturen der Technologie und das wiederum hat zur Folge, dass diese für ihn als Referenz gelten. So beginnen die Menschen sich mit der anscheinend perfekten Technologie zu vergleichen und stürzen sich oftmals in einen Optimierungswahn. Welche Auswirkungen der Anpassungsdruck, der auf den Menschen wirkt, auf die Gesellschaft hat, ist noch nicht abzusehen und bleibt eine zu diskutierende Frage.

Eine weitere Entwicklung durch Digitalisierung wurde durch den Beitrag „Auf ein Youtube-Gespräch mit der Bundeskanzlerin. Netzkultur und neue politische Kommunikation“ von Mirko Drotschmann alias MrWissen2go deutlich. Der Youtuber und Journalist beschreibt den Einfluss, den die von ihm gedrehten Wissensvideos haben. So würden seine Videos nicht nur zu Hause als eine Art Nachhilfe genutzt, sondern kämen auch im Zuge von Kooperationen mit Schulen und anderen außerschulischen Bildungsträgern zum Einsatz. Die Reichweite seiner Videos ziehe auch eine große Verantwortung mit sich, der er sich deutlich bewusst sei, so Drotschmann. Das Vertrauen der vor allem jungen Menschen in Youtube-Formate und Informationsplattformen im Internet ziehe aber auch die Gefahr von verstärktem Auftreten von Fake News und Cybermobbing mit sich.

Auch Christian Uhle (Philosoph, Initiator der Veranstaltungsreihe „Netzdialoge! Philosophie des Digitalen“ im Brecht-Haus, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung im Bereich Digitaler Wandel, Technologie und Innovation) stellte nicht nur positive Entwicklungen fest. So hätten digitale Innovationen zwar Barrieren beseitigt und Effizienzsteigerungen hervorgebracht, jedoch seien die dadurch eingesparten Ressourcen für weiteren Konsum und eine Verdichtung des Arbeitsalltags verwendet worden. Daraus, so Uhle, sei eine Beschleunigung entstanden und die Innovation sei zum Selbstzweck geworden. Desweiteren forderte der Philosoph, der Mensch solle mehr Demut vor dem eigenen Nichtwissen zeigen. So sei der Klimawandel ein Beispiel dafür, dass die Bändigung der Natur durch Technologie Konsequenzen habe, die der Mensch nur schwer abschätzen könne.

Welche Verantwortung tragen die Bürgerinnen und Bürger?

Die Tagung wurde geschlossen mit einer Podiumsdiskussion, bei der Christian Uhle, Jan Engelmann und Katharina Nocun (Netzaktivistin, Autorin des Buches „Die Daten, die ich rief: Wie wir unsere Freiheit an Großkonzerne verkaufen“) gemeinsam diskutierten, wie Demokratie und Beteiligung im Netz gesichert werden kann. Nocun engagierte sich unter anderem als Bürgerrechtlerin und war Leiterin der Kampagne „Asyl für Snowden“. Auch in der Piratenpartei Deutschland war sie von 2012 bis 2016 als Geschäftsführerin aktiv und war Themenbeauftragte für Datenschutz in der Partei. Ihre Expertise in Bereichen der Digitalisierung und der digitalen Demokratie wird geschätzt und so ist sie regelmäßiger Gast in Talkshows oder Fernsehbeiträgen. Uhle, Engelmann und Nocun waren sich bei der Podiumsdiskussion einig, dass die aktuelle Positionierung der Jugend vor allem im Bereich der Umweltpolitik begrüßenswert sei und viel erreiche. Dieser politische Einsatz solle auch in den digitalen Raum und in dem Kontext der Netzpolitik übertragen werden. Die Gesellschaft trägt somit Verantwortung und sollte diese auch wahrnehmen.

Die Evangelische Akademie Tutzing und das studentische Tagungsteam der Bayreuther Dialoge bedanken sich für den spannenden Input der Referierenden, die bereichernden Gespräche und für eine alles in allem gelungene, inspirierende und zukunftsweisende Tagung. Vom 4. bis 6. Dezember 2020 findet die nächste Tagung in Kooperation mit den Bayreuther Dialogen statt, bei der wieder das Thema der Digitalethik im Vordergrund stehen wird und neue Impulse gesetzt werden.

Mickael Brunhammer, Anton Kradisch, Jakob Ortmann, Friederike Schneid, Leander Schneider, Pina Vetter, Constance Viehbeck, Julia Wunderlich

Bild: Die Teilnehmenden der Tagung „Diskursiver Funkenflug. Digitalethik & junge Philosophie“ im Gespräch. (Foto: eat archiv)

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