Tagungsbericht “CO2 als Abfall und Rohstoff”

Über kaum ein Molekül wird derzeit mehr diskutiert als über Kohlendioxid. Negativ ist der Ruf des Konfliktstoffs: Die Verminderung von CO2-Emissionen gilt als zentrale Maßnahme, um menschliche Auswirkungen auf das Klima zu reduzieren. Dabei wird oft vergessen, dass CO2 auch Baustein allen Lebens ist. In einer Veranstaltung Anfang Oktober widmeten wir uns in Kooperation mit acatech und dem Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften den Fragen: Kann CO2 einen Imagewandel vom Abfall und “Klimakiller” zum nützlichen Rohstoff vollziehen? Welche Techniken helfen uns, das Treibhausgas zu entsorgen? Und wie steht es um deren gesellschaftliche Akzeptanz?

Auf der Tagung, moderiert von Stephan Schleissing vom Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften der LMU München und Marc-Denis Weitze, acatech Geschäftsstelle, diskutierten die Teilnehmenden über die Rolle von Kohlendioxid in unserem Energie- und Rohstoffsystem und wie Kohlendioxid mit Klimapolitik und Bioökonomie zusammenhängt. Dabei ging es im ersten Teil der Tagung vor allem um Carbon Capture and Storage (CCS), also die Abscheidung und Speicherung von Kohlendioxid. In mehreren Ländern wird an Verfahren geforscht, mit denen Kohlendioxid aus Kraftwerksabgasen abgetrennt und dauerhaft unterirdisch eingelagert werden kann. Verfechter dieser Technologie sind der Ansicht, dass nur mit solchen “negativen Emissionen” das Paris-Ziel der Treibhausgasneutralität erreicht werden kann.

Aber auch Technologien zur Nutzung von Kohlenstoffdioxid wie Carbon Capture and Utilisation (CCU) sind in der Erforschung. Das Verfahren stand im Mittelpunkt des zweiten Tagungsteils. Durch CCU wird Kohlenstoff, der in konventionellen Herstellungsprozessen aus fossilen Quellen stammt, mit Kohlenstoff aus CO2 ersetzt. Das CO2 kann dabei aus den Rauchgasen industrieller Emittenten abgeschieden werden. Aber sogar eine direkte Entnahme von CO2 aus der Luft wird technisch erprobt. In chemischen Konversionsprozessen können mit CO2 synthetische Kraftstoffe oder Grundstoffe für die chemische Industrie sowie für die Baubranche hergestellt werden.

CO2 – Geschichte und Zukunft eines Konfliktstoffes

Jens Soentgen, Leiter des Wissenschaftszentrums Umwelt der Universität Augsburg, ging zu Beginn auf die Geschichte des Moleküls CO2 ein – von seiner Entdeckung im 17. Jahrhundert bis hin zu seiner Rolle in der Klimawandel-Debatte. Er betonte, dass CO2 für das Leben auf der Erde von fundamentaler Bedeutung sei und auch in direkter Beziehung zum Klima stehe – eine Beziehung, die das Molekül zu einem Politikum gemacht hat. Man müsse versuchen, den Stoff besser zu verstehen, um die von ihm verursachten Probleme lösen zu können, appellierte Jens Soentgen. Er zeigte, wie stark sich der Kohlendioxid-Ausstoß seit der Industrialisierung erhöht hat und wie dieser immer schneller ansteigt. Der nun schon seit Jahrzehnten geführte Diskurs habe keinen Effekt auf die Kurve, stellte er ernüchtert fest. Es nutze nicht, wenn wir nur darauf achten, CO2 zu sparen. Stattdessen bedürfe es einer kompletten Neuorganisation der Klimapolitik. Es komme dabei darauf an, eine neue umweltpolitische Doktrin zu entwickeln, in die Klimaschutz eingeht, die aber nicht in Klimaschutz aufgeht. Eine neu aufgestellte, integrierte Umweltpolitik, die zwischen den Themen Biodiversität und Klimaschutz vermittelt, sei die Aufgabe nach dem absehbaren Scheitern des 1,5-Grad Zieles.

Nutzungsstrategien und Gesellschaft

Wie die Gesellschaft von der Implementierung von CO2-Nutzungstechnologien profitieren kann und welche Rahmenbedingungen es dafür braucht, untersucht Barbara Olfe-Kräutlein, Leiterin der Forschungsgruppe “CO2 Nutzungsstrategien und Gesellschaft” am Institute for Advanced Sustainability Studies e.V. (IASS). Auf eine dieser CO2-Nutzungstechnologien, Carbon Capture and Utilisation (CCU), ging sie in ihrem Vortrag genauer ein. Sie beschrieb ökologische und ökonomische Aspekte und stellte gesamtgesellschaftliche Anreize für die Implementierung von CCU dar. Sie ging aber auch auf unerwünschte Nebenwirkungen ein und betonte, dass CO2-Nutzungstechnologien nicht CO2 einsparten, sondern fossilen Kohlenstoff als Bestandteil von Materialien und Energieträgern ersetzen könne und so ein Kohlenstoffkreislauf entstünde. Zusammenfassend urteilte sie, dass CCU-Technologien unter bestimmten Bedingungen für die Gesellschaft von Nutzen seien und riet dazu, bei nachgewiesenem Nutzen CCU zu fördern.

Die öffentliche Wahrnehmung von CCS in Norwegen und Deutschland

Carbon Capture and Storage, die Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund – sei es an Land oder im Meeresuntergrund –, war Thema des Beitrags von Christine Merk, Forschungszentrum Global Commons und Klimapolitik am Institut für Weltwirtschaft (IfW). Sie erforscht, was die Wahrnehmung der Bevölkerung gegenüber CCS beeinflusst und stellte in diesem Zusammenhang die Länder Norwegen und Deutschland gegenüber. Während CCS in Deutschland kaum akzeptiert werde, der Wissensstand generell eher gering sei und CCS in der gesellschaftlichen Diskussion fast nicht vorkomme, gelte es in Norwegen dagegen als nationales Projekt. CO2 wird dort als Müll wahrgenommen und die Norweger fühlen sich verantwortlich für ihre Emissionen.

CCU und CCS – Bausteine für den Klimaschutz in der Industrie

Acatech-Mitglied Hans-Joachim Kümpel, ehemals Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, unterstrich in seinem Vortrag, dass die CO2-Vermeidung (durch höhere Effizienz, Elektrifizierung oder Substituieren von Energie, Prozessen oder Material) von Treibhausgas-Emissionen oberste Priorität haben müsse, um die Klimaziele zu erreichen. An zweiter Stelle stünde die Verwertung (CCU) durch Verlängerung der stofflichen Nutzung (von langlebigen Produkten). An dritter Stelle stünde schließlich die dauerhafte Speicherung (CCS) von nicht vermeidbaren Emissionen, um die Emissionsminderungsziele für die Industrie in Deutschland zu erreichen. Mit diesen beiden Technologien ließen sich die bei industriellen Prozessen entstandenen CO2-Emissionen abscheiden und speichern bzw. stofflich nutzen, wodurch der CO2-Austoß verringert werden könnte. Er riet dazu, die Chancen, Risiken und Grenzen von CCU und CCS jetzt zu prüfen und zu bewerten. Er regte an, eine breite gesellschaftliche Debatte zu führen, da der Einsatz von CCU/CCS die Befürwortung durch große Teile der Zivilgesellschaft, Industrie, Politik und Verbände benötige, die wiederum nur durch das Vertrauen in die Handelnden zu erreichen sei.

Anforderungen an CCS-Projekte aus Sicht des Naturschutzes

Steffi Ober, Naturschutzbund Deutschland (NABU), wies auf verschiedene Risiken entlang der CCS-Prozesskette hin. So habe die CO2-Abscheidung Umweltwirkungen auf Luft-, Wasser- oder Abfallpfad und könne zu Verunreinigungen durch zum Beispiel Quecksilber und radioaktiven Spuren im Rauchgas und damit zu einem Gesundheitsrisiko führen. Der Transport des CO2 bedeute einen Eingriff in die Natur und die Landschaft durch den Bau von Pipelines. Die Pipelines könnten reißen und würden damit ein Gesundheitsrisiko darstellen. Schließlich habe die CO2-Speicherung Auswirkungen auf das Grundwasser, das Leben in den Meeren und führe zur Zerklüftung des Gesteins. In ihrem Fazit sprach sie sich dafür aus, Prioritäten in der Klimapolitik zu setzen (“Vermeidung versus Speicherung”), Anwendungsgrenzen unter Biodiversitäts-Schutzaspekten zu definieren und das Thema in der Öffentlichkeit und Politik zu positionieren.

Zwischen Photosynthese und Apokalypse. Ein Experiment in Wissenschaftskommunikation

Philipp Schrögel vom Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien an der Universität Heidelberg und Marc-Denis Weitze, acatech Geschäftsstelle, stellten zum Abschluss des ersten Seminartages kreative Kommunikationsformen, wie zum Beispiel Wissenschaft im Comic, in der Literatur und in Brettspielen vor. Anschließend diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in Kleingruppen die verschiedenen Formate: Spricht Sie dieses Format an? Würden Sie es selbst nutzen? Wo sehen Sie Chancen, wo Probleme? Wie gewichten Sie zwischen künstlerischer Freiheit und wissenschaftlichem Inhalt bzw. Genauigkeit?

CO2 – Klimakiller oder Rohstoff der Zukunft? Wege zu einer klimazentrierten Bioökonomie

Mit der Beschreibung der globalen Herausforderungen bis 2050 begann Thomas Brück, TU München, seinen Vortrag, der am Anfang des zweiten Seminartages stand. Der Biochemiker prognostizierte für diesen Zeitraum ein ca. 50-prozentiges Bevölkerungswachstum und die damit einhergehende Erhöhung der Bedarfe von Energie und Nahrung. Gleichzeit müsse der Verbrauch von fossilen Energieträgern reduziert werden, um den Klimawandel aufzuhalten. Hier könne die Synthetische Biotechnologie einen entscheidenden Beitrag leisten, da sie neue Möglichkeiten zur CO2-Fixierung in Wertstoffen biete, sagte Thomas Brück. Er beschrieb in diesem Zusammenhang unter anderem die Möglichkeiten der direkten CO2-Verwertung durch Algen und die indirekte CO2-Verwertung über Biomasse in Form von Ölhefen.

Nachhaltige Energienutzung durch Power-to-X und Künstliche Photosynthese

Der Biophysiker Holger Dau, Freie Universität Berlin, stellte anschließend die Künstliche Photosynthese vor: die Idee, nach dem Vorbild der Natur Brennstoffe und chemische Wertstoffe aus der Luft zu greifen, indem CO2 mit Wasser unter Nutzung erneuerbarer Energien gebunden wird. Das Konzept kopiert nicht die Pflanzen, ist aber von diesen inspiriert. Neben wissenschaftlich-technischen Details stellte Holger Dau wirtschaftliche Aspekte heraus, die die Verwendung von Kohle, Öl oder Erdgas bis heute noch deutlich preisgünstiger erscheinen lassen.

Anknüpfend an den Vortrag von Holger Dau, beschrieb Thomas Haas, Evonik Degussa GmbH, wie im Kooperationsprojekt “Rheticus” von Siemens und Evonik CO2 in wertvolle Chemikalien umgewandelt werden kann. Rheticus kombiniert Elektrolyse und Fermentation und verfolgt damit ebenfalls die Vision der Künstlichen Photosynthese.

Fakten, Szenarien, Meinungen: Was leistet Wissenschaftskommunikation?

Jeanne Rubner, Leiterin der Redaktion Wissenschaft und Bildungspolitik beim BR-Hörfunk, sprach abschließend über ihre Erfahrungen mit der Wissenschaftskommunikation in den vergangenen, von der Corona-Pandemie gekennzeichneten Monaten. Corona habe die Nachfrage nach wissenschaftlichen Themen verstärkt. Gleichzeit wurde sehr deutlich, dass die sogenannten sozialen Medien das Kommunikationsverhalten der Menschen erheblich verändern. Durch vielfältige und unterschiedliche Kanäle käme es zu einer verstärkten Sichtbarkeit von Minderheitenmeinungen. Als besonders problematisch für einen unabhängigen Journalismus bezeichnete sie es, dass gute Inhalte kein Garant mehr für ein großes Publikum sind.

Hier können Sie das Tagungsprogramm “CO2 als Abfall und Rohstoff” als PDF abrufen.

Die Reihe “Innovation und Verantwortung” wird im kommenden Jahr fortgesetzt.

Hinweis:
Dieser Artikel ist ursprünglich auf der Homepage von acatech (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften) erschienen. Hier können Sie ihn abrufen.

Bild: Während der Tagung zum Thema CO2 in der Evangelischen Akademie Tutzing. (Foto: acatech)

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