Klima, Corona, Krieg: Warum wir Arbeit dringend überdenken sollten

Arbeit ist eng verknüpft mit besonderen Wertvorstellungen und Institutionen. Was bislang zu wenig gesehen wird: Arbeit ist klimaschädlich. Würde man Arbeitszeit etwa an verbleibenden CO2-Budgets bemessen, ergäbe sich für jeden erwerbstätigen Menschen in Deutschland eine Wochenarbeitszeit von etwa sechs Stunden, schreibt die Nachhaltigkeitsforscherin Maja Hoffmann in diesem Text. Sie fordert: Menschen, werdet fauler!

Von Maja Hoffmann

Energieversorgung und Energieknappheit stehen seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine auf einmal ganz oben auf der politischen Agenda. Fossiles Gas, bis vor kurzem noch als angebliche ‘Brückentechnologie’ allgemeiner Hoffnungsträger, ist nun ganz unbestritten erheblicher Problemfaktor. Die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Akteure wetteifern über Vorschläge, wie wir von russischem Gas (nebst Öl, Kohle und Uran) unabhängig werden können. Aus Klimasicht ist daran erstaunlich, dass wir schon sehr lange wissen, dass substanzielle Emissionsreduktionen – und damit das Ende der Nutzung fossiler Energieträger – in sehr kurzer Zeit nötig sind. Dennoch gab es bislang keinen ‘Gasnotfallplan’ der das Klima im Blick gehabt hätte, kein breites Bewusstsein, dass wir von fossilen Energien auf fatale Weise abhängig sind und diese Abhängigkeit eigentlich längst hätten überwinden sollen. Wir befinden uns weiterhin auf dem Pfad, der von höchster klimawissenschaftlicher Warte als “Selbstverbrennung”[i] bezeichnet wurde, und die junge Generation hat völlig zurecht Angst vor einer existenziell bedrohlichen Zukunft.[ii]

Woran könnte es liegen, dass bislang so wenig dagegen unternommen wurde, das Leben auf der Erde zu bewahren? Eine sehr plausible Erklärung lautet: Moderne Industriegesellschaften sind nicht nur abhängig von fossiler Energie, sondern auch abhängig von Arbeit. Dies wird regelmäßig am altbekannten ‘Arbeitsplatzargument’ deutlich. Arbeitsplätze genießen absolute Priorität, sie rechtfertigen Umweltzerstörung und den Fortbestand destruktiver Industrien. Es besteht ein breiter Konsens quer durch alle Gewerkschaften und politischen Lager, dass Arbeitsplätze erhalten und neue Jobs geschaffen werden müssen, ganz egal welche. Auch in der gegenwärtigen durch den russischen Krieg verursachten Energiekrise, in der mit Energieknappheit durch verminderte Gasimporte oder sogar ein mögliches Gasembargo umgegangen werden muss, befürchten Politik, Unternehmen und Gewerkschaften schwerwiegende Folgen für Wirtschaft und Arbeitsplätze,[iii] besonders in den energieintensiven Industrien[iv] – was sogar die extrem klimaschädliche Kohleverstromung wieder salonfähig[v] macht. Ein Infragestellen von energieintensiver Produktion selbst scheint hingegen tabu. Wie genau lässt sich das erklären? Und wie könnte dieses Problem angegangen werden?

Der Konflikt zwischen Arbeit und Umwelt

Arbeit ist ein erheblicher Verursacher der ökologischen Krise. So zeigen Studien,[vi] dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Umweltbelastung und Arbeitszeit besteht. Gründe dafür sind die unmittelbaren Umweltauswirkungen von Arbeit, sowie die Zeitnutzungs-, Konsum-, Infrastruktur- und Mobilitätsmuster, die Arbeit bedingt und erforderlich macht. Gleichzeitig ist Arbeit Dreh- und Angelpunkt moderner ‘Arbeitsgesellschaften’, in denen verschiedene strukturelle Abhängigkeiten von Arbeit vorherrschen: Arbeit ist essenziell für individuellen Lebensunterhalt, sozialen Status und Inklusion, für Finanzierung und Legitimation des Wohlfahrtsstaats, für Wachstum und Profite der Wirtschaft. Darüber hinaus spielt sie eine bedeutsame kulturelle Rolle, wenn sie als Selbstzweck, moralische Pflicht und intrinsisch gut bewertet wird (genauer wird dies hier beschrieben).[vii]

Der Sozialphilosoph André Gorz fasste es treffend zusammen: Für die moderne Industriegesellschaft ist Arbeit sowohl Hauptmittel als auch Hauptzweck. Aus dieser Konstellation, umweltschädlichen Auswirkungen von Arbeit auf der einen und systemischen Zwängen zu Arbeit auf der anderen Seite, ergibt sich das ‘Dilemma’ zwischen Arbeit und Umwelt. Es bedeutet einen strukturellen Lock-in destruktiver Verhaltensweisen und ein zentrales Hindernis für eine nachhaltige Transformation der Gesellschaft.

Wie Arbeitskritik die Klimadebatte bereichern kann

Mit Arbeitskritik oder ‘Postwork’ gibt es eine Strömung in der progressiven Sozialwissenschaft, die diese Problematik kritisch aufnimmt und sehr hilfreich sein kann, um sich einer Lösung zu nähern. Die Postwork-Debatte kritisiert die gesellschaftliche Zentralität moderner Arbeit (d.h. primär Erwerbsarbeit, ihre Institutionen und Normen) und damit verbunden die Strukturen und Sozialbeziehungen der modernen Arbeitsgesellschaft. Dies umfasst auch die ideologische Basis dieser Gesellschaft, nämlich die kulturelle Überhöhung von Arbeit, ganz gleich, was getan wird. Obwohl allgemein als natürlich angenommen, ist diese Art der sozialen Organisation historisch und kulturell eindeutig eine Ausnahme menschlichen Zusammenlebens. Teil der Debatte ist somit auch, wie die moderne Industriegesellschaft emanzipatorisch transformiert werden kann.

Arbeitskritik/Postwork bereichert Nachhaltigkeitsdebatten um wertvolle neue Perspektiven: Zunächst lenkt dieser Ansatz den Fokus weg von oberflächlichen Lösungsvorschlägen, wie etwa der Änderung des individuellen Konsumverhaltens. Stattdessen öffnet er konzeptionellen Raum für eine Verständigung über Arbeit als zentrales Umweltproblem, und über die dringend nötige substanzielle Reduktion von Arbeit und Produktion – Arbeitszeitverkürzung ist eines der Hauptanliegen von Postwork. Berechnungen zeigen,[viii] dass ein mit verbleibenden CO2-Budgets vereinbares Maß an Arbeitszeit für Deutschland eine Wochenarbeitszeit von rund sechs Stunden bedeutet. Nicht am Tag, in der Woche! Aktuelle Debatten um ‘gerechte Übergänge’ und ‘Klimajobs’ sind daher zwar zu begrüßen, werden aber dem Ausmaß und der Dringlichkeit der ökologischen Herausforderungen nicht gerecht. Dabei war Arbeitszeitverkürzung das 19. und 20. Jahrhundert hindurch eine der gewerkschaftlichen Hauptforderungen und Teil der meisten parteipolitischen Programme (wenn auch aus anderen Beweggründen) – daran ließe sich wieder anknüpfen.

Vieles spricht jedoch dafür, Arbeit nicht pauschal zu reduzieren, sondern je nach ökologischen Auswirkungen der Branchen sowie der Möglichkeit, Arbeit auf Basis erneuerbarer Energien zu organisieren. Doch welche Arbeit sollte reduziert werden und wer entscheidet darüber? Welche Arbeit ist sinnlos und schädlich, welche unabdingbar für die Gesellschaft? Die Coronapandemie hat hierfür den Aspekt der ‘Systemrelevanz’ ins Feld geführt und uns damit kurzzeitig vor Augen geführt, dass eine Unterscheidung in dieser Hinsicht sinnvoll sein kann – schließlich wurde ‘systemrelevanter’ Arbeit allgemein neue Wertschätzung entgegengebracht. Auch aktuelle Gasnotfallpläne scheinen nach gesellschaftlicher Wichtigkeit verschiedener Wirtschaftsbereiche zu priorisieren. Ernsthafte Diskussionen über derlei zentrale Fragen werden ansonsten aber durch die Unantastbarkeit von Arbeit und ‘Vollbeschäftigung’ verhindert. Es bräuchte daher eine breite Debatte über Sinn und Zweck sowie gesellschaftliche Notwendigkeit von Arbeit (was teils schon begonnen hat, wie die Diskussion um ‘Bullshit Jobs’[ix] zeigt). Dazu ist es nötig, Institutionen wirtschaftsdemokratischer Entscheidungsfindung zu schaffen, die durch die Expertise und Organisationserfahrung von Gewerkschaften unterstützt werden könnten. Für die Gewerkschaften wiederum wäre diese Funktion (die praktische Begleitung von Wirtschaftsdemokratie auf unterschiedlichen politischen Ebenen) zukunftsweisend, würde allerdings ihre Bereitschaft erfordern, sich zu verändern.

Eine Postwork-Perspektive ermöglicht auch, die Organisation von Arbeit zu überdenken, etwa um sie auf eine nachhaltige Energie- und Ressourcenbasis zu stellen. Dabei ist insbesondere eine Institution hinderlich: der Arbeitsmarkt. Er ist ein Mechanismus, der Arbeit im Wettbewerbsmodus als künstlich verknappte ‘fiktive’ Ware je nach Verfügbarkeit von Geld und/oder Erwartung von Gewinn seitens sog. Arbeitgeber verteilt – und nicht nach Kriterien der Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Bedürfnisse. So lange schädliche und gesellschaftlich sinnlose Jobs profitabel und/oder (gut) bezahlt sind, werden sie nach Marktlogik auch existieren, genauso wie ‘grüne Jobs’ diesen Kriterien entsprechen müssen, um geschaffen zu werden. Eine arbeitsmarktkritische Alternative wären demokratische Formen der Organisation gesellschaftlich notwendiger Tätigkeit, in denen Arbeit nicht mehr als Ware behandelt und über Märkte vermittelt wird. Die Menschen müssten somit nicht mehr ihre Arbeitszeit verkaufen, um ihre soziale und wirtschaftliche Existenz zu sichern. Es könnte autonom entschieden werden, was zu welchem Zweck und mit welchen Mitteln produziert wird. Beispiele für solche neuen (bzw. im Grunde alten) Formen von Arbeit gibt es bereits, etwa in der solidarischen Landwirtschaft, in der nicht anonyme Märkte, sondern die beteiligten Menschen über die Produktion entscheiden.

Schließlich ist Arbeitskritik/Postwork als Ansatz auch hilfreich für ökologische Zwecke, weil damit die moralische Überhöhung von ‘harter Arbeit’ und Produktivismus problematisiert wird. Postwork bietet eine andere Denkweise, wonach auch Faulheit sehr wertvoll sein kann: Zeitnutzungsstudien zeigen, dass Muße, Ausspannen und sozialer Zeitvertreib sehr geringe ökologische Auswirkungen haben, und Schlafen praktisch gar keine – somit ist nichts so klimaneutral und umweltfreundlich wie Unproduktivsein, Faulheit die umweltverträglichste Daseinsform. Die arbeitskritische Forschung hilft auch zu verstehen, inwiefern sich unsere Haltung zu Arbeit[x] und Zeit[xi] historisch verändert hat, was grundlegend für die Entstehung der modernen Arbeitskultur war. Die Debatte kann dabei auf eine sehr alte Tradition zurückgreifen, in der Muße als höchstes soziales Ideal[xii] und als wesentlich für die Verwirklichung von Freiheit und einem guten Leben betrachtet wurde.

Für eine effektive Klimapolitik wäre daher zu empfehlen: die (Wieder-)Entdeckung von Faulheit, Konkurrenzverschlafen (überhaupt viel mehr schlafen) und Generalstreik als politische Mittel –  zum einen, um Sand ins Getriebe eines immer destruktiver werdenden Systems zu streuen und zum anderen als unmittelbare Klimaschutzmaßname. Dinge sein lassen, bewusstes Nichtstun und kollektives Aufhören wären ökologisch sehr vorteilhaft und, wie die Aktivistin Greta Thunberg erklärte,[xiii] die einzige wirksame Klimaschutzmethode, die heute in großem Maßstab verfügbar ist. Thunberg fügte allerdings auch hinzu, dass die Vorstellung einer Maßnahme, für die man nichts bauen, investieren oder kaufen muss, für viele nicht nur unrealistisch ist, sondern quasi einen gedanklichen Kurzschluss erzeugt. Zu sehr ist der moderne Mensch davon überzeugt, dass eine sinnvolle Maßnahme mit Produktivität und Aktivität einhergehen muss. Es sollte uns jedenfalls zu denken geben, dass die ‘vorindustrielle’ Zeit ein entscheidender Referenzpunkt für die Klimawissenschaft ist.

Klima, Corona, Krieg: All das zwingt uns zum Umdenken. Eine grundlegende Transformation unserer Lebens- und Wirtschaftsweise für eine nachhaltige und lebenswerte Zukunft ist dringend geboten. Ob es rechtzeitig gelingen wird, ist offen und ohne eine grundsätzliche Veränderung von Arbeit zunehmend unrealistisch.

Zur Autorin:

Maja Hoffmann ist Doktorandin an der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie forscht zu Arbeit und Arbeitskritik im Kontext von sozial-ökologischer Transformation und postkolonialer Theorie.

Hinweis:
Wir widmen uns dem Thema Arbeit und Ökologie vom 30.09. bis 02.10.2022 in der Tagung “Lohn und Erde – ökologische Gewerkschaftspolitik”. Weitere Informationen dazu hier.


Dieser Beitrag ist zugleich Gastkolumne im Juli-Newsletter der Evangelischen Akademie Tutzing.
Mehr dazu hier.

Bild: Maja Hoffmann (Foto: privat)

Quellenhinweise:

[i]https://www.penguinrandomhouse.de/Buch/Selbstverbrennung/Hans-Joachim-Schellnhuber/C-Bertelsmann/e481489.rhd#

[ii]https://www.thelancet.com/journals/lanplh/article/PIIS2542-5196(21)00278-3/fulltext

[iii]https://www.iwh-halle.de/presse/pressemitteilungen/detail/regionale-effekte-einer-durch-einen-lieferstopp-fuer-russisches-gas-ausgeloesten-rezession-in-deutschl/

[iv]https://igbce.de/igbce/wenn-das-gas-fehlt–206668

[v]https://www.zeit.de/wirtschaft/2022-06/robert-habeck-gassparplaene-faq

[vi]https://iopscience.iop.org/article/10.1088/1748-9326/abceec/meta

[vii]https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/23251042.2020.1790718

[viii]https://autonomy.work/wp-content/uploads/2019/05/The-Ecological-Limits-of-Work-final.pdf

[ix]https://www.zeit.de/arbeit/2020-03/david-graebner-coronavirus-kapitalismus-bullshitjobs

[x]https://www.deutschlandfunk.de/max-weber-das-stahlharte-gehaeuse-des-kapitalismus-100.html

[xi]https://www.sv.uio.no/sai/english/research/projects/anthropos-and-the-material/Intranet/economic-practices/reading-group/texts/thompson-time-work-discipline-and-industrial-capitalism.pdf

[xii]https://www.deutschlandfunkkultur.de/philosophie-des-guten-lebens-warum-wir-fuer-mehr-musse-100.html

[xiii]https://www.bbc.co.uk/programmes/p08kbsm0

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