Vom „Tal der Tränen“ zur Zukunftsregion

Akademie-Gespräch „Über Gott und die Welt“ am 5. Juli in Bayreuth in der Regierung von Oberfranken

Frauen in Führungspositionen sollten eigentlich längst etwas Selbstverständliches sein. Eine bislang ungewohnte Konstellation in Bayreuth war allerdings sogar der „Süddeutschen Zeitung“ im Juli 2017 eine fast ganzseitige Geschichte wert. „Die Troika von Bayreuth“ titelte das Blatt über das Interview mit Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe, Regierungspräsidentin Heidrun Piwernetz und Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner. In ihrem beruflichen Alltag haben alle drei immer wieder miteinander zu tun; fast genau ein Jahr nach dem SZ-Artikel trafen sie sich nun auf Einladung der Evangelischen Akademie Tutzing und des örtlichen Freundeskreises zu einem Gespräch „Über Gott und die Welt“.

Ort dieser Begegnung war der sogenannte Landratssaal im Präsidialgebäude der Regierung von Oberfranken in Bayreuth – ein öffentlich selten zugängliches Juwel deutscher Jugendstil-Innenarchitektur. Nach Schloss Nymphenburg in München und dem Studio Nürnberg des Bayerischen Rundfunks hatte sich die Akademie für ihre dritte Veranstaltung in der Reihe „Über Gott und die Welt“ damit erneut ein repräsentatives Ambiente ausgesucht. Mit diesen Gesprächen, die durch alle sechs Kirchenkreise der bayerischen evangelischen Landeskirche führen sollen, will die Akademie auch mehr Präsenz in den Regionen zeigen und „den Menschen in Bayern begegnen“, wie es Akademiedirektor Udo Hahn formuliert, der auch die Podiumsdiskussion in Bayreuth leitete.

Dank Förderprogramme auf dem Weg zu einer „Zukunftsregion“

In Bayern galt der Regierungsbezirk Oberfranken, der nahezu deckungsgleich mit dem evangelischen Kirchenkreis Bayreuth ist, lange Zeit als Problemregion. Der wirtschaftliche Strukturwandel der vergangenen drei Jahrzehnte und zeitgleich der anhaltende Bevölkerungsrückgang schlugen dort vielfach breitere Schneisen als in anderen Teilen Bayerns. So zählte man beispielsweise im Kirchenkreis Bayreuth vor zwölf Jahren noch 500.000 evangelische Gemeindeglieder, heute nur 440.000, berichtete Dorothea Greiner, die 2009 das Amt der Bayreuther Regionalbischöfin übernahm. Ein Trend, der sich mittelfristig auf die Zahl der Pfarrstellen auswirkt und bei der bevorstehenden Pfarrstellenplanung auch spürbar werden wird. Doch die Menschen bringen sich nach Worten der Theologin auch oft konstruktiv in diese schmerzhaften Prozesse ein.

„Das Tal der Tränen haben wir aber inzwischen durchschritten“: In dieser Einschätzung war sich Dorothea Greiner grundsätzlich einig mit Heidrun Piwernetz, die seit März 2016 an der Spitze der oberfränkischen Bezirksregierung steht. Als Chefin dieser „Bündelungsbehörde“ mit einer Vielfalt von Zuständigkeiten von Bildung bis Umwelt ist es eines ihrer Ziele, mithilfe unterschiedlicher Förderprogramme „wieder Hoffnung in diesen Raum“ zu bringen. Als ländlich geprägter Raum stehe Oberfranken „in hartem Wettbewerb“ mit anderen bayerischen Regionen. Und mittlerweile sei wieder eine Aufbruchstimmung zu spüren, sagte Piwernetz: „Wir sind auf dem Weg zu einer Zukunftsregion.“

Durchaus positive Signale auf kommunaler Ebene registriert auch Brigitte Merk-Erbe, die 2012 ins Amt der Bayreuther Oberbürgermeisterin gewählt wurde. Ihre politische Heimat ist die Bayreuther Gemeinschaft, deren Vereinsstatus („keine politische Partei“) der früheren Sonderschulpädagogin besonders wichtig. Vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um fehlende Wohnräume in Bayern wies sie darauf hin, dass die Stadt Bayreuth bereits vergleichsweise früh damit begonnen habe, neue bezahlbare Wohnhäuser im Stadtgebiet zu errichten. So werde gegenwärtig ein früherer sozialer Brennpunkt im Nordwesten Bayreuths zum Neubaugebiet mit preisgünstigen Wohnungen umgewandelt. Was Merk-Erbe im Zusammenhang nicht sagte: Dies ist indirekt eine Folge der Flüchtlingskrise. Auf dem Gelände sollte 2015 eine Erstaufnahmestelle für Asylbewerber entstehen; die Verträge waren bereits unterschrieben, als der Freistaat das Projekt überraschend wieder aufgab.

Migration, Asyl, Integration – das sind die Themen, die den aktuellen öffentlichen Diskurs dominieren, in denen sich zugleich die Arbeitsfelder aller drei Gesprächsteilnehmerinnen überschneiden. Für viele Zuhörer eine Überraschung war eine Zahl, die Heidrun Piwernetz nannte: Mehr als 20 Prozent der insgesamt rund 630 Mitarbeitenden in der Bezirksregierung sind mit Fragen rund um ausländerrechtliche Themen befasst. Und die Aufnahmeeinrichtung Oberfranken (AEO) in Bamberg, die in die Zuständigkeit der Regierung von Oberfranken fällt, gelte bundesweit als Musterbeispiel für die geplanten sogenannten „Ankerzentren“ für Asylbewerber. Piwernetz erinnerte auch die vorbildlichen Leistungen Bayerns bei der Aufnahme und Begleitung von Flüchtlingen seit 2015, durch Behörden, Kommunen und durch ehrenamtliche Helfer.

Regionalbischöfin besorgt über zunehmenden Säkularismus in Deutschland und Europa

Genau diese „Erfolgsgeschichten“ würden in der laufenden Flüchtlingsdebatte viel zu wenig herausgestellt, mahnte Regionalbischöfin Greiner. Die Kirchen hätten freilich auch die Pflicht, dort den Finger in die Wunde zu legen, wo mit Menschen „nicht ordentlich umgegangen wird“. Kritisch merkte sie, dass in Asylverfahren die christliche Taufe auch von überzeugenden Bewerbern immer wieder nicht ausreichend anerkannt werde.

Mit Sorge beobachtet die oberfränkische Regionalbischöfin allerdings einen zunehmenden Säkularismus in Deutschland und Europa. „Ich sehe eine große Gefahr in der Ideologie der Laizität, mit der eine Form der Trennung von Staat und Kirche herbeigeführt wird, die uns allen nicht recht sein kann.“  Nachdrücklich setzte sich die Regionalbischöfin dafür ein, dass der christliche Glaube »als Fundament unserer Werte« auch im öffentlichen Raum präsent sei. „Er war immer ein Glaube, der Gesellschaft gestaltet – deshalb gehört er nicht nur ins Privatleben, nicht nur ins stille Kämmerlein.“

Mit Blick auf den umstrittenen Kabinettsbeschluss zur Kreuzpflicht in bayerischen Behörde bemerkte Greiner, es stehe einer Partei wie der CSU gut an, sich deutlich zum christlichen Glauben zu bekennen. „Da kann auch das Kreuz ein Zeichen sein – warum nicht?“ Allerdings müsse sich diese Partei dann auch an diesem christlichen Glauben messen lassen, und ihre Politik sollte von christlichen Werten geleitet sein. Dass sich Bayern mit dem Kreuz-Erlass in seinen Behörden „auf seine christlichen Wurzel besinnt“, hält Heidrun Piwernetz für durchaus richtig; gleichwohl müsse es sich der Freistaat gefallen lassen, wenn manche Entscheidungen kritisch hinterfragt würden.

„Wenn wir zu Veranstaltungen einladen, geht es immer um Orientierung“, hatte Akademiedirektor Udo Hahn zu Beginn der Bayreuther Diskussion gesagt. Es war fast eine vorausschauende Antwort auf den Stoßseufzer von Oberbürgermeisterin Merk-Erbe: Angesichts von sich immer schneller entwickelnden, zugleich aber recht kurzlebigen Ereignissen, oft begleitet von populistischer Effekthascherei, fehle den Entscheidern zunehmend ausreichende Gelegenheit zum Nachdenken. „Die komplexen Zusammenhänge, in denen wir leben, brauchen einfach Zeit. Und diese Zeit wird uns nicht mehr gegeben.“

Wolfgang Lammel/epd

Bild oben: Im Landratssaal in Bayreuth: Der Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing Udo Hahn, Regionalbischöfin Dr. Dorothea Greiner, Regierungspräsidentin Heidrun Piwernetz, Oberbürgermeisterin Brigitte Merk-Erbe sowie Klaus Gollner, Leiter des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing in Bayreuth (v.l.n.r.). / Quelle: epd/Wolfgang Lammel

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