Poetry-Slam-Texte aus “Your Voice!”

Mit Lernplan in den Burnout

von Isabelle Schmidgall

Die Woche beginnt: Apfel, Apfel, Apfel; nein heute ist ja Mittwoch: also Banane! Sonst stimmen die Nährstoffe nicht, von den Mineralstoffen mal ganz zu schweigen.
Weiter geht es mit Apfel, Apfel, Apfel; nein es ist ja Samstag! Also Birne, sonst stimmen die Nährstoffe ja nicht, von den Mineralstoffen mal ganz zu schweigen.

Der Plan für heute: Lernplan schreiben, danach Fitness, Tennis und noch Marlies‘ Insta liken.

Nächster Tag: den Lernplan geschafft? Knapp, aber ja. Dazu noch Kochen, Saugen, Waschen und dazu noch auf der Demo: Rettet die Pflanzenbabys schreien

Nächster Tag: Was war heute Apfel oder Banane? Oder sogar die Birne? Die Nährstoffe! Und erst die Mineralstoffe!
Sind die Pflanzenbabys nun schon gerettet?
Ist der Lernplan noch im Zeitplan?
Wer hat hier den Plan und viel wichtiger: Wer hat hier den Plan für mein Leben?

Am Ende bleibt dann nur noch Apfel, Apfel, Banane, Apfel, Apfel, Birne, denn die Nähr- und Mineralstoffe müssen ja stimmen.


Poetry-Slam-Text

von Metis

Auf Instagram fand ich einen Comic, der mir riet, mir jedes Mal, wenn ich Schwierigkeiten hatte, mich selbst im Spiegel zu betrachten, eine Pflanze zu kaufen.

Mit starrem Blick sitze ich also nun da, umgeben von meinen Pflanzenbabys, vor meinem Kalender und dem Schlachtfeld von Post-Ist, die sich über die letzten Tage auf meinem Schreibtisch gesammelt haben, und versuche, einen Zeitpunkt zu finden, wo sich das Gießen von Pflanzen in meine hochkomplizierte Maschinerie von Terminen einfügen lassen kann.

Da war einmal mein Lernplan, den ich beachten muss; der Zeitplan für meine Hobbies, der für meine Verpflichtungen und der, im Moment ein wenig mickrig erscheinende, für das Aufrechterhalten von sozialen Kontakten.

Streng genommen habe ich eigentlich gar keine Zeit mich hier hinzusetzen und darüber nachzudenken, wo das Pflanzengießen Platz finden könnte. Denn dort, diese tickende Uhr auf meinem Schrank, erinnert mich stetig daran, dass meine 30 Minuten Freizeit bald aufgebraucht sind. Langsam frage ich mich, ob das hier nicht ein Fehler war.

Aber ich habe ja jetzt schon angefangen und die Pflanzen konnte ich ja nun schlecht zurückgeben. Was würde man nur von mir denken, würde ich mit 6 Töpfen vor dem Gartencenter stehen. So nebenbei- Kann man Pflanzen überhaupt zurückgeben? Wie war das noch mit dem Rückgaberecht? Irgendwo hier sollte doch noch mein BGB liegen…

(Pause)

Ich bemerke erst gar nicht, wie ich anfange zu weinen. Als mir schwarz vor Augen wird und sich die Welt langsam um mich herum auflöst, versuchen die ratternden Schrauben und Scharniere in meinem Kopf immer noch eine Lösung für das Problem mit den Pflanzen zu finden.

„Sie haben ein Burnout, Frau K.“, sagte die Psychologin, die mir gegenüber saß.

Das Büro war in einem strahlenden Gelb gestrichen und an der Wand hing ein Stillleben, welches mir in unangenehm grellen Farben, einen Apfel und eine Banane präsentierte, die sich in sehnsuchtsvollen Zügen aneinanderschmiegten. Wie wohl Freud und seine Kollegen dieses Bild interpretiert hätten? Ob sich die Frau vor mir, schonmal Gedanken gemacht hat, warum sie ausgerechnet dieses Bild gewählt hat? Und dann: Früchte- die Assoziation zuckte durch mich, ein Konglomerat von grausam-wortlosen Sätzen.

(Pause)

Während also der Mensch, der mit mir einen Raum teilte, auf eine Antwort oder zumindest irgendeine Reaktion von mir wartete, konnte ich nur an meine Pflanzen denken, die jetzt bestimmt auf meinem Schrank hilflos vor sich hin verdorrten, weil ich nicht hart genug arbeitete, um diesen Ausgang zu verhindern.


Eine von vielen Geschichten

von Anna Wohlmann

 

Die Uni ist zu!

Der Professor für politische Soziologie bietet Skype Meetings an,
er hat sich extra Kopfhörer gekauft.

Ich starre auf ein leeres Blatt,
vor mir stapeln sich Bücher –
das muss reichen, denn die Bibliothek ist zu.

Ich frage mich, warum die globale Pandemie ausgerechnet mit meiner Bachelorarbeit zusammenfallen musste.
Nicht, dass es besser wäre, wenn sie mit irgendwas anderem zusammengefallen wäre.

Jetzt nur nicht durchdrehen!

Ich backe Apfelkuchen und Bananenbrot, dann geht das Mehl aus.
Es gibt auch kein Mehl mehr im Supermarkt.
Eine Bäckerei verkauft überteuertes Mehl in Plastiktüten.
Ich backe nicht mehr.

Ich könnte jetzt anfangen zu gärtnern,
ich versaue den ganzen Balkon mit Erde und Teile die Aloe Vera Pflanzenbabys auf Töpfe auf,
jetzt habe ich 5 Aloe Veras.

Die Blumenläden sind zu!

Ich gehe spazieren,
mit einer weiteren Person und 1,5 Meter Abstand,
die anderen gehen auch spazieren.
ALLE gehen spazieren!

Der Neckarweg ist voller als der Rewe.
Ich bekomme Heuschnupfen und denke ich hätte mich angesteckt,
ich gehe nicht mehr spazieren.

Ich schreibe mir einen Lernplan, die Deadline kommt.
Ich lese 1000 Texte für Tausend Wörter.
Am liebsten würde ich backen oder gärtnern
oder spazieren gehen – Burnout.

Dann kommt die Angst,
ich schreibe schneller,
dann kommt die Deadline und ich schicke einen Brief an meine Uni –
ich wohne neben der Uni.
Aber die Uni ist zu.

Bachelor erfolgreich bestanden
sagt mir einen Brief.
Ich feiere – alleine, zuhause.
Denn die Bars sind auch zu.


Über verlorenes Zeitgefühl, das Wachsen der Pflanzen und zu klein werdende Schlafanzüge

von Emma Herzner

Es ist Dienstag

Der Wecker klingelt es ist acht Uhr

Ich schlage zuerst den Rechner und dann die Augen auf

Mein Gehirn fängt zu denken an

Lernplan

Pflanzenbabys

Frühstück

Am besten mit Apfel und Banane

Ich schaffe es die Decke zurück zu schlagen

Kurz überlege ich auch zu überlegen, ob ich meinen Schlafanzug ausziehen soll,

ich lasse es sein

Ich schaffe es aufzustehen, um in die Küche zu gehen,

und im Vorbeigehen noch die Zeitung aus dem Briefkasten zu nehmen

Es ist doch Mittwoch

Ich sehe auf die Uhr

In 5 Minuten geht es los

Ich lege mich zurück ins Bett

Beiße in meinen Apfel

Gleich beginnt der Unterricht

Ich schließe die Augen

Ziehe mir die Decke bis zum Kinn

Ich denke an meine Pflanzenbabys

Vielleicht schaffe ich es heute ja sie zu gießen.

Ich denke daran, ob es möglich wäre das ich ein Burnout habe

Aber dann entscheide ich mich darüber nicht weiter nachzudenken

Es ist Donnerstag

der Wecker klingelt

Ich mache ihn aus

Lernplan

Pflanzenbabys

Frühstück

Meine Pflanzen sind inzwischen, ohne sie zu gießen gewachsen

wahrscheinlich von den 0,5 bis 2 Litern Flüssigkeit die mein Körper nachts ausstößt

Mein Schlafanzug ist mir zu klein

Zum Frühstück gibt es Banane

Und die Zeitung hole ich schon nicht mehr herein

Die Nachrichten langweilen mich

Ich lege mich zurück ins Bett

Ich schließe die Augen

Ich denke an meinen Lernplan doch lasse es dann gleich wieder sein

Freitag morgen

Jedenfalls glaube ich, dass es Freitag ist

Inzwischen habe ich jegliches Zeitgefühl verloren

Ich trage nur noch den Schlafanzug

In einer Umfrage habe ich gelesen, dass der Trend weite Klamotten zu tragen zugenommen hat

verständlich

Ich beginne mich zu fragen, ob es wohl jemals wieder anders sein wird

das Fragen strengt mich an

Ich lasse die Frage so stehen

Schlage die Augen zu

und den Rechner auf

Stille

Es ist doch Samstag


Mein Corona-Zimmer

von Miriam Braun

Ich sitze auf meinem Bett und starre die Wand an.
Starre die Wand an und die Wand starrt zurück.
Meine 4 Wände sind mein Zuhause;
mein Entspannungs-, mein Rückzugsort.
Doch gerade sind meine 4 Wände mehr ein Gefängnis.
Meine Blase aus Lustlosigkeit und Depression.
Mein Rückzugsort ist nun der Traum,
weil ich nur noch, wenn ich schlafe, aus diesem Zimmer entfliehen kann.
Aber eigentlich gehe ich auch nicht gerne schlafen,
denn dann vergeht die Zeit noch viel schneller bis zum nächsten Tag.
Ein weiterer Tag, der genauso trist ist, wie jeder andere zurzeit.
und ich sitze da und mein Gefühl pendelt zwischen Langeweile und Burnout.
Meine Mails und die Arbeitsaufträge der Lehrkräfte häufen sich
und ich müsste doch noch so viel machen, so viel machen und so viel lernen.
Und doch sitze ich nur da und starre die Wand
und habe Langeweile und keine Ahnung was ich machen soll
und das was ich machen sollte, möchte ich nicht.
Mein Pflanzenbaby auf meinem Nachttisch
stirbt langsam vor sich hin – genauso wie ich.
Nur, dass ein kleiner Avocado-Baum vermutlich dabei mehr arbeitet als ich; photosynthese und so.
Ich sitze auf meinem Bett und esse einen Apfel und ne Banane.
Ich muss mich ja immerhin noch gesund ernähren in der Zeit.
Hauptsache ich hab seit einer Woche kein richtiges Sonnenlicht gesehen
und mich nicht mehr bewegt als um aufs Klo zu gehen und mir essen zu holen.
Ich sitze auf dem Bett und schaue die wand an.
Der Lernplan, den ich mir vor zwei Wochen mal gemacht habe
mit der Hoffnung vielleicht mal irgendwas auf die Reihe zu bekommen,
liegt immer noch auf dem Schreibtisch.
Struktur – meinten die Lehrkräfte – wir bräuchten Struktur und Disziplin.
– nur hab ich leider keines davon.
Immerhin gieße ich kurz meine Pflanze, streichel ihre Blätter und bin dankbar,
dass ich noch nicht das einzige Lebewesen neben den Spinnen in meinem Zimmer bin.
In meinem Zimmer, meinen vier Wänden, meinem Gefängnis.


Alle Texte sind während der Online-Veranstaltung “Your Voice! Be creative und meet online again” am 28. Februar 2021 entstanden.
Im Bericht über die Tagung lesen Sie mehr.

Tags: , , , , , , , , , , , , ,