Miteinander leben, reden – und streiten

Wie sie sich kennen und begegnen, die Perspektive des anderen zu begreifen versuchen. Das sollten wir genau anschauen. Wie sie ihre Unterschiede sehen, aber auch ihre Gemeinsamkeiten. Ob sie eine Meile in den Schuhen des anderen laufen können, weil ihnen Empathie zu Eigen ist. All das geht nur, wenn Mehrheiten keinen Absolutismus beanspruchen und Minderheiten sich nicht in Klein- und Kleinstgruppen abtrennen von dem, was in der Gesellschaft stattfindet – und dann ihrerseits ihre Anliegen zum Eigentlichen eines gesellschaftlichen Fortschritts machen.

Sowohl in Teilen des linken Diskurs als auch von liberaler Seite, Francis Fukuyama hat gerade ein Buch über Identität und Identitätspolitiken geschrieben, dem ich weitgehend folgen kann, wird diese Fokussierung mittlerweile kritisiert als Aufgabe einer Bindung an universelle Werte – und übrigens als Verzicht auf die Suche nach Gemeinsamkeiten aller Bürger in unserer Gesellschaft.

Und da sehe ich eine gewisse Gefahr, nämlich die Gefahr, dass beim Verfolgen der Interessen von speziellen Gruppen das große Gemeinsame, das alle Bürger Verbindende und die unterschiedlichen Gruppierungen letztlich einigende aus dem Blick kommt.

Zu einem Miteinander der Verschiedenen kann es auch nur kommen, wenn die Verschiedenen ihre verschiedenen Meinungen einbringen und vortragen können.

Und zwar so lange, wie sie mit unserer Grundordnung vereinbar sind.

So lange nämlich sind sie legitim.

Es gibt in der Politik wenige Lösungen ohne Kompromiss. Vielleicht ist aber in der zurückliegenden Zeit zu oft der Wille abhandengekommen, an der richtigen Stelle Profil zu zeigen – und das Profil des anderen zuzulassen. Es würde meiner Meinung nach zum Miteinander der Verschiedenen aber dazu gehören.

Vielleicht haben wir Räume für Debatten zu oft und zu schnell verschlossen, weil wir zu schnell auf einen aktuell naheliegenden Konsens orientiert waren. Mir ist es wichtig, dass wir uns gerade als Menschen, die hier und in den anderen evangelischen und katholischen Akademien unterwegs sind, dieser Frage stellen. Dass wir unsere Toleranzfähigkeiten neu unter Beweis stellen und dass wir die Toleranzschwelle nicht zu früh errichten.

Vielleicht waren wir uns zu schnell sicher, welche Meinungen ganz falsch sein müssen, zum Beispiel, weil sie von den falschen Personen vorgetragen wurden.

Oder weil sie uns kulturell nicht satisfaktionsfähig erscheinen. Wenn zum Beispiel die Vorstellung, dass Migration und Zuwanderung stets Bereicherung mit sich bringt, im Grunde das einzige Leitthema einer linksliberalen Leitkultur ist, dann haben wir manche Dinge nicht besprochen, weil wir dachten, das gehört sich nicht für uns.

Und was ist dann passiert? Dann wandern die Reizthemen aus an die Ränder der Gesellschaft und dort werden sie tüchtig aufgemischt mit Ängsten und zum Teil menschenfeindlichen Vorstellung. Und dann müssen wir uns in der Tat abgrenzen. Wenn Hass und Menschenfeindlichkeit die Debatte regieren, da ist Intoleranz der Toleranten angesagt. Aber doch nicht früher!

Und insofern müssen wir unsere Kultur der Verteidigung der menschenfreundlichen Politikansätze noch einmal betrachten. Denn es kommt gelegentlich vor, dass Menschen, die ein bisschen außerhalb unserer edlen Debatten oder unserer ästhetischen Kultur stehen, mitunter ein paar Probleme benennen, die tatsächlich existieren. Auf diese Problemlagen müssen wir eingehen.

Nichts schadet unserer Demokratie mehr und es führt uns guten Zielen nicht näher, wenn wir den Debatten einen eindimensionalen Dreh geben. Das macht uns auch denkfaul, wenn wir unsere Argumente gar nicht mehr überprüfen müssen, weil gut und richtig klingt, was wir denken. Wir ersparen uns mit dieser Einengung die anstrengende Konfrontation mit Meinungen, die wir für kritikwürdig halten. Wir ersparen uns die frustrierende Erkenntnis, dass die Wahrheit von jemandem ausgesprochen werden könnte, den wir nicht mögen, im Einzelfall vielleicht sogar bei Twitter. Und in anderen Fällen von Menschen, deren Ideologie oder Lebensweise wir komplett ablehnen.

Wir versuchen, uns mit solchen Einengungen zu schützen und uns zugleich zu umgeben mit den Haltungen, die uns selber nahe sind. Das ist völlig menschlich, das ist o. k.. Wir brauchen einander, um uns zu stützen, aber sollten doch nicht darin verbleiben.

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