Miteinander leben, reden – und streiten

Es ist eine wirklich menschliche und bequeme Haltung sich zu umgeben mit dem, was uns liegt, was uns vertraut ist. Aber manchmal müssen eben nicht nur diese Gefühle der Verbundenheit von uns am Leben gehalten werden, sondern wir dürfen uns durchaus auch mal auf unsere Argumente verlassen. Wir haben Argumente, mit denen wir denen begegnen, die uns unsere Demokratie madig machen und unseren Rechtsstaat nicht mehr würdigen.

Es ist nicht nur unser Gefühl und unsere Moral, die gefragt sind in den öffentlichen Auseinandersetzungen. Sondern es ist unser Wissen, unsere Erfahrung, es sind unsere Argumente und unsere Argumentationsfähigkeiten.

Wir brauchen also nicht nur mit Empörung oder Zorn auf das reagieren, was wir politisch attackieren. Deshalb plädiere ich dafür, dass wir in unserer Gesellschaft etwas mehr Mut aufbringen, Unterschiede klarer zu definieren und sie länger auszuhalten.

Der britische Gelehrte Timothy Garton Ash wünschte sich vor einiger Zeit mal, dass wir fähig sind, zu einer „robusten Auseinandersetzung“. Und das heißt, da knirscht es dann öfter. Ich liebe das eigentlich auch nicht, aber in einer drastischen und heftigen Auseinandersetzung geht die Demokratie noch nicht gleich zugrunde, sondern sie lebt auf.

Wenn ich hier für eine Erweiterung unseres Tolerierens und unseres Toleranzvermögens spreche, dann tue ich das nicht aus defätistischen Gründen, weil ich eine Flucht einleiten will, vor denen, die sich gerade stärker dünken, als sie es wirklich sind.

Sondern ich sage mir: „Ich habe es vor, mit Ihnen zu streiten, und zwar heftig“. Ich lebe auch mit solchen Menschen zusammen, vor deren Ansatz ich mich fürchte, den ich nicht dominieren sehen möchte in meiner Gesellschaft und den ich also bekämpfe. Und so ist ein politischer Kampf auch eine Form des Respekts. Ich nenne so jemanden nicht Feind oder Teufel, sondern sehe ihn als Teil der politischen Wirklichkeit.

All das müssen wir in einer offenen Gesellschaft ertragen. Das ist natürlich verunsichernd. Aber wir werden nicht ohne diese Haltung klarkommen, denn wir befinden uns in einer Zeit des Wandels und die Menschen, die diesen Wandel erleben, sind nun einmal verunsichert über all die Veränderungen, die um sie herum geschehen.

Wer die Grundlage unserer Verfassung, unseres Grundgesetzes verlässt und wer hasst und Menschenfeindlichkeit predigt, dem wird der Tolerante mit Intoleranz begegnen. Der Tolerante kann Intoleranz sehr gut erkennen. Menschen, die den Raum der Toleranzen löschen wollen, die Toleranz nicht gewähren würden, wenn sie selber an die Macht kämen – so etwas haben wir Deutschen in zwei Diktaturen erlebt. Wir müssen Manchen mit Intoleranz begegnen und manchmal hilft uns nur noch der Staatsanwalt oder die Polizei. Davor aber ist dieses weite Feld des Miteinanders in einer lebendigen, kraftvollen, argumentativen Auseinandersetzung, die die Verschiedenen miteinander zu führen haben.

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