“Migrant klingt auch immer ein wenig wie Migräne.”

Auf unserer Tagung “Sehen und gesehen werden – Teilhabe im Film” hielt der Journalist und Filmproduzent Memo Jeftic eine Eröffnungsrede, mit der er vielen Anwesenden aus der Seele sprach –  und sowohl Lacher als auch Klöße im Hals provozierte. Hier können Sie sie noch einmal nachlesen.

Mein Name ist Memo Jeftic. Ich bin TV-Journalist und Produzent. Memo ist mein Spitzname. Mein richtiger Vorname ist Nemanja, aber wenn ich diesen nutze, geht die Hälfte der deutschen Bevölkerung davon aus, dass ich eine Frau bin, weil in Deutschland traditionell nur Frauennamen auf “a” enden. Memo lässt sich auch leichter buchstabieren, wobei viele am Telefon erstmal fragen “Wie der Fisch?” und ich sie korrigiere mit “Nein, wie der gelbe Zettel.”

Nemanja. Wie leicht wäre das Leben mit meinem Vornamen gewesen, es hätte einen berühmten Schauspieler gegeben, der so heißt wie ich? Am besten einen aus einem beliebten Tatort. Dann könnten mir alle beim Vorstellen sagen: “Nemanja? Cool, wie der aus dem Tatort”. Aber wenn mein Gegenüber Werner hieße, müsste ich dann nicht auch sowas sagen wie “Werner? Cool, wie der mit dem Schiff?”

Werner. Mir ging das Herz auf, als ich im Teenageralter erfuhr, dass Werner Herzogs Mutter aus Kroatien stammt und gebürtig Stipetic heißt. Itsch wie bei Jeftic ist immer gut. Damit war Werner Herzog ganz klar Jugo für mich. Ebenso Kirk Douglas der eigentlich Issur Danielowitsch heißt und damit ebenfalls ganz klar Jugo für mich und meine Freunde war. Und klingt Tom Hanks nicht viel eher nach einem Tomislav Hankovic?

Das Verhältnis der deutschen Bevölkerung zu Menschen mit Migrationsgeschichte an der Aussprache und Kenntnis ihrer Namen festzumachen ist nicht gerade fair. Wie oft habe ich mir als Journalist eine App gewünscht die mir ausländische Namen korrekt ausspricht? Für diese Tagung sehr sogar.

Ganz im Gegensatz zu einer Berlinale-Party im Jahr 2019, auf der vor allem diejenigen unterwegs waren, die in Film und TV zu entscheiden haben, wer Filme machen darf und wer nicht. Dort war es sehr einfach mit den Namen. Sehr, sehr, einfach.

Aus meiner Beobachtung an diesem Abend, dass migrantische Namen immer weniger werden umso höher man in der Hierarchieleiter des german cinematic universe steigt – bis sie ganz oben angelangt gänzlich verschwinden – entstand die Idee meine Doku Kino Kanak über Diversität im deutschen Film zu machen. Manche der heute hier Anwesenden haben vor meiner Kamera über ihre Erfahrungen und Wünsche gesprochen. Für den Mut muss ich euch explizit danken. Denn was die Doku nicht abbilden konnte, waren all diejenigen, die nicht vor die Kamera wollten. Die, die Angst hatten. Als schwierig zu gelten und deswegen nicht mehr gefragt zu werden.

Und das in einer Zeit, wo ausnahmslos alle in dieser Branche für mehr Vielfalt vor, hinter und in der Kamera sind!

Mhm. Weil sie wichtig ist. Und sich richtig anfühlt. “Und gab es nicht erst kürzlich einen Artikel darüber wie erfolgreich Serien sind, die voll auf Diversity setzen? Gleich mal auf Facebook teilen!”Doch Artikel lassen sich leichter teilen als Jobs. Es wundert mich, dass man bis heute keinen einzigen Menschen mit Migrationsgeschichte zur Chefin eines deutschen Fernsehsenders oder einer Filmredaktion einer Filmförderanstalt gemacht hat um wenigstens sagen zu können: “Aber! wir! haben! doch! Jemanden!” wenn mal wieder jemand mit Migrationsgeschichte aufmuckt.

Migrant klingt auch immer ein wenig wie Migräne. Das Thema ist ja auch sehr kompliziert. Gastarbeiter, Zuwanderer, Flüchtlinge, die Frage, ob Deutschland überhaupt ein Einwanderungsland ist, ab wann beginnt Deutschsein, ist alles eine Frage des richtigen Habitus, haben wir ein Elitenproblem wie in Frankreich, ist es wichtig, was die Zuschauer*innen wollen, ab wieviel Prozent beginnt die Mehrheitsgesellschaft, wer sind gute Einwanderer, wer die schlechten, wie hängt das mit der Hautfarbe zusammen, gehört der Islam zu Deutschland, warum können Copyright-Deutsche maximal fünf Worte Türkisch – es ist wirklich so – und mit 1000 anderen Fragen kann man sich beschäftigen – wenn man eine Antwort darauf sucht, warum das alles so kompliziert ist mit der Vielfalt im deutschen Film.

So komplex wie das Thema ist, kann es keine einfachen Lösungen geben.

Deswegen meine Bitte: Bleibt im Gespräch. Solidarisiert euch. Wartet nicht darauf, dass ihr immer nur dürft. Steht füreinander ein und sprecht miteinander. Film ist teuer und wo es teuer ist – ist es nie gerecht. Und trotzdem können wir versuchen, es besser zu machen. Durch neue Ideen, Wagnisse, Versuche und Bündnisse.

Das Aufmucken haben wir ja schon ganz gut drauf.

Memo Jeftic ist TV-Journalist, Drehbuchautor und Filmproduzent. Vorliegenden Text hielt er auf der Tagung “Sehen und gesehen werden – Teilhabe im Film” (25.-27. März 2022 in Kooperation mit dem Filmfest München) als Eingangsstatement. 2020 drehte er für 3Sat eine Dokumentation mit dem Titel “Kino Kanak. Warum der deutsche Film Migranten braucht“. Memo Jeftic lebt und arbeitet in Mainz.

Den kompletten Bericht zur Tagung können Sie hier abrufen.

Bild: Memo Jeftic zu Gast an der Evangelischen Akademie Tutzing. (Foto: Bojan Ritan / Filmfest München)

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