Inflation: Immer weniger fürs Geld – bei steigenden Profiten

3,39 Euro für 250 Gramm Butter, 100 Liter Heizöl für 152 Euro – noch vor einem Jahr wären diese Preise in Deutschland nicht denkbar gewesen, nun sind sie Realität. Wie kommt es zu der derzeitigen Preisentwicklung? Liegt sie ausschließlich an der weltpolitischen Lage? Welche Faktoren bestimmen noch die aktuelle Inflation? Diesen Fragen widmete sich die Juli-Ausgabe der ZDF-Satiresendung “Die Anstalt”. Wir sprachen darüber mit Mechthild Schrooten, Professorin für Volkswirtschaftslehre, und Dietrich Krauß, einem der Autoren der Sendung.

Video der Online-Debatte hier abrufen

Inflation, Geldpolitik, Verteilungsfragen, Lobbyismus, Globalisierung, Armut, soziale Gerechtigkeit – es waren große und anspruchsvolle Themen, die unsere letzte Online-Debatte zur ZDF-Satiresendung “Die Anstalt” aufgriff. Akademiedirektor Udo Hahn begrüßte dazu Prof. Dr. Mechthild Schrooten, Professorin für Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Geld und Internationale Integration an der Hochschule Bremen sowie seit 2008 Mitglied und später Sprecherin der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik (e.V.). Außerdem zugeschaltet: Dr. Dietrich Krauß, seit 2014 Redakteur und Autor der “Anstalt” beim ZDF. Der mehrfach ausgezeichnete Journalist (u.a. Grimme-Preis und Deutscher Fernsehpreis) schreibt auch für die “heute-show”.

Thema der Online-Debatte war die aktuelle Ausgabe der Satiresendung “Die Anstalt”, die am 19. Juli gesendet wurde. Inflation – eigentlich sei das ein “störrisches Thema”, wie es die Professorin Mechthild Schrooten sagte. Die wenigsten Journalistinnen und Journalisten griffen es auf. Umso erstaunter war sie darüber, dass es dem “Anstalt”-Team gelungen war, es auf humorvolle und reflektierende Weise ins Abendprogramm zu holen. Sie lobte die didaktische Leistung des Teams.

Für Autor Dietrich Krauß habe das Thema schlichtweg “auf der Straße gelegen”. Fast jeder Mensch habe die aktuellen Preissteigerungen mitbekommen. Krauß berichtete, das Team der “Anstalt” habe eine Sendung über Inflation machen wollen, in den Reaktionen der Presse und Öffentlichkeit habe dagegen insbesondere das Thema Lobbyismus verfangen – anhand eines geleakten Zitates des Porschechefs Oliver Blume (nachzulesen zum Beispiel hier oder hier).

Eine der wichtigsten Erkenntnisse des Gesprächs (wie auch der Sendung): Die aktuelle Inflation hängt nicht ausschließlich mit der weltpolitischen Lage zusammen. Der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, spiele zwar eine Rolle, sagte Mechthild Schrooten, “aber auch ohne ihn war eine Inflation in der Pipeline”.

“Es sind soziale Experimente, die wir im Moment erleben”

Die Ursachen für eine Inflation seien vielfältig, so Schrooten. “Die Anstalt” greife mehrere Gründe in der aktuellen Sendung auf. Zu den faktischen Gründen käme noch eine psychologische Komponente hinzu, die Schrooten „die Story“ nannte. “Inzwischen wird Inflation erwartet”, sagte sie. Das bedeute, dass die innere Zahlungsbereitschaft der Menschen zunehme – dass Dinge immer mehr kosten, wird als normal empfunden. Wirtschaft und Industrie testeten das momentan aus: Wie reagieren die Menschen auf die gestiegenen Spritpreise? Wie auf das Neun-Euro-Ticket? “Es sind soziale Experimente, die wir im Moment erleben und die von Seiten der Firmen ganz genau beobachtet werden.” Bedenkenswert: Viele Produkte, die heute verarbeitet werden, seien noch zu einem Preis gekauft worden, der vor einem Jahr gegolten hätte.

“Jede Krise ist eine Verteilungskrise”, sagte Mechthild Schrooten. Das gelte auch für die derzeitige Inflation. Auch dieses Charakteristikum habe die “Anstalt”-Folge gut transportiert. Am Ende sei ihr dennoch „fast das Lachen im Halse stecken geblieben“, vor allem als es um die Themen Verteilungskämpfe, Übergewinne und Armut gegangen sei. “Diese Gesellschaft hat massive verteilungspolitische Probleme, die von den wenigsten zusammengedacht werden”, ist Schrooten überzeugt. Eines davon sei etwa die Verschärfung der Situation für abhängig Beschäftigte, von denen sich immer weniger eine eigene Immobilie leisten könnten. Über Jahre hinweg habe sich eine Immobilieninflation etabliert. Sie zeigt laut Schrooten: “Partizipation am Vermögen ist immer weniger Menschen vorbehalten. Und die Armut ist weiblich.”

Verteilungspolitik enttabuisieren

“Anstalt”-Autor Krauß sagte: “In den letzten Jahren ist Verteilungspolitik tabuisiert worden.” Er beklagt eine Bräsigkeit in der Politik, die sich zunehmend davor scheut, die Vermögenden zur Kasse zu bitten – man scheue die Konfrontation. Und auch die gesellschaftliche Debatte fehle, ergänzte Schrooten. Sie sei mehr als überfällig. Es sei absurd, dass verteilungspolitische Fragen karitativen Einrichtungen überlassen würden. Seit 20 Jahren erlebe sie in Deutschland eine “Situation der Betulichkeit” – dabei habe die Politik Instrumente in der Tasche, um den Verteilungsproblematiken entgegenzuwirken und eine echte Umverteilung zu erreichen. Durch solche Instrumente könnten die Menschen dauerhaft von dem Reichtum profitierten, der sie umgebe. “Damit meine ich noch nicht einmal Sozialismus”, schob Schrooten hinterher.

Für Schrooten sind es vielfache Übergewinne, die den Menschen als Inflation verkauft würden. Diese seien nicht durch ökonomische Pioniertaten entstanden, sondern vielmehr durch Gewinnexplosionen, die an andere Rahmenbedingungen geknüpft seien. Um aus der Krise herauszukommen könnte über eine Übergewinnsteuer nachgedacht werden. Dass sie sowohl in der Geschichte als auch aktuell durchaus praktiziert wurde – und zwar auch durch konservative Politikerinnen und Politiker – belegte die Sendung mit den Beispielen von Margret Thatcher, (1981 für britische Banken und 1982 für Ölfirmen), Boris Johnson (Steuer für Energiefirmen) oder Mario Draghi, der als italienischer Ministerpräsident 25 Prozent Steuern auf alle Extragewinne erhob. In Deutschland hingegen scheint eine Übergewinnsteuer außerhalb des politischen Vorstellungsspektrums zu liegen – und das, obwohl die Verfassung eine beliebig hohe Versteuerung von Extragewinnen erlaubt.

Übergewinne als Inflation verkauft

Für “Anstalt”-Autor Krauß ist das nicht verständlich. Er erinnerte im Online-Gespräch der Akademie daran, dass etwa das Argument, man könne Übergewinne schlecht definieren, schon alleine dadurch widerlegbar sei, dass Untergewinne sehr wohl definiert worden seien. Schrooten zeigte sich überzeugt: “Wenn man eine Übergewinnsteuer einführen wollte, dann würde man das schaffen.” Sie sprach von einem “Staatsversagen” und einem “Kartellamt, das schläft.” Es könne nicht sein, dass den Menschen Übergewinne als Inflation verkauft würden. Schrooten wünscht sich eine breit angelegte Debatte darüber, ob jeder Gewinn immer realisiert werden muss oder ob man sich in einer Gesellschaft dafür entscheidet, jeden Menschen mitzunehmen. Seit der Einführung der Hartz IV-Gesetze und der Einteilung der Menschen in “Leistungsempfänger” und “Leistungsträger”, sei es dazu gekommen, dass die Menschen am Existenzminimum gar keine Zeit mehr haben, verteilungspolitische Fragen zu initiieren. Alle anderen seien froh, dass sie es nicht betrifft.

In diesem Zusammenhang kam auch die Frage auf, welche Lobbys Zugang zur Politik haben – und welche nicht. Hier sorgte das bereits erwähnte, geleakte Zitat von Porsche-Chef Blume für Aufsehen. Danach soll der Vorstandsvorsitzende bei einer Betriebsversammlung am 29. Juni 2022 gesagt haben, dass Porsche „sehr großen Anteil“ daran gehabt habe, dass eine weitere Nutzung von synthetisch hergestellten E-Fuels für Verbrennungsmotoren “in den Koalitionsvertrag miteingeflossen” sei. Christian Lindner habe Blume über mehrere Tage “fast stündlich auf dem Laufenden gehalten.” (In der Zwischenzeit hat sich Blume für diese Formulierung entschuldigt und als “überspitzt formuliert” zurückgenommen. Die FDP wies die Vorwürfe zurück.)

Für ein “geldpolitisches und ökonomisches Alphabetisierungsprogramm”

Sowohl Schrooten als auch Krauß kritisierten darüber hinaus die Politik, die immer wieder längst widerlegte Binsen hervorhole. Sie habe den Eindruck, “die Politik fährt auf der Grundlage von Vorurteilswissen von vorvorgestern”, sagte Mechthild Schrooten. Dietrich Krauß sagte: “Im Grunde kommen Politiker mit ganz schlechten Inflationstheorien immer noch durch.” Damit meinte er konkret den aktuellen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sowie Oppositionschef Friedrich Merz von der CDU, auf die die “Anstalt”-Folge vom 19. Juli auch detailliert eingeht. Krauß forderte im satirischen Ton ein “geldpolitisches und ökonomisches Alphabetisierungsprogramm”.

Eine Binse, die immer wieder auftaucht: Die Inflation habe mit der in Umlauf gebrachten Geldmenge zu tun. Die Schuldige ist oft schnell ausgemacht: die Europäische Zentralbank EZB. Zu Unrecht, findet Mechthild Schrooten. Die EZB stelle in Europa die Währung zur Verfügung und erbringe dadurch eine “wahnsinnige Infrastrukturleistung”. Das öffentliche An-den-Pranger-Stellen von EZB-Chefin Christine Lagarde kann Schrooten nicht nachvollziehen. Um zu verstehen, wie Lagarde handle, müsse man erst nachvollziehen, was Inflation ist und mit welchen Konzepten die EZB diese bemesse. Bezüglich der Geldpolitik der EZB sei die Inflation nur eine Komponente. Dabei werde auf die Kerninflation geschaut: die Inflation ohne Ernährung und Energie.

Die EZB habe mit einem Anheben des Leitzinses reagieren müssen, da die US-Zentralbank FED schon vorher die Zinsen erhöht hatte und dadurch viel Geld in den USA investiert wurde. Dadurch habe sich auch der Wechselkurs verändert, erklärte Schrooten. Sie sprach sich gegen ein EZB-“Bashing” aus, vielmehr schlage sich die Zentralbank in diesen Zeiten “außerordentlich tapfer”.

Aktiver Gestaltungswille gefordert

Die Suche nach Schuldigen in Zeiten der Krise sei in gewisser Weise ein Reflex, Jedoch sei die aktuelle Phase sehr komplex: Corona, ein diffiziles internationales Umfeld, eine extrem hohe Energieabhängigkeit, die Abhängigkeit von Lieferketten und eine hohe Importanfälligkeit – und hinzu komme noch das Ziel, eine grüne Wende herbeizuführen.

Neben all diesen Herausforderungen, sei nun ein aktiver Gestaltungswille der Politik gefordert. Es gehe darum, langfristige Perspektiven aufzubauen, so Schrooten. Eine Krise könne auch eine Chance sein. Sie vermisse aktuell den Mut, dass sowohl die Menschen als auch die Politik fragen: Was wollen wir denn wirklich? Und noch eines wünscht sie sich: Dass sich Politik und Gesellschaft besser über Gestaltungspotenziale informieren. “Es wird zu viel Erkenntnis liegengelassen.” Dieses viele Potenzial birgt für Mechthild Schrooten aber auch Hoffnung: dass Menschen in einem reichen Land nicht in Armut leben müssen. Das gehöre eigentlich in die Verfassung.

Dorothea Grass

 

Weitere Informationen zur Veranstaltung:

→ ZDF-“Anstalt” vom 19. Juli 2022 hier abrufen

→ Infos zur Online-Debatte am 9. August hier abrufen

Bild: Screenshot eat archiv

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