Die Verwobenheit Mensch – Natur im Anthropozän

Die ökologischen Krisen offenbaren nicht nur die menschliche Verletzlichkeit, sie weisen zugleich auch auf unsere unhintergehbare Verbundenheit mit der Natur hin. Was folgt daraus – für unser Fühlen, Denken und Handeln? Dieser Frage ging ein Online-Gesprächsabend mit dem Politikwissenschaftler und Ethnologen Geseko von Lüpke nach. Das Video ist nun auf unserem YouTube-Kanal abrufbar. Hier lesen Sie den Veranstaltungsbericht.

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Angesichts der zahlreichen Krisen unserer Zeit ist es oft nicht leicht, weiterhin zu hoffen, dass wir das Ruder noch herumreißen können und die Welt nachhaltiger, ökologischer und sozialer gestalten können. Doch die Hände in den Schoß zu legen und auf ein Wunder zu hoffen erscheint ebenso nicht der richtige Ansatz – wie können Lösungen also aussehen in einer vom Menschen geprägten, verwobenen Welt?

Gemeinsam auf die Suche gingen am 21. Mai an die 90 Teilnehmende beim Vortragsabend “Die Verwobenheit Mensch – Natur im Anthropozän”  mit dem Politikwissenschaftler, Ethnologen und freien Journalisten Dr. Geseko von Lüpke. Moderiert wurde der Abend von Dr. Thomas Bruhn vom Institut für Transformative Nachhaltigkeitsforschung, Katharina Hirschbrunn, Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Tutzing und Dr. Manuel Schneider, dem Geschäftsführer der Selbach-Umwelt-Stiftung.

Einführend gab Geseko von Lüpke einen Impulsvortrag, in dem er den Paradigmenwandel der Schöpfungsgeschichte nachzeichnete: von der Schöpfungsgeschichte der Bibel über das Holozän im 18. Jahrhundert – das Erdzeitalter, geprägt von Darwins Evolutionstheorie und Überlebenskampf – hin zu dem von Paul Crutzen für das 21. Jahrhundert geprägten Anthropozän, dem Menschenzeitalter. Ob Artensterben, Plastikverschmutzung oder das Klima – der menschliche Einfluss auf die Natur sei nicht zu leugnen und mehr als je zuvor sei eine Spezies in der Lage, das Bild der Welt zu prägen, so von Lüpke: “Unser Bewusstsein hält noch fest an dem Bild von der Natur als das Äußere, das Andere zu uns. Dabei ist mittlerweile alles, was wir in der Umwelt vorfinden, physisch immer schon eine Synthese zwischen Kultur und Natur. Wir sind also zu Gestaltern und Gestalterinnen dessen geworden, was wir physisch als Natur wahrnehmen.”

Wenn das Anthropozän also Realität ist, was machen wir mit diesem Wissen?

Von Lüpke warnt einerseits vor den Gefahren des Anthropozän: Der Möglichkeit des “Machtmissbrauchs” durch den Menschen, der seine Position in der Welt als Legitimation seines Verhaltens sieht. Tendenzen dieser Allmachtsfantasien seien bereits sichtbar: im blinden Glauben an den technischen Fortschritt, der Kontrolle selbst über Micro- und Nanoelemente der Welt erlaubt und scheinbar einfache Lösungen anbietet; im Geoengeneering, bei dem sich der Mensch zum Schöpfer erhebt, die Konsequenzen seines Handelns aber nicht absehen kann; und in der Bioökonomie, in der Biomasse nicht mehr ist als eine weitere Ware, die monetarisiert werden kann.

Doch gleichzeitig sei das Anthropozän auch eine einmalige Chance: Die dualistische Trennung von Geist und Natur gilt im Anthropozän nicht mehr, denn der Mensch ist Teil der Natur – sonst könnte er nicht in diesem Maß Einfluss auf sie nehmen (und würde nicht die Auswirkungen seines Handelns spüren, wie der Klimawandel verdeutlicht). Es handelt sich also um einen historischen Moment, in dem eine jahrhundertelange Trennung aufgehoben wird. Die Umwelt wird zur Mitwelt und neue Denk- und Handlungsspielräume werden eröffnet.

Von Lübke skizzierte zum Schluss die Basis dieser neuen Epoche: Die wilde Natur des Menschen müsse als Grundlage anerkannt werden und Emotionen in den Mittelpunkt gerückt werden. Es gehe um einen Dialog mit der Natur, um Balance. Ziel sei es, unsere Einheit und Verbundenheit mit der Welt zur Grundlage all unseres Handelns zu machen. Impulse dafür sieht von Lüpke in einer Neuorientierung der Kirche hin zum Lob der Schöpfung. Diese Neuausrichtung sei Teil eines Kulturwandels, der von der Zivilgesellschaft in zahlreichen Initiativen eingefordert wird.

Es ist also Zeit für eine neue Schöpfungsgeschichte, ein neues Narrativ der Verbundenheit zwischen Mensch und Natur. Aber auch zwischen den Menschen, als Grundlage für eine wirklich nachhaltige und regenerative Kultur. Darin sieht von Lüpke die Chance des Anthropozäns – die Menschen müssten sie nur nutzen.

Anschließend an den Online-Vortrag fand ein kurzer Austausch in Kleingruppen statt. Auch die folgende Sammlung von Gedanken im Chat gibt Auschluss darüber, inwieweit der Vortrag die Zuhörerenden auf vielfältige Art und Weise erreichte, inspirierte und zum Weiterdenken bewegte.

Vor allem der Umgang mit Technik im Kontext des Anthropozän sorgte für Gesprächsstoff. Können die Probleme unserer Zeit wirklich ohne Einsatz technischer Innovationen gelöst werden allein durch eine erneute Verbundenheit zu scheinbar Natürlichem? Hier erklärte von Lüpke, dass er nicht per se gegen den Einsatz von Technologien sei. Er sei aber gegen Technik, die “sich die Erde untertan macht”, also weiter zur Kontrolle und Ausbeutung genutzt wird, wie zum Beispiel die Nanotechnologie. Es sei allerdings bereits Technik vorhanden, die zum Aufbau statt Zerstörung eingesetzt wird – wenn der Einsatz aus einem positiven Anthropozänverständnis heraus geschehe, kann dies ein Beitrag zur Regeneration von zerstörten Ökosystemen aus einem Verständnis der Bezogenheit heraus sein. Auch hier zeigt sich, dass eine auf Dualismen aufbauende Denkweise den bedachten und bewussten Einsatz hemmt und die Chance auf integrative, regenerative Ansätze verkleinert.

In diesem Kontext stand auch die Frage im Raum, ob so etwas wie eine “nachhaltige Kontrolle” der Natur überhaupt möglich sei oder man sich von den Paradigmen von Kontrolle und Wachstum verabschieden müsse. Von Lüpke bezog hier klar Stellung und verurteile den Geoengineering-Ansatz als Perversion der Kontrolle, da die Konsequenzen für den Menschen nicht absehbar seien. Kontrolle an sich sei aber nicht verkehrt, solange die Balance gewahrt bleibe – denn wenn wir den Gesamtprozess kontrollieren wollen, von dem wir aber ein Teil sind, gerät alles in Schieflage. Nur im kleinen Maßstab funktioniere Kontrolle über biologische Prozesse, alles andere käme einem Gotteskomplex des Menschen gleich.

Besonders kontrovers wurde die Relation von Anthropozän und Macht diskutiert. Ein Teilnehmer merkte an, dass die gegenwärtige Epoche eher als “Kapitalozän” statt als Anthropozän bezeichnet werden sollte. Dies hätte zur Folge, dass ein Wandel nicht über ein anderes Naturverständnis oder individuelle Entscheidungen für mehr Naturverbundenheit hervorgerufen werden könnte. Stattdessen wäre ein tiefgreifender Systemwandel vonnöten.

Hierbei wurde ebenfalls kritisch angemerkt, dass das Narrativ des Anthropozän Machtverhältnisse vernachlässige oder sogar blind gegenüber ihnen sei – wohl auch, da es hauptsächlich im globalen Norden diskutiert werde. So bezog sich schon Crutzen bei der Konzeption des Konzepts auf die industrielle Wachstumsgesellschaft des Westens. Eine Lösung für dieses inhärente Ungleichgewicht gab es nicht, wohl aber die Hoffnung, dass durch ein neues Weltbild neues Handeln möglich ist: durch die enge Verzahnung mit der Natur im Anthropozän können wir uns nicht mehr getrennt von ihr begreifen, woraus wiederum andere Modelle von Wirtschaft, Bildung, Politik und auch globalen Machtstrukturen folgen.

Dieser doch recht vage Ansatz lässt vielleicht wenig auf eine Transformation hin zu gerechteren Gesellschaftsstrukturen hoffen. Allerdings sind es häufig strukturell benachteiligte Gesellschaftsgruppen wie indigene Bevölkerungsgruppen, die die geforderte Verbindung zur Natur seit jeher leben – vielleicht sind also weniger neue Strukturen nötig, als vielmehr interkultureller Austausch auf Augenhöhe und Respekt gegenüber indigenen Kulturen, von denen der globale Norden viel zu lernen hat.

Auch die Forderung nach mehr Verbundenheit und Emotionalität prägte die Diskussionsrunde. Das Interesse an Handlungsweisen, die sich aus dem neuen Paradigma der Verbundenheit ergeben, war groß, und Geseko von Lüpke betonte immer wieder, dass nur ein ökologischer Wandel, der auf Regionalität und Liebe zum Ort basiert, zielführend ist. Denn durch lokale Lösungen würden auch globale Lösungen folgen– auch wenn diese Theorie zumindest kritisch zu hinterfragen sei im Hinblick auf globale Machtstrukturen, die individuelle Lösungen oft nur in kleinem Rahmen möglich machen.

Auch die emotionale Verbindung zum Wohnort beziehungsweise zur Heimat adressierte von Lüpke, die eine Einbettung in die Umwelt und damit die nötige Unterstützung für den Wandel biete: Wenn die Welt wie ein großes, interdependentes Netz verstanden wird, so wie es zum Beispiel die Gaia-Hypothese nahelegt, können wir daraus eine neue Ethik entwickeln, die auch ein neues Handeln nach sich zieht. Wenn wir die Natur demokratisch statt hierarchisch denken, öffnen sich neue Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen, für die Mitwelt und die Mitmenschen.  Dieses neue Denken und Handeln beruhe dann auf Herzensintelligenz und Verbundenheit, sei hoch politisch und führe zu nachhaltigen, regenerativen Kulturen, wie Geseko von Lüpke am Ende betonte. Darin liege die Chance des Anthropozäns.

Letzte Zweifel ob der Umsetzbarkeit dieses Ansatzes waren in der abschließenden Runde zwar noch zu spüren, aber die allgemeine Stimmung war überwiegend von Hoffnung und Inspiration geprägt, die sicherlich noch weit über den Abend hinaus wirkte.

Sonja Bonneß

Bild: Debatte nach dem Online-Vortrag am 21. Mai 2021. Von links oben im Uhrzeigersinn: Dr. Thomas Bruhn,  Dr. Geseko von Lüpke, Dr. Manuel Schneider und Studienleiterin Katharina Hirschbrunn. (Screenshot eat archiv)

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