„Wir sind die Sündenböcke der Nation!“

Die Podiumsdebatte „BauernLeben – Existenz zwischen allen Fronten?“ in der Evangelischen Akademie Tutzing gab den Blick auf das Seelenleben bayerischer Bäuerinnen und Bauern frei. Wohin sich der „Nährstand“ entwickeln wird, hat nicht nur Einfluss auf die einzelnen Betriebe, sondern auch auf Versorgungssituation sowie ökologische und wirtschaftliche Lage in Deutschland.

Bauernproteste, Agrargipfel, EU-Verordnungen, Nitratwerte. Schlagworte wie diese sind momentan oft zu lesen oder zu hören. Der Protest der Landwirtinnen und Landwirte richtet sich aber nicht nur gegen die Agrarpolitik der Bundesregierung. Sie beklagen auch eine Stimmungsmache gegen Bauern und die fehlende Wertschätzung der Gesellschaft.

Das bestätigte auch Walter Engeler am Dienstag in Tutzing. Er ist Pfarrer und leitet die Landwirtschaftliche Familienberatungstelle der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern am Evangelischen Bildungszentrum (EBZ) Hesselberg. In seiner Arbeit, als Seelsorger und Ansprechpartner, ist er nah dran an den Sorgen und Nöten der Bäuerinnen und Bauern. Oft sei der Generationenwechsel in den landwirtschaftlichen Betrieben ein Thema. Doch auch die aktuelle Stimmung schlage sich nieder, so Pfarrer Engeler. Wir sind die Sündenböcke der Nation!“, höre er oft. Der Vorwurf, zu wenig für die Umwelt getan zu haben und zu tun, träfe die Landwirte tief. Zu wenig haben sie das Gefühl, dass ihre Anstrengungen anerkannt würden.

Engeler war gemeinsam mit Gertraud Angerpointner, Stefan Meitinger und Christine Singer zu Gast bei der Podiumsdiskussion „Aus aktuellem Anlass“, zu der Studienleiter Dr. Jochen Wagner und Akademiedirektor Udo Hahn in die Evangelische Akademie Tutzing geladen hatten. Udo Hahn moderierte das Gespräch, das vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet wurde und am 6. Januar auf ARD-alpha ausgestrahlt wird.

„Die“ Bauern gibt es nicht

Die Herausforderungen, mit denen Landwirte heute zurechtkommen müssen, sind vielfältig. Im Vergleich zu 1995 gibt es etwa in Bayern nur noch halb so viele landwirtschaftliche Betriebe.  Die Landwirtschaft befindet sich längst im tiefgreifenden Umbruch: Der Landwirt von heute ist ein hoch- und vielfältig qualifizierter Unternehmer. Im Schraubstock von EU, Technik, Markt und Nachhaltigkeit führt er seinen Existenzkampf in einer überregionalen, globalen Konkurrenz.

Dennoch: Von der Landwirtin oder dem Landwirt als homogenen Protagonisten zu sprechen, entspräche nicht der Realität. Bauern und Bäuerinnen in Deutschland haben ganz unterschiedliche Unternehmen, Ausrichtungen, Ziele und Auffassungen, für die sie in verschiedenen Interessensgruppierungen eintreten.

Gertraud Angerpointner etwa ist Bergbäuerin aus dem Berchtesgadener Land und Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft e.V. (AbL). Die AbL gründete sich 1980 und vor allem kleinere und mittlere Betriebe bäuerlicher Landwirtschaft, aber auch Verbraucher sind in ihr zusammengeschlossen. Die Kritik der AbL richtet sich oft gegen den Deutschen Bauernverband, die größte landwirtschaftliche Berufsvertretung in Deutschland.  Für den Verband sprach auf dem Podium Stefan Meitinger. Er arbeitet im Generalsekretariat des Bayerischen Bauernverbands im München als  Referent für Agrarpolitik und Parlamentsarbeit. Ebenfalls Mitglied im Bayerischen Bauernverband ist Christine Singer. Die gelernte Hauswirtschaftsmeisterin ist Erste stellvertretende Landesbäuerin des Vereins und betreibt in Hofheim am Riegsee einen Hof mit Milchvieh.

Themen, bei denen die Unterschiede der beiden Interessensgruppierungen in Tutzing zum Ausdruck kamen, waren etwa die Direktzahlungen der EU oder auch die Gestaltung von Düngeeinsatz und Tierwohlvorgaben. Es sei die Kirche, die im Streit der Landwirte untereinander, aber auch in der Auseinandersetzung mit der Politik verstärkt eine Vermittlerrolle einnehmen sollte. Dafür plädierte Pfarrer Engeler.

Der Bezug zur Landwirtschaft ist verloren gegangen

Doch auch Gemeinsamkeiten unter den landwirtschaftlichen Interessensgruppen wurden bei der Debatte deutlich. Etwa der Wunsch nach mehr Verantwortungsbewusstsein auf Seiten der Verbraucher. Der Wunsch nach differenzierteren Diskussionen, nach einer besseren Zusammenarbeit mit der Wissenschaft und Forschung. Auch der Wunsch nach mehr Dialog mit den Verbrauchern. Denn kaum jemand hat eine Vorstellung davon, was wirklich auf den Äckern und in den Ställen passiert, welchen Arbeitsaufwand Landwirte sowohl bürokratisch als auch handwerklich haben, wie es sich so anfühlt zwischen EU-Verordnungen und Alltag.

Der Bezug zur Landwirtschaft sei verloren gegangen, sagte Christine Singer. Die Beziehung zwischen Produkten und den Verbrauchern müsse dringend wieder aufgebaut und intensiviert werden: etwa durch gemeinsames Kochen in den Kindergärten oder auch Schulgärten.

Zugleich steigt der Anteil an Bio-Lebensmitteln auf dem Markt, es wächst das Bewusstsein für Produkte aus der Region. Die Bereitschaft, dafür mehr Geld auszugeben ist allerdings niedrig. An diesem Punkt wies Gertraud Angerpointner darauf hin: „Irgendwo ist Agrarpolitik auch Sozialpolitik.“ Jeder Mensch sollte sich auch gute Lebensmittel leisten können – das sei längst nicht der Fall.

Aber auch die Unterstützung von öffentlicher Seite sei ausbaufähig. Warum nicht etwa öffentliche Einrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen oder Parlamente nur mit Produkten aus regionalem und nachhaltigem Anbau beliefern?

Einigkeit bestand auch in diesem Punkt: „Es geht nur gemeinsam“, so Stefan Meitinger. Auf einer Ebene zu sprechen und nicht von oben nach unten, sei allen ein großes Anliegen.

Dorothea Grass

Hinweis: Die Podiumsdiskussion vom 3. Dezember wird im Anschluss an die Dokumentation „Die Zukunft der Landwirtschaft – Landwirtschaft 4.0: Digitalisierung auf dem Bauernhof“ (BR 2018) am 6. Januar 2020 ab 20.45 Uhr auf ARD-alpha ausgestrahlt. Sie ist unter diesem Link in der ARD-Mediathek abrufbar.

Bild: Die Debatte am 3.12.2019 im Musiksaal von Schloss Tutzing. (Foto: Haist/eat archiv)

Von links nach rechts:
Stefan Meitinger,
Bayerischer Bauernverband, Generalsekretariat, Referent für Agrarpolitik und Parlamentsarbeit, München, Gertraud Angerpointner, Bergbäuerin, Vorsitzende Arbeitsgemeinschaft bäuerlicher Landwirtschaft e.V. (AbL), Fürmann Alm, Anger, Berchtesgadener Land, Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing und Moderator der Debatte, Christine Singer, Hauswirtschaftsmeisterin, Bayerischer Bauernverband, 1. stellv. Landesbäuerin, Referentin für Ernährung, Garten- und Erlebnisbäuerin, Hofheim am Riegsee und Pfr. Walter Engeler, Leiter der Landwirtschaftlichen Familienberatung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern am Evangelischen Bildungszentrum (EBZ) Hesselberg.

 

 

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