Werte – voneinander lernen!

Wenn man auf Werte im Allgemeinen schaue, so die Psychologin Heike Abt, seien sie bei Menschen sogar ganz weit voneinander entfernter Kulturkreise gar nicht so verschieden. Der Unterschied bestünde in den Verhaltensweisen, die daraus abgeleitet werden. – Bericht über den Asylgipfel und Studientag in der Evangelischen Akademie Tutzing am 31. März 2019

Am Anfang räumte Referentin Heike Abt gleich mit ein paar verbreiteten, aber falschen Bildern auf. Pünktlichkeit zum Beispiel – gemeinhin als typisch deutscher Wert betrachtet – sei kein Wert, allenfalls eine Tugend. Dahinter stünde aber tatsächlich ein Wert: Die Zeit, in Deutschland im Allgemeinen als kostbares Gut betrachtet, die nicht verschleudert werden dürfe. Damit wurde das Publikum auch schon mitten ins Tagungsthema hineingeholt: „Werte – voneinander lernen!“, ein Studientag, der sich besonders an Helferinnen und Helfer in der Asyl- und Integrationsarbeit richtete. Wenn man auf die eigentlichen Werte schaue, so die Psychologin Heike Abt weiter, seien sie bei Menschen sogar ganz weit voneinander entfernter Kulturkreise eigentlich gar nicht so verschieden, aber sie leiteten sehr unterschiedliche Verhaltensweisen daraus ab: Zeit sei auch für andere ein Wert, aber sie machten daraus nicht Pünktlichkeit, sondern versuchten „auf dem Fluss der Zeit zu surfen“. Oder Zuverlässigkeit: Deutsche seien zuverlässig in der Sache, hielten sich an Absprachen und Verträge, in anderen Kulturkreisen sei man zuverlässig in seinen Loyalitäten und vor allem gegenüber der Familie, deren Mitglieder mit ihren Bedürfnissen dann eben Vorrang hätten, auch wenn sie andere Verpflichtungen durchkreuzten.

Werte in der Politik wurden aus zwei Perspektiven reflektiert: Der ehemalige Ministerpräsident und langjährige bayerische Innenminister Günther Beckstein hob zwei – gegeneinander auszutarierende – Gewichtungen hervor. Er trat für einen „ganz liberalen Staat mit freier Streitkultur“ ein, aber für gleichzeitiges Festhalten an einer „Grundordnung“, die auf den Menschen- und Freiheitsrechten ruht, wie sie sich seit der Aufklärung in Westeuropa herausgebildet haben, und unter keinen Umständen relativiert werden darf.

Die Werte der freiheitlichen Gesellschaft müssen verteidigt werden

Die Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel (Bündnis 90/Die Grünen) setzte gegen die Unterscheidung von sogenannten Bio-Deutschen und Migranten ein Milieukonzept, das der tatsächlich vorfindlichen Diversität besser gerecht würde. Es käme darauf an, den Wert der freiheitlichen Gesellschaft in allen Milieus sichtbar zu machen und gegen Anfechtungen zu verteidigen. Daran konnte Abdou Rahime Diallo, Politikberater in Sachen Integration, gut anknüpfen, der nachdrücklich darauf hinwies, dass es eben nicht „den Islam“ gebe, der oftmals viel fundamentalistischer und monolithischer wahrgenommen werde, als es der Realität großer muslimischer Bevölkerungsgruppen entspreche.

Wie man mit der Religion aufgeschlossen und doch stark identifiziert umgehen kann, machte Gönül Yerli deutlich, die sich als Vize-Direktorin des Islamischen Forums Penzberg und Theologin viel mit dem interreligiösen Dialog beschäftigt hat. Sie setzt auf Gespräche und Informationen, denn mehr Wissen könne allemal helfen, Vorurteile abzubauen. Darin traf sie sich mit Rabbiner Elias Dray, der ebenfalls die Bedeutung des tatsächlichen Kennenlernens hervorhob. Begegnungen öffneten seiner Erfahrung nach die Tür zum Verständnis dessen, was vormals fremd erschien.

Sowohl der katholische Pfarrer Peter Brummer wie auch der evangelische Theologe Reiner Anselm betonten die Verantwortung des Christentums für gesellschaftliches Miteinander, humanitäres Handeln und Respekt für den Anderen. Dabei seien aber politische Fragen auch politisch zu lösen, so Anselm, Glauben und Religion dürften dafür nicht instrumentalisiert werden. Konfrontationen mit der Politik hat in der Vergangenheit immer wieder  Pfarrer Brummer erlebt, der auch Kirchenasyl als letztes Hilfsangebot für von Abschiebung bedrohte Menschen als einen Ausdruck seiner Verantwortung für den Nächsten begreift.

In all die nachdenklich machenden Diskussionen um unsere Werte und wie wir sie werthalten, platzte eine fröhliche Truppe herein, die das Thema nochmal ganz anders aufspießte: Mit ihren frechen Songs um Vorurteile, Bayerntümelei und Engstirnigkeit brachten die „Wellbappn“ (hier: Hans, Sarah und Jonas Well) manches genauso auf den Punkt. Und weil sie alle Kritik in eine musikalische Liebeserklärung an ihre Heimat verpacken, kommt sie so leichtfüßig und doch zielsicher daher. Aus der musikalischen Intervention entspannen sich dann noch weitere Diskussionen, etwa um die Bedeutung von Familie für Integration oder um die sublimen Nachwirkungen des Kolonialismus, zu der auch Sabeeka Gangjee-Well, die Integrationsberaterin Sadija Klepo und Abdou Rahime Diallo beitrugen. Pfarrer Jost Herrmann und Studienleiterin Ulrike Haerendel verabschiedeten gegen Abend schließlich 120 gut gelaunte Gäste – bereichert durch Vorträge, Gespräche, neue Kontakte und Musik!

Ulrike Haerendel

Bild: Günther Beckstein, Gülseren Demirel, Heike Abt und Ulrike Haerendel (v.l.n.r.) (Foto: eat archiv)

Die „Wellbappn“: Hans, Sarah und Jonas Well und Abdou Diallo

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