Vom Umgang mit Ängsten

“Was hat Corona mit den Menschen gemacht?” haben wir den Psychoanalytiker und Autor Dr. Wolfgang Schmidbauer am Rande einer Tagung gefragt. Im kurzen Video-Interview erklärt er, wie es dazu kommt, dass Menschen Ängste verleugnen und warum es dringend an der Zeit ist, tradierte Rollen innerhalb von Familien zu überdenken.

Zum Interview auf YouTube: https://youtu.be/RJc0mchbAO

“Alles bleibt anders – Corona und die sozialökologische Transformation” lautete der Titel der interdisziplinären Tagung (mehr dazu hier), zu der Wolfgang Schmidbauer im September an unserer Akademie zu Gast war und psychosoziale Aspekte der Corona-Pandemie beleuchtete.

Abseits der Diskussion im Plenum nahm er sich Zeit, Studienleiterin und Pressereferentin Dorothea Grass, Fragen zu beantworten. Sie wollte wissen: Was hat Corona mit den Menschen gemacht?

Wolfgang Schmidbauer erzählte daraufhin von der Angst, die die Menschen durch die Corona-Pandemie umtreibt und sie aufwühlt. Mehrere Reaktionen gebe es darauf: sich zu schützen vor der Angst oder sie zu ignorieren. Viel Widerstandskraft bräuchte es dafür.

Menschen, die diese Kraft nicht besäßen, reagierten auf zwei Arten. Erstere versuchen, den Grund ihrer Angst zu vermeiden. Diese Menschen reagierten oft panisch, zögen sich zurück und laufen damit Gefahr, sozial zu vereinsamen. Erschwerend kommt hinzu: Man sieht diese Menschen nicht. Andere wiederum reagierten mit totaler Verleugnung der Gefahr und tun, als ob es das Risiko nicht gäbe oder finden andere Erklärungen, wie sie sich etwa in Verschwörungsszenarien ausdrücken.

Besonders die Familien seien in der Corona-Krise unter Stress geraten. Schmidbauer berichtete von seinem Austausch mit den Kinderschutzbund, der ihm von weit mehr Gewaltvorkommnissen gegen Kinder berichtete, als vor der Corona-Krise. “Gerade die Systeme, die schon vorher an der Grenze ihrer Belastbarkeit gewesen sind, kompensieren zuerst.”, so Schmidbauer.

In Familien, in denen die Zeitpläne besonders engmaschig gewesen seien, die Betreuung der Kinder “auf Kante genäht” sei und die Betreuung durch Großeltern wegfiele, sei Streit und Stress die Folge gewesen.

Ein Grund dafür seien auch die tradierten Familienrollen. Familien, in denen beide Elternteile die finanzielle und familiäre Verantwortung gemeinsam tragen, könnten den Druck besser abfedern. Seine Forderung: die Vollzeittätigkeit der Eltern sollte reduziert werden, politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die Familien den Druck nähmen wie etwa die Lebenshaltungskosten für junge Familien erschwinglich machen. Hier müsste man an vielen Schrauben drehen, damit verhindert werde, dass “Familien zum Zusammenbruch bedrohten System werden.”

Das vollständige Interview auf YouTube können Sie hier ansehen.

Bild:  Dr. Wolfgang Schmidbauer im Gespräch mit Dorothea Grass (eat archiv)

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