Stimmungsschwankungen

Einen Tag nach der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt analysierten die Journalisten Nico Fried und Hans Monath das desaströse Abschneiden der SPD in Magdeburg und die Chancen der Sozialdemokraten sowie ihres Spitzenkandidaten Olaf Scholz bei der Bundestagswahl im September.

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“Es ist die Fortsetzung eines Niedergangs”, sagte Nico Fried, Leiter der Parlamentsredaktion der Süddeutschen Zeitung in Berlin, gleich zu Beginn des Gesprächs über das Wahlergebnis der SPD bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt. Es sei ein “Niedergang, der schon so lange dauert, dass er sich verfestigt hat.”

Lediglich auf 8,4 Prozent der Wählerstimmen waren die Sozialdemokraten am 6. Juni 2021 im Magdeburger Landtag gekommen, hinter der CDU (37,1 Prozent), AfD (20,8 Prozent) und den Linken (11 Prozent). Die Zeiten, in denen der Sozialdemokrat Reinhard Höppner von 1994 bis 2002 mit 36 bzw. 47 Prozent der Wählerstimmen zum Ministerpräsidenten des Landes gewählt wurde, muten heute wie eine Legende an.

Wie lässt sich das erklären? Und welche Aussagekraft besitzt das Ergebnis dieser Wahl für den Stand der deutschen Sozialdemokratie sowie die Prognosen zur Bundestagswahl im September?

Im Online-Gespräch mit Akademiedirektor Udo Hahn teilten sowohl Nico Fried als auch sein Kollege Hans Monath, Korrespondent im Parlamentsbüro des Berliner Tagesspiegel mit Schwerpunkt deutsche Außenpolitik, einige Beobachtungen und Einschätzungen.

Fehlende Verwurzelung

So spreche das Ergebnis unter anderem dafür, dass die SPD in Sachsen-Anhalt keine Verwurzelung mehr habe (Fried). Ein weiteres Hindernis sei die zunehmende Akademisierung einer Partei, deren Sprache immer weniger Menschen verstünden (Monath). Das Ergebnis belege auch eine politische Nord-Süd-Einteilung in den neuen Bundesländern: Während in Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt die SPD ums politische Überleben kämpft sehe die Lage in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ganz anders aus. In Brandenburg ist sie seit der Wiedervereinigung stärkste Kraft, in Mecklenburg-Vorpommern seit 1998.

In Richtung des Bundes sei das Ergebnis in Sachsen-Anhalt für die SPD als Warnsignal zu werten, so Hans Monath. Er berichtete aus einem aktuellen Gespräch mit dem früheren Vizekanzler und langjährigen Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, der zu einer Auseinandersetzung innerhalb seiner Partei aufrief. Im Blick auf die Erbennbarkeit eines sozialdemokratischen Profils, aber auch hinsichtlich des Vertrauens der Wähler gebe es große Probleme.

Hinzu komme, dass die SPD im öffentlichen Diskurs ihre eigene Arbeit in der Regierungskoalition der vergangenen Jahre “permanent schlechtgeredet” habe, so Hans Monath. Für Nico Fried fing das sogar schon früher an: “Die SPD hat sich nach der Regierungszeit zu lange mit sich selbst beschäftigt”, lautet seine Beobachtung.

Bei der Bundestagswahl werden Olaf Scholz und der SPD bislang wenig Chancen eingeräumt. Ohnehin hat sich der Zuspruch in der Wählergunst zwischen 1998 und der letzten Bundestagswahl 2017 praktisch halbiert – auf zwanzig Prozent. Umfragen sehen die SPD aktuell bei etwa 15 Prozent.

Vier “Zukunftsmissionen” warten auf weitere Profilierung

Auf die Frage von Akademiedirektor Hahn, ob die SPD nach der Bundestagswahl im September wieder in Regierungsverantwortung kommen werde, zeigte sich Hans Monath verhalten. Dass sie als Kanzlerpartei oder als Koalitionspartei aus der Wahl hervorgehe, sei “unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich”, sagte er. Nico Fried dagegen schätzt, dass die SPD in der nächsten Bundesregierung nicht mehr vertreten sein wird.

Und Spitzenkandidat Olaf Scholz? Als “fleißig, belesen und intelligent” bezeichnen ihn die beiden Berliner Journalisten im Online-Gespräch. Jedoch: Er stehe nicht für Erneuerung. Ein weiteres Manko bei Scholz sei außerdem, dass seine Reden schnell belehrend und zu verkopft wirkten. “Seine Schwäche ist, seine Intellektualität politisch auf die Straße zu bringen”, so Fried. Hinzu komme, dass er inhaltlich oft schwer zu fassen sei.

Das Wahlprogramm der SPD steht unter dem Titel: “Zukunft. Respekt. Europa.” Darin werden vier “Zukunftsmissionen” genannt: der Kampf gegen den Klimawandel, modernere Mobilität, Digitalisierung sowie ein optimiertes Gesundheitssystem. Im Vordergrund stehen dabei der Ausbau des Sozialstaates und die Klimapolitik.

Im Gespräch mit den Journalisten Monath und Fried wird klar: Diesen Zielen ein Profil zu geben, bleibt in den nächsten Monaten bis zur Wahl noch eine große Aufgabe – die allerdings nicht unmöglich ist.

Weitere Themen der Online-Debatte waren: die Schwachstelle Außenpolitik, amtierende SPD-Minister und das allgemeine Personaltableau der Partei, die Langzeitentwicklung der Sozialdemokraten, die Agenda 2010, die Abgrenzung zu den Grünen, die Bundespräsidentenkandidatur von Frank-Walter Steinmeier, Identitätspolitik und Wolfgang Thierse sowie der Strukturwandel der Öffentlichkeit.

Dorothea Grass

Das komplette Gespräch können Sie hier abrufen.

Hinweis:
Die Online-Veranstaltung war Teil unserer Reihe “Zur Bundestagswahl”, in der wir uns mit ausgewählten Parteien beschäftigen. Im Februar stand die CDU/CSU im Mittelpunkt, am 17. Mai ging es um Bündnis 90/Die Grünen und am 21. Juni werden wir uns mit der FDP beschäftigen.

Bild: Udo Hahn, Nico Fried und Hans Monath in der Online-Debatte über Olaf Scholz und die SPD am 7. Juni 2021. (Foto: eat archiv)

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