Früherer Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier warnt vor „Moralisierung“ der Politik

Der Staat habe die Aufgabe, Recht durchzusetzen und nicht Moralvorstellungen, sagte Hans-Jürgen Papier im Interview mit Akademiedirektor Udo Hahn. „Was unsere pluralistische Gesellschaft zusammenhält, ist keine gemeinsame Religion und auch keine gemeinsame Kultur, sondern kann nur geltendes Recht sein“, so Papier. Das gelte auch hinsichtlich der Corona-Demonstrationen, bei denen Virusleugner, Impfgegner und Anhänger von Verschwörungstheorien auf die Straße gehen. Der Staat sei „kein Meinungsrichter“, bei Rechtsverstößen müsse er allerdings einschreiten.

Vor einer „Moralisierung“ der Politik in Deutschland hat der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier, gewarnt. Im „RotundeTalk“ (hier ansehen) der Evangelischen Akademie Tutzing sagte er, der Staat habe die Aufgabe, Recht durchzusetzen und nicht Moralvorstellungen. „Was unsere pluralistische Gesellschaft zusammenhält, ist keine gemeinsame Religion und auch keine gemeinsame Kultur, sondern kann nur geltendes Recht sein“, so Papier. Diesem müssten sich der Staat wie die Bürgerinnen und Bürger unterwerfen. Ansonsten drohe die Spaltung. Er wolle aber „kein Horrorbild“ malen. Auseinandersetzungen in der Vergangenheit hätten „größere Risse“ produziert. „Das Klima heute ist friedlicher“, bilanziert der Staatsrechtslehrer, der unsere Demokratie für krisenfest hält. Eine intakte Zivilgesellschaft sei dabei eine „unerlässliche Voraussetzung“.

Prof. Papier wünscht sich „auf allen Seiten mehr Rechtsbewusstsein“ und erinnerte an das Gemeinsame Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur Zukunft unseres demokratischen Gemeinwesens, das 2006 unter dem Titel „Demokratie braucht Tugenden“ veröffentlicht wurde.

In der Demokratie habe die Meinungsfreiheit „die größte Bedeutung“. Sie schütze auch Meinungen, die einem absurd erschienen. Der Staat sei „kein Meinungsrichter“, betonte Papier mit Blick auf Demonstrationen u.a. von Leugnern des Coronavirus, Impfgegnern sowie Vertretern unterschiedlichster Verschwörungstheorien. Bei Volksverhetzung, wenn gegen geltendes Recht verstoßen werde, müsse der Staat natürlich einschreiten.

Was die zur Eindämmung der Corona-Pandemie verhängten Beschränkungen der Freiheitsrechte betrifft, so erwartet Prof. Papier eine „rechtsstaatliche Aufarbeitung“. Im Zusammenhang der Notmaßnahmen seien die Parlamente in Bund und Ländern „weitgehend“ außen vor geblieben. „Wesentliche Entscheidungen muss das Parlament treffen und dürfen nicht der Verwaltung übertragen werden.“ Keine Prognose wagen wolle er im Blick auf Entschädigungsklagen. Bestimmten Gruppen seien aber zum Schutz des Gemeinwohls Sonderopfer abverlangt worden – bis hin zur Existenzvernichtung.

Der „RotundeTalk“ ist ein neues Gesprächsformat der Evangelischen Akademie Tutzing. Menschen aus Politik, Kultur und Gesellschaft sprechen im Interview über ihre Erfahrungen im Umgang mit der Corona-Pandemie, über die Herausforderungen dieser Krise und wie es danach weitergehen könnte. Gäste sind u.a. Sozialministerin Carolina Trautner, der Musiker Peter Maffay, die Bundesjustizministerin a.D. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, der Kabarettist Christian Springer, der bayerische DGB-Vorsitzende Matthias Jena, die Künstlerin Ilana Lewitan, sowie der Astrophysiker Harald Lesch.

Die Interviews werden auf dem YouTube-Kanal der Akademie publiziert.

Bild: Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier und Akademiedirektor Udo Hahn in der Rotunde der Evangelischen Akademie Tutzing (Foto: ma/eat archiv)

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