“Was sind eigentlich unsere Forderungen an die Plattformen?”

Im Juli wurde das Gesetz über digitale Dienste, der Digital Services Act, vom EU-Parlament verabschiedet. Was das Gesetz leisten soll und was es darüber hinaus bräuchte, darüber hat Junges-Forum-Studienleiterin Julia Wunderlich mit dem Digitalexperten Felix Reda gesprochen.

Evangelische Akademie Tutzing: Was ist unter dem Digital Services Act zu verstehen, warum braucht es das Gesetz?

Felix Reda: Wenn wir das Internet nutzen, kommunizieren wir nicht auf direktem Wege mit anderen Menschen, sondern dazwischen befinden sich Intermediäre – meist Unternehmen – die unsere Kommunikation vermitteln. Das können Internetzugangsanbieter wie die Telekom sein, aber auch Marktplätze wie Amazon, Social-Media-Plattformen wie TikTok oder nichtkommerzielle Community-Plattformen wie Wikipedia. Der Digital Services Act ist ein europaweit einheitliches Regelwerk für diese Intermediären. Er erkennt an, dass Plattformen für die Meinungs- und Informationsfreiheit eine zentrale Rolle zukommt und gibt uns als Nutzer:innen Rechte im Umgang mit diesen mächtigen Playern.

Worin liegen die Chancen des Gesetzes? Was sehen Sie kritisch?

Die EU hat beim Digital Services Act eine gute Balance gefunden. Anders als etwa bei der Urheberrechtsreform verzichtet sie darauf, Plattformen zum Einsatz von Uploadfiltern zu zwingen, die die Meinungsfreiheit bedrohen, indem sie automatisch bestimmte Inhalte oder Accounts sperren. Bei derartigen automatisierten Verfahren kommt es immer wieder zu Fehlern. Künftig müssen Plattformen viel genauer erklären, nach welchen Kriterien sie Inhalte löschen, und dürfen dabei nicht diskriminieren. Das ist ein großer Fortschritt. Problematisch ist dagegen, dass der Digital Services Act dem Geschäftsmodell mit persönlichen Daten kaum einen Riegel vorschiebt. Mit der Forderung, personalisierte Werbung zu verbieten und damit die Ausforschung unserer Interessen durch die Wirtschaft zu verhindern, konnte das Europaparlament sich in den Verhandlungen nicht durchsetzen.

Was bedeutet das Plattformregulierungsgesetz für junge Menschen?

Zumindest an Minderjährige dürfen Plattformen künftig keine personalisierte Werbung mehr ausspielen. Dadurch soll verhindert werden, dass insbesondere Kinder gezielt mit manipulativer Werbung angesprochen werden. Allerdings ist unklar, wie wirkungsvoll dieses Verbot sein wird, denn Plattformbetreiber können leicht darauf verweisen, dass sie gar nicht wissen, ob sie es mit Minderjährigen zu tun haben.

Relevanter für den Alltag von vielen Jugendlichen könnte also sein, dass Plattformen zukünftig gegenüber ihren Nutzer:innen begründen müssen, warum sie einen Upload gesperrt oder durch den Algorithmus vor anderen versteckt haben. Mit dieser Information können sich die Nutzer:innen dann bei der Plattform über ungerechtfertigte Sperrungen beschweren. Oder sie können sich an Grundrechtsorganisationen wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte wenden, die die Rechte der Nutzer:innen stellvertretend gegenüber den Plattformen durchsetzen können. Die Hürde, bei einem Verein Hilfe zu suchen, ist sicher für viele wesentlich geringer, als sich mit einem riesigen, namenlosen Unternehmen anzulegen.

Anfang Dezember findet die Tagung “Digitalethik & junge politische Philosophie” im Jungen Forum der Akademie statt. Die Tagung ist interdisziplinär konzipiert, also mit Referierenden aus der Philosophie, Informatik, Netzpolitik und Netzaktivismus. Was muss Ihrer Meinung nach auf dieser Tagung passieren? Wie kann das Gesetz im Kontext der politischen Bildung diskutiert werden?

Der Digital Services Act zwingt Plattformen, verantwortungsvoller und transparenter mit ihrer Macht umzugehen. Aber auch die Userinnen und User haben Macht, sie müssen sich nur besser organisieren. Gerade Jugendliche sind für Plattformen eine attraktive Zielgruppe. Ich wünsche mir eine Debatte: Was sind eigentlich unsere Forderungen an die Plattformen? Diese können wir dann gemeinsam an die Unternehmen herantragen und politischen Druck erzeugen.

Interview: Julia Wunderlich

 

Zur Person:

Felix Reda ist Digitalexperte für Urheberrecht und Kommunikationsfreiheit und arbeitet für die Gesellschaft für Freiheitsrechte in Berlin. Er war von 2014 bis 2019 als einziger Abgeordneter für die Piratenpartei Mitglied im EU-Parlament und einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Fraktion Grüne/EFA. Felix Reda ist Affiliate des Berkman Klein Center for Internet & Society der Harvard University. Auf Twitter ist Felix Reda unter @Senficon unterwegs.

Hinweis:
Die Tagung “Digitalethik & junge politische Philosophie” findet vom 2. bis 4. Dezember 2022 im Jungen Forum der Evangelischen Akademie Tutzing statt – in Kooperation mit Philosophy & Economics-Studierenden der bayreuther dialoge der Uni Bayreuth. Das detaillierte Programm befindet sich noch in Vorbereitung. Wenn Sie benachrichtigt werden möchten, wenn das Programm online verfügbar ist, können Sie sich hier eintragen. Wir freuen uns auf Ihr Kommen!

 

Bild: Felix Reda (Foto: CC-by-4.0-International / Volker-Conradus)

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