Präses Rekowski fordert „hemmungslosen Lobbyismus für die Menschen“

Auf der Diskussionsveranstaltung zum Thema „SOS an Europas Grenzen“ äußert sich der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland besorgt über fehlende europäische Zusammenarbeit hinsichtlich der Seenotrettung im Mittelmeer. Auch in der kirchlichen Ökumene wünscht er sich mehr Einigkeit.

Unsäglich findet Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland sowie Vorsitzender der EKD-Kammer für Migration und Integration, die Debatten darüber, ob Menschen in Not geholfen werden solle. „Es geht doch immer um Menschen!“ ruft er am Dienstagabend in Tutzing in Erinnerung. Er fordert dazu auf, „hemmungslos Lobbyisten für die Menschen“ zu sein.  Wer eine Leitlinie nach dem Motto „Wir zuerst“ propagiere, würde damit auch gleichzeitig sagen „Ihr nicht!“

Auf Einladung der Evangelischen Akademie Tutzing zur Diskussion „Aus aktuellem Anlass“ waren neben Rekowski auch Verena Papke von der Seenotrettungsorganisation SOS Méditerranée, der SPD-Politiker Franz Maget sowie Prof. Christopher Hein, Dozent für Asyl- und Migrationsrecht an der Privatuniversität LUISS in Rom gekommen.

Italien ist in den vergangenen Jahren von Europa alleine gelassen worden mit Flüchtenden, die über das Mittelmeer von Afrika aus kamen. Obwohl zivilgesellschaftlich und vor Ort den verzweifelten Ankömmlingen immer noch sehr viel geholfen wird, hat sich der politische Wind gedreht: Mehrfach ist privaten Seenotrettungsschiffen und neuerdings sogar Schiffen der eigenen Küstenwache verwehrt worden, italienische Häfen anzulaufen und die Menschen von Bord zu lassen. In Malta werden sie am Wiederauslaufen gehindert, dem Kapitän der „Lifeline“ wird dort der Prozess gemacht, weil er ein nicht ordnungsgemäß registriertes Schiff in maltesische Gewässer gesteuert habe. Dem Rettungsschiff „Aquarius“ hat Panama auf Druck von Italien die Flagge entzogen, momentan liegt das Schiff mit liberianischer Flagge im Hafen von Marseille, wie Verena Papke, Geschäftsführerin von SOS Méditerranée, berichtet. Momentan kann die „Aquarius“ ihre Einsätze für die Menschen nicht fortsetzen.

Papke berichtet von dem  humanitären Einsatz auf dem Mittelmeer, von den Hürden, die viele private Seenotrettungsorganisationen bei ihrer Arbeit zu bewältigen haben. Zur Rettung aus Seenot seien zwar alle Schiffe nach internationalem Recht verpflichtet, aber es gebe keine europäische Rechtsgrundlage zur Aufnahme und Verteilung der Geretteten. Private Organisationen wie SOS Méditerranée würden dadurch kriminalisiert, delegitimiert und handlungsunfähig gemacht.

„Politik der Abschreckung“

Prof. Christopher Hein, der neben seiner Arbeit als Dozent für Asyl- und Migrationsrecht auch Mitglied im Vorstand des Italienischen Flüchtlingsrates ist, weist auf ein Dekret hin, das der italienische Senat wenige Tage zuvor mit großer Mehrheit befürwortet hat und das härtere Regeln für Migranten vorsieht. Nach dem Willen der Regierung aus Salvinis rechtsextremer Lega-Partei und der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung soll die Vergabe von humanitären Aufenthaltsgenehmigungen durch das Dekret massiv eingeschränkt werden. Auch die Verteilung und Unterbringung von Asylbewerbern soll neu geregelt werden. Prof. Hein spricht von einer „radikalen Verschlechterung der Verhältnisse für Flüchtlinge“. Das aktuelle Leitmotiv der italienischen Regierung sei eine „Politik der Abschreckung“.

Gleichzeitig sagt Hein, dass Italien lange Jahre von der EU allein gelassen worden wäre. Die staatliche Seenotrettungsaktion „Mare Nostrum“, die Italien 2013 installiert hatte und mit militärischer Hilfe durchführte, musste 2014 abgebrochen werden. Grund dafür: Druck von der EU.

Seitdem gab es mehrere Initiativen auf dem Mittelmeer:  Im November 2014 wurde „Mare Nostrum“ von „Triton“ abgelöst. Die Mission EUNavForMed „Sophia“ ist seit Juni 2015 im Einsatz. Ziel der Operationen: Sicherung der EU-Außengrenzen, Bekämpfen der Schleuser. Die Missionen haben darüber hinaus unzählige Menschenleben auf dem Mittelmeer gerettet. Dennoch, so Hein, sei „Seenotrettung bislang immer nur ein Beiwerk dieser Missionen“ gewesen.

Als ein weiteres Problem beschreibt er die verschiedenen Rechtssysteme zur Flüchtlingspolitik, die untereinander nicht kommunizieren würden. Neben der Mittelmeermissionen gebe es bilaterale Abkommen, von Seiten der Bundesregierung etwa mit der Türkei oder den nordafrikanischen Staaten. Auch mit Libyen gebe es Verträge. Das große Problem sei hier jedoch, dass Libyen seit dem Sturz Gaddafis 2011 weitgehend ohne staatliche Autorität ist. Im Gegensatz zu Marokko, Algerien und Tunesien gebe es in Libyen keine Ein- und Auswanderungsgesetze. Aus diesem Grund begeben sich viele Flüchtende in das Land, um von hier aus über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen.

Die Küstenwache vor Libyen, die mit EU-Geldern unterstützt wird, hat die Aufgabe, Schlepperboote zu stoppen und zurück an Land zu bringen. Dort erwarten die Flüchtlinge zum großen Teil Gefangenenlager, in denen Menschenrechte nicht gelten und Gewalt an der Tagesordnung ist. Präses Rekowski bezeichnet die Lage der Geflüchteten in Libyen als „Black Box“.

Seenotretter zwischen Europa und Afrika

Für Verena Papke zeigt sich die Zusammenarbeit mit den libyschen Seenotrettungsleitstellen – die als einzige mittlerweile den privaten Rettungsorganisationen als Ansprechpartner dienen – als hoch problematisch. Oft gehe schlichtweg niemand ans Telefon, wenn Schiffe privater Rettungsorganisationen auf Flüchtende in Seenot träfen. Was entsteht ist ein Dilemma: den behördlichen Weg einhalten oder Menschen vor dem Ertrinken retten.

Politiker Franz Maget, der von 2016 bis 2018 als Sozialreferent an der Deutschen Botschaft in Tunis gearbeitet hat, ergänzte den Blick auf die teilweise chaotischen und disparaten Verhältnisse in Libyen. Er sehe dort wenig Chancen für eine Unterstützung der europäischen Forderungen nach geordneten und menschenwürdigen Strukturen für die Menschen auf der Flucht. Aber er bemerkt auch einen Paradigmenwechsel in der deutschen Flüchtlings- und Entwicklungspolitik innerhalb der vergangenen drei Jahre. Zunehmend stünde in der politischen Zusammenarbeit die Sicherheitsfrage im Vordergrund. Der politische und öffentliche Diskurs drehe sich zu oft darum „Fluchtursachen zu bekämpfen“. Inhalte der Entwicklungspolitik, Hungerbekämpfung oder kulturelle Zusammenarbeit träten in den Hintergrund. Er äußert sich besorgt über die Zunahme der Fremdenfeindlichkeit innerhalb Deutschlands, aber auch innerhalb Europas. Was dabei auf dem Spiel stünde, sei das Grundwerk Europas. „Europa wird in seiner ethischen, politischen und moralischen Substanz ausgehöhlt“, so Maget.

„Europa ist ein Friedens- und Versöhnungsprojekt“, ruft auch Präses Rekowski in Erinnerung. Daran festzuhalten sei die aktuelle Aufgabe – nicht nur der europäischen Kirchen. Die fehlende europäische Einigung im Umgang mit Flüchtlingen sei eine „Bankrotterklärung der Europäischen Union.“

dgr/eat

Bild: Manfred Rekowski, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, während der Podiumsdiskussion am 8.11.2018. (Foto: dgr/eat archiv)

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