Die Ermöglicherin
Sie hat Strukturen gebaut, Menschen verbunden und dabei Verantwortung gelebt. 2026 kandidiert Brigitte Grande nach zwölf Jahren nicht erneut für den Vorsitz des Freundeskreises der Evangelischen Akademie Tutzing – und zeigt im Gespräch, warum ihr Engagement mehr ist als Ehrenamt: Es ist eine Haltung.
Wenn Brigitte Grande über den Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing spricht, dann erzählen ihre Augen mit: wach, gescheit und mit einem Leuchten. In diesem Leuchten liegt die Energie einer Frau, die seit Jahrzehnten zutiefst davon überzeugt ist, dass Demokratie nur dann lebendig bleibt, wenn Menschen sich begegnen, sich austauschen und dabei Freude und Selbstwirksamkeit verspüren.
In ihrem Ehrenamt als Vorsitzende des knapp 1000 Mitglieder zählenden Vereins ist sie ihrer Begeisterung für Kultur und ihrer Überzeugung gefolgt, sich einzubringen in der Welt: “Kunst macht Freude, Kultur macht Freude, sie machen beherzt und das nimmt man dann mit in gesellschaftliches Engagement.”
Zwei Jahre nach der Gründung der Akademie im Jahr 1947, gründeten Befürworter und Unterstützer den Freundeskreis genau aus diesem Grund: “um Menschen zu stärken, zu ermutigen, sich einzubringen und sich selber um die Welt zu kümmern”, sagt Brigitte Grande. In diesem Satz steckt vieles von dem, was ihr Leben bislang geprägt hat.
Demokratie als Auftrag – und als Erbe
Ihre politische Wachheit trägt Grande seit Kindheitstagen in sich. Aufgewachsen in Öhringen, in einer Familie, die noch im Schatten des Nationalsozialismus stand, diskutierte man zuhause früh über Schuld, Verantwortung, Irrwege und Neuanfänge. Die Eltern – der Vater einst auf einer Nazi-Schule, die Mutter früh in BDM-Strukturen – verschwiegen ihren Kindern nichts. “Wir haben immer gefragt: Wie konntet ihr?”, erzählt sie. Dass ihre Eltern sich diesen Fragen stellten, offen und schmerzhaft ehrlich, wurde zum moralischen Fundament ihrer eigenen Haltung: Gesellschaft muss gestaltbar sein, und jeder Mensch hat darin einen Platz.
Schon als Schülerin gründete Grande das erste Jugendzentrum ihrer Heimatstadt mit und tauchte später im Geschichts- und Politikwissenschaftsstudium in Tübingen, Konstanz und den USA in eine Welt ein, die sie bis heute trägt: Philosophie, Theologie, Geschichte, Politikwissenschaft, Literatur. Sie habe alles “wie ein Schwamm aufgesogen” erzählt sie. Große Namen prägten ihre Studienjahre – Jürgen Habermas, Hans Küng, Walter Jens –, wichtig waren ihr dabei die Prinzipien: lernen, einordnen, Verantwortung übernehmen.
Der Weg in die Kultur – und zu den Menschen
Als ihre Examensarbeit über die Regionalgeschichte von Meersburg den dortigen Bürgermeister beeindruckte, änderte sich alles. Grande übernimmt die Organisation der 1000-Jahr-Feier der Stadt, formt aus historischer Forschung ein modernes Kulturprogramm – und findet ihre Berufung: Kultur als Verbindungslinie zwischen Menschen. “Eigentlich war immer die Kultur mein Weg. Kultur und die Frage: Wie funktioniert Gesellschaft?”, fasst sie es zusammen.
In Meersburg baut sie das Kulturamt auf, später in Hürth vor Köln. Nach der Geburt ihres Sohnes und dem Ruf ihres Ehemannes, dem Politologen Edgar Grande, an die Universität nach München, wurde Tutzing ihr neuer Wohnsitz. Brigitte Grande tauscht Beruf gegen intensives Ehrenamt – und gründet kurzerhand eine Kinderkunstschule, organisiert Kurse, Theaterprojekte, Kooperationen mit Museen und Universitäten.
Wichtig war ihr dabei immer die Vernetzungsarbeit. “Es geht nicht nur darum, Veranstaltungen anzubieten, sondern es geht darum, die Menschen einzubinden.” Verschiedenste Gruppen zusammenzubringen und auch Teile der Gesellschaft in die Mitte zu holen und auf die Bühne zu heben, ist für sie zentral. Grande hält es für immens wichtig, dass “die Gesellschaft auch sieht, dass ein Wohnort, nicht nur ein Wohnort ist, wo man schläft und einkauft und die Straße benutzt, sondern wo man sich engagiert und wo man die Gesellschaft mitgestalten kann.” So begegnet sie der Evangelischen Akademie Tutzing – einem Ort, der sie nicht mehr loslässt.
“Wir schicken Freude durch die Rohre”
2014 wird sie Vorsitzende des Freundeskreises – ohne damals zu ahnen, wie viel Arbeit in dieser Aufgabe steckt. “Ich bin gelernte Kulturmanagerin”, sagt sie – und genau das war ihr Fluch und Segen. Gemeinsam mit ihrem Team verändert sie Arbeitsabläufe, baut Finanzierungsmodelle um, modernisiert das Marketing, ordnet Gremien und Prozesse neu. Ein Kraftakt – und ein Geschenk an die Organisation.
Doch die nüchterne Verwaltungsebene ist nur die halbe Wahrheit. Der Freundeskreis, sagt Grande, sei viel mehr als ein Förderkreis. Er sei ein zivilgesellschaftliches Kraftwerk, ein Ort, an dem Menschen erfahren, dass Engagement nicht Pflichterfüllung bedeutet, sondern gelebte Selbstwirksamkeit – und Freude. Dieses Wort kehrt immer wieder. Freude am Austausch. Freude am Denken. Freude an Diskussionen. Freude an der Demokratie.
In einem ihrer typischen Bilder sagt sie: “Wir sind wie Klempner. Wir ermöglichen, dass etwas fließen kann. Nur schicken wir kein Abwasser durch die Rohre – sondern Kunst, Kultur, Orientierung, Wissensvermittlung und Dialogfähigkeit.”
Die Müdigkeit der Welt – und ihr persönliches Gegenmittel
Grande ist 65, mit einem ausgeprägten protestantischen Pflichtgefühl und einer Hoffnung, die sie selbst kritisch betrachtet. “Eigentlich bin ich politisch hoffnungslos, wenn ich auf die Welt schaue”, sagt sie. Und dann fügt sie an: “Aber ich tue, was ich tue, gegen diese Hoffnungslosigkeit.” Wenn sie Menschen zusammenbringt, schafft sie Räume, die dem Ohnmachtsgefühl etwas entgegensetzen. Räume, in denen Demokratie als Erlebnis spürbar wird.
2026 wird sie sich nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr zur Wahl stellen, aus Professionalität: „Wer zu lange im System ist, verliert den kritischen Blick auf die Dinge. Damit aber verliert man die Fähigkeit zur Erneuerung.“
Sie will Platz machen für jemanden, der die nächste Generation versteht – und die Digitalisierung nicht nur akzeptiert, sondern nutzt. Jemanden, der neuen Schwung bringt, eine neue Sprache der Gegenwart. Die Basis dafür ist bestens vorbereitet.
Ein Vermächtnis, das leuchtet
Was bleibt, ist eine Frau, die so oft anderen Menschen den roten Teppich ausrollte und dabei im Hintergrund blieb. Sie verkörpert eine stille Autorität, gespeist aus Bildung, aus Verantwortung und aus einem unerschütterlichen Glauben an die Kraft der Menschen. Und vielleicht ist das ihr schönstes Erbe: Sie hat einen Freundeskreis geführt, indem sie niemanden führte, sondern andere begeisterte. – Zugegebenermaßen auch begeistern musste. Sie erklärt es so: “Wir arbeiten mit Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren und im Ehrenamt können sie niemanden anweisen. Sie können nur begeistern und überzeugen und sonst gar nichts. Da müssen sie sicher sein in dem, was sie anbieten, denn schlussendlich bieten sie Arbeit an.”
Bis in den letzten Winkel Bayerns reicht diese Arbeit des Freundeskreises. Die “kleinen Akademien vor Ort” laden zu den unterschiedlichsten Veranstaltungen, initiieren Debatten und ermöglichen Meinungsbildung, unternehmen Reisen an ungewöhnliche Orte und pflegen Freundschaften. Dass sich diese Arbeit sehen lassen kann, ist auch der Verdienst von Brigitte Grande.
Denn sie ist vor allem eines: eine Ermöglicherin. Eine, die dafür sorgt, dass Ideen fließen, Menschen sich begegnen, Demokratie gelebt wird – und dass man all das “völlig unabhängig von jeder kapitalistischen Verwertung tut”. Sie fügt hinzu: “In der Akademie lernt man als Mensch, als Person. Man lernt die Welt zu verstehen, man lernt sich zu verstehen, man lernt seinen Platz in der Welt zu finden.”
Dorothea Grass
Bild: “Habt den Mut, als Bürger zu handeln! Ansonsten verpasst ihr eine ganz grundlegende Dimension des Menschseins.” Brigitte Grande sagt, dieses Zitat aus dem aktuellen Buch des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann spräche ihr aus dem Herzen. (Buchtitel: “Der Sinn von Politik ist Freiheit. Warum Hannah Arendt uns Zuversicht in schwierigen Zeiten gibt”) Foto: dgr/eat archiv



