Politische Bildungsarbeit ist nicht neutral

In einem Beitrag für die Zeitung “Politik & Kultur” des Deutschen Kulturrates schreibt Akademiedirektor Udo Hahn über rechtsextreme und rechtspopulistische Einschüchterungsversuche gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen und blickt kritisch auf die Unionsparteien. Hier können Sie seinen Text lesen.

Wenige Tage vor der Bundestagswahl im Februar stellte die CDU/ CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag eine Kleine Anfrage unter dem Titel “Politische Neutralität staatlich geförderter Organisationen”. 551 Fragen zur Vergabe staatlicher Fördermittel an Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Nach einer gemeinsamen Abstimmung von Union und AfD für eine verschärfte Migrationspolitik war es bundesweit zu Demonstrationen gekommen. Die Bundestagsfraktion der Union wollte vor diesem Hintergrund wissen, ob sich gemeinnützige Vereine, die auch mit Steuergeldern gefördert werden, parteipolitisch betätigen dürfen, ohne ihren Gemeinnützigkeitsstatus zu gefährden. Die Antwort der damaligen Bundesregierung lautete kurz zusammengefasst: Zivilgesellschaftliches Engagement ist rechtlich abgesichert und demokratiepolitisch erwünscht. Ob das auch in Zukunft so bleibt? Das lässt sich aktuell nicht eindeutig mit Ja beantworten. Entscheidend wird sein, welches Verständnis von Zivilgesellschaft CDU/CSU haben und was dies für die politische Bildung bedeutet.

Schon immer gab es aus der Union heraus Kritik an der Förderpraxis. Und gerne sähe sie mehr Einsatz gegen linksextreme Kräfte. Für eine konservative Partei ist das eine legitime Forderung. Mit der Kleinen Anfrage zu Jahresbeginn haben sie jedoch viele zivilgesellschaftliche Akteure verunsichert. Die AfD hätte den Fragenkatalog wohl kaum anders formuliert. Er folgt im Kern einem Narrativ, der von rechtsextremen und rechtspopulistischen Kräften leidenschaftlich vertreten wird. Und auf Plattformen wie Nius sowie in Zeitungen wie Welt und Bild Resonanz findet. Da werden bestimmte Förderprogramme – etwa “Demokratie leben!” – skandalisiert, eine Bedrohung durch “linke Lobbygruppen” an die Wand gemalt und die genehmigende Ebene im Bundesfamilienministerium einfach als “linker Beamten-Deepstate” (Nius) verunglimpft.

Um nicht missverstanden zu werden: Selbstverständlich müssen sich Fördermittelempfänger überprüfen lassen, ob ihre Arbeit den festgelegten Kriterien entspricht und die Verwendung der Mittel ordnungsgemäß erfolgte. Beides geschieht übrigens. Doch schon länger ist zu beobachten, worum es den Kritikern eigentlich geht: um die politische Delegitimierung dieser Bildungsarbeit unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeitsdebatte. Dabei behaupten sie, staatlich geförderte Organisationen unterlägen einer Neutralitätspflicht, die sich aus der Neutralitätspflicht des Staates ableite. Verfassungsrechtlich ist das aber nicht haltbar. Das Bundesverfassungsgericht hat mehrfach betont, dass sich die Neutralitätspflicht des Staates auf das Handeln der Exekutive, aber nicht auf die Meinungsäußerungen und die politische Arbeit unabhängiger zivilgesellschaftlicher Akteure bezieht.

In einer liberalen Demokratie wie der Bundesrepublik Deutschland ist eine funktionierende Zivilgesellschaft ein Erfolgsfaktor. Eine liberale Zivilgesellschaft trägt zur demokratischen Kultur bei: durch Kritik an parlamentarischer und exekutiver Politik insgesamt, indem sie Transparenz und Rechenschaft einfordert sowie die Anliegen artikuliert, die im Meinungsdiskurs unterrepräsentiert sind. Zivilgesellschaftliche Organisationen engagieren sich u. a. gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und Queer-Feindlichkeit, setzen sich für Umwelt- und Klimaschutz ein. Ihre Arbeit dient dem Gemeinwohl. Sie ist aber nicht neutral, sondern wertegebunden. Wie dies z. B. der Beschluss “Jugendarbeit stärken – Für einen demokratischen Diskurs” der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK) aus diesem Jahr hervorhebt: “Erfolgreiche demokratische Jugendarbeit ist entsprechend der Werte des Grundgesetzes und der darin garantierten Rechte ausgerichtet. Dabei sind Offenheit, Vielfalt und Pluralität, Kontroversität, Befähigung zur eigenständigen Orientierung sowie ein Indoktrinationsverbot in der Jugendarbeit Arbeitsmaxime. Sie dürfen nicht durch Forderungen nach politischer Neutralität gefährdet bzw. in Frage gestellt werden.”

Bislang ist es unter allen demokratischen Parteien Konsens, dass durch zivilgesellschaftliche Akteure u. a. Zusammenhalt, Respekt, Empathie, Anstand, Toleranz, Verantwortung und Zivilcourage gefördert werden. Basis dieses Konsenses wiederum ist ein Verständnis von Bildung, das von einem emanzipatorischen Ansatz geprägt ist: sich ein eigenes Urteil zu bilden. Dazu braucht es unterschiedliche Perspektiven, den Diskurs, auch die Polarisierung. In diesem Prozess setzt sich nicht einfach eine Position durch, vielmehr werden Kontroversen moderiert, so dass ein Kompromiss entstehen und ein Konsens gefunden werden kann.

Unsere Demokratie hat nicht den unmündigen Untertan, sondern den Citoyen als Leitbild: den Staatsbürger, der in der Tradition und im Geist der Aufklärung aktiv und eigenverantwortlich am Gemeinwesen teilnimmt und dieses mitgestaltet. In der liberalen Demokratie ist Widerspruch nicht nur möglich, sondern ein unverbrüchliches Recht. Kritik an politisch Verantwortlichen ist keine Majestätsbeleidigung, sondern legal. Nur in Autokratien und Diktaturen wird Widerspruch kriminalisiert.

CDU/CSU haben aus der Opposition heraus ihre Kleine Anfrage gestellt. Jetzt tragen sie Regierungsverantwortung. Die für das Bundesprogramm »Demokratie leben!« zuständige Bundesministerin Karin Prien hat am 29. August der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag in einem Brief grundlegende Änderungen angekündigt. Wörtlich: “Wir bilden die gesamte Bandbreite aktueller demokratiefeindlicher Phänomene, insbesondere politischen Extremismus, Antisemitismus und islamistischen Extremismus, besser im Programm ab und schließen dazu auch neue Partnerschaften vor Ort. Wir erschließen die Arbeits-, Wirtschafts- und Unternehmenswelt als Aktionsfelder des Programms … Wir stärken die Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden und der wissenschaftlichen Extremismusforschung und berücksichtigen deren Erkenntnisse in der Programmsteuerung besser … In einem ersten Schritt – nach wochenlanger Arbeit und mit dem Bundesministerium des Innern abgesprochen – wurde bereits eine breit angelegte Verfassungsschutzprüfung im sogenannten ‘Haber-Verfahren’ eingeleitet.” Am Ende des Schreibens betont die Bundesministerin: “Was gut läuft, bleibt und wird gefördert. Was nicht gut läuft, wird gestrichen und nicht mehr gefördert.”

Ihr Staatssekretär Ingo Behnel hat am 21. Oktober in einem Informationsschreiben an die Zuwendungsempfänger darauf verwiesen, dass ab 2027 eine neue Förderrichtlinie gelten werde. “Demokratie leben!” solle demnach “vor Ort gestärkt werden und wirken, wo Menschen (in Regelstrukturen) zusammenkommen. Dazu werden wir das Programm auch für die Arbeits- und Unternehmenswelt öffnen.” Weiter soll die Extremismusprävention in der digitalen Welt deutlich ausgebaut werden. Mit einer die “Verhältnismäßigkeit wahrenden Überprüfungspraxis” werde man “sicherstellen, dass der Schutz und die Einhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Ziel und Verpflichtung aller sind, die in ‘Demokratie leben!’ mitwirken” sowie “Zielerreichung und Wirkung” der geförderten Projekte evaluieren. Dazu würden “neue Erkenntnisse der Wissenschaft berücksichtigt”.

Hiermit und mit perspektivisch weniger Fördermitteln bei gleichzeitiger Ausweitung der Zahl der Projektträger verfügt das Bundesministerium über Steuerungsmöglichkeiten, die zu Veränderungen führen dürften. Ob und in welchem Umfang  – und mit welchen Folgen – diese die politische Bildung womöglich verändern, lässt sich derzeit schwer einschätzen. Die Schreiben von Prien und Behnel sind um Differenzierung und um Absicherung dieser Arbeit bemüht. Die Träger politischer Bildung konnten bisher darauf vertrauen, auch in CDU und CSU Partner zu haben, die darum wissen, wie wichtig sie für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die demokratische Kultur sind. Dieses Vertrauen hat zuletzt Risse bekommen. Man darf gespannt sein, wie der unionsinterne Meinungsprozess weitergeht.

Udo Hahn ist Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Akademien in Deutschland e. V. (EAD) und leitet die Evangelische Akademie Tutzing.

 

Hinweis: 
Der Beitrag ist in der Zeitung des Deutschen Kulturrates “Politik & Kultur” (Dezember/Januar 2025/26, S. 4) erschienen und online hier abrufbar.

Foto: Haist / eat archiv

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