Erinnerung an Alfred Grosser

Er prägte das Deutschlandbild vieler junger Französinnen und Franzosen und stand in herausragender Weise für die Verständigung Deutschlands und Frankreichs nach dem Zweiten Weltkrieg: der am 7. Februar verstorbene Publizist und Politikwissenschaftler Alfred Grosser. In der Evangelischen Akademie Tutzing bleibt seine Festrede zum Jahresempfang 2005 in lebhafter Erinnerung.

“Das Verständnis für die Leiden der anderen muss die Grundlage eines neuen Europas werden”, sagte Alfred Grosser, einer der größten französischen Intellektuellen der Nachkriegszeit am 25. Januar 2005 im Musiksaal der Evangelischen Akademie Tutzing. Grosser war Festredner beim Jahresempfang der Akademie. Überschrieben war seine Rede mit der Frage: “Auf dem Weg zu einer europäischen Leitkultur?”

Grosser selbst hatte seine Berufung 30 Jahre zuvor – anlässlich der Verleihung des Friedenspreises in Frankfurt 1975 – als “eine Art aufklärerische Vermittlungsarbeit” beschrieben. So war auch seine Festrede in Tutzing eine präzise Analyse verschiedener Perspektiven auf das Thema “Leitkultur” und den Umgang mit ihr.

Grosser war Vermittler, genauer Beobachter, kritischer Geist und Analyst der deutschen und europäischen Geschichte. 1925 kam er in Frankfurt am Main zur Welt, als Sohn jüdischer Eltern. 1933 floh die Familie nach Frankreich. Nach dem Krieg studierte Alfred Grosser Politik und Germanistik in Aix-en-Provence und Paris. Später hielt er über mehrere Jahrzehnte einen Lehrstuhl an der renommierten Elite-Hochschule “Sciences Po” in Paris  (eigentlich “Institut d’études politiques de Paris” oder auch “IEP de Paris”). Ab 1965 trat er als Publizist in zahlreichen Zeitungen und Fernsehanstalten in Erscheinung. Für die Zeitungen “La Croix” und “Ouest-France” schrieb er politische Kolumnen, dem deutschen Fernsehpublikum wurde er durch den “Internationalen Frühschoppen” im WDR bekannt. Er gilt als einer der geistigen Wegbereiter des Elysée-Vertrages, des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags von 1963.

Mehrfach wurde Alfred Grosser ausgezeichnet: zum Beispiel mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband oder dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Er war bekannt für seine scharfen, intellektuellen Analysen und auch für seine Fähigkeit, Streit nicht aus dem Wege zu gehen. Seine Themen: die Beziehung zwischen Deutschland und Frankreich, der Nahost-Konflikt, Israel und seine Siedlungspolitik, die französische Jugend, das Leid in der Gesellschaft.

Fast hätte dieser Jahrhundertmensch noch die 100 geschafft. Alfred Grosser starb am 7. Februar, kurz nach seinem 99. Geburtstag, in Paris.

Seine Festrede zum Jahresempfang 2005 in der Evangelischen Akademie Tutzing können Sie hier nachlesen.

Dorothea Grass

Bild: Alfred Grosser in Tutzing bei Jahresempfang 2005 (Foto: eat archiv)

Im voll besetzten Musiksaal von Schloss Tutzing: Alfred Grosser 2005 neben Herzog Franz von Bayern (links) und Karin Greiner (rechts). (Foto: eat archiv)

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