Der Tutzinger Medien-Dialog 2016

Der Tutzinger Mediendialog war wieder aktuell: Nach dem Hackerangriff auf die Telekom und dem Treiben der sogenannten „social bots“ im US-Wahlkampf stehen Fragen nach Datenschutz und –sicherheit im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses.

Die Digitalisierung hat inzwischen alle Lebensbereiche erfasst. Droht somit der Verlust der Privatsphäre, der Würde und der Freiheit des Menschen? Denn die schöne neue digitale Welt hat ihren Preis, den wir mit der täglichen Weitergabe persönlicher Daten bezahlen. Gefahren gehen dabei von intelligenten Algorithmen aus. Sie analysieren, prognostizieren und berechnen uns. Big Data und Data Mining heißen die Geschäftsmodelle der Zukunft.

Datensammelwut der Maschinen

Yvonne Hofstetter ist Big Data-Unternehmerin und Expertin für künstliche Intelligenz. Aber sie steht auf der Seite der Kritiker. Sie warnt vor der Datensammelwut der Maschinen. Die dafür nötigen Messgeräte trägt heutzutage jeder mit sich herum: Smartphones. Dazu kommen jetzt Sensoren in Autos und Haushaltsgeräten, die ebenfalls große Mengen an Informationen sammeln, verarbeiten und weitergeben. Und diese Daten sind der Rohstoff und die Währung des 21. Jahrhunderts. Big Data ist das Rohöl der Zukunft.

Hofstetter kennt die Macht der Datensammler. Sie will Big Data in gesetzliche Schranken verweisen. Deshalb hat sie im Dezember 2016 als Mit-Initiatorin die „Charta der Digitalen Grundrechte der Europäischen Union“ als Anstoß für eine öffentliche Debatte veröffentlicht. Sie will den multinationalen Daten-Konzernen enge Grenzen setzen, was sie mit unseren Daten machen können.

Zeugnisverweigerungsrecht ausgehöhlt

Big Data bringt auch für Journalisten neue Herausforderungen, zum Beispiel beim Informantenschutz. Daniel Moßbrucker ist Referent für Internetfreiheit bei „Reporter ohne Grenzen“. Er hat 2015 mit einer Geschichte über die Unmengen von Datenspuren, die er im Zuge einer Recherche produziert hat, für Aufsehen gesorgt. Er beklagt, dass der Informantenschutz im digitalen Zeitalter nicht mehr gewährleistet werden kann. So wird das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten ausgehöhlt. Datenverschlüsselung oder – wenn möglich – der Verzicht auf digitale Recherche müsse Standard im investigativen Journalismus werden.

Die Chancen von Big Data für Medienunternehmen zeigten Martin Virtel und Peter Adolphs auf. Virtel ist Entwicklungsredakteur bei der Deutschen Presseagentur (dpa), Adolphs arbeitet für die Berliner Digitalagentur Neofonie. Sie haben mit Projekt „News Stream“ auf Big Data basierende Anwendungen entwickelt, die Journalisten in Zukunft die Recherche erleichtern sollen.

Computer werten Datenströme aus, um rechtzeitig strittige Themen zu erkennen. Algorithmen machen Journalisten auf Gerüchte aufmerksam. Virtel sagte: „Früher war es undenkbar, dass die dpa etwas aufschreibt, das nicht stimmt – heute ist das ein zusätzlicher Service der Agentur. In einem neuen Format stehen nicht nur gesicherte Informationen („Was wir wissen“). Auch Gerüchte aus sozialen Netzwerken kommen in den Text, deutlich deklariert als „Was wir nicht wissen“.

Intelligente Infrastrukturen

Klaus Mainzer ist Informatiker und Wissenschaftsphilosoph. Der inzwischen emeritierte Professor an der TU München analysierte auf der Tagung die „intelligenten Infrastrukturen“, die unser Leben zunehmend bestimmen: selbstfahrende Autos werden zu mobilen Endgeräten und Big Data-Zentren. Denn für eine unfallfreie Fahrt ist die permanente Sammlung, Analyse und Umsetzung von sehr großen Datenmengen nötig. Die Frage bleibt: Wer ist am Ende verantwortlich, wenn die Technik versagt? Und wer trifft ethische Entscheidungen bei einer drohenden Kollision mit Kindern oder Rentnern? Mainzer ist überzeugt, dass die Städte der Zukunft (Mega Cities) nur noch mit Big Data steuerbar sind. Die Risiken sind unübersehbar: Wer greift auf die Daten zu? Wie werden sie vor Missbrauch geschützt? Und wie verletzlich und störanfällig sind sie bei Hackerangriffen? Mainzer plädierte für eine stärkere interdisziplinäre Kooperation zwischen Human- und Technikwissenschaften: „Wir brauchen eine ethische ‚Road map‘ für das autonome Fahren.“ Die digitale Würde des Menschen sei zu beachten. Die intelligenten Infrastrukturen dürften nicht aus dem Ruder laufen.

Auch Markus Morgenroth hat die Seiten gewechselt. Der Informatiker hat in den USA und Deutschland für Big-Data-Firmen gearbeitet. 2013 wurde er vom Saulus zum Paulus und wandelte sich zum scharfen Kritiker seiner Branche. Er zeigte auf, wo überall Datensammler und –händler ihr legales Geschäft betreiben. Viele Apps auf dem Smartphone geben Daten ohne Kenntnis ihrer Besitzer weiter, Gesundheitsarmbänder liefern relevante Daten an Krankenkassen und Ärzte. Apotheken reichen anonymisierte Patientendaten an Pharmakonzerne weiter. Dabei explodiert die globale Datenmenge: Bis zum Jahr 2003 wurden von der Menschheit weltweit fünf Milliarden Gigabyte produziert. Dieselbe Menge entstand 2011 in 48 Stunden, heute in etwa drei Stunden.

Grundrechte bewahren

Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht Freiheit und Selbstbestimmung durch Big Data bedroht. Durch die globale Vernetzung würde das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Und wenn Datenmissbrauch stattfindet, nähmen Demokratie und freie Meinungsbildung Schaden. Deswegen unterstützt sie auch die schon oben genannte Digitalcharta: „Ich freue mich, dass es diesen Anstoß auf europäischer Ebene gibt. Wir brauchen eine öffentliche Debatte über diese Themen.“

Die Informatikerin Constanze Kurz ist Sprecherin des Chaos-Computer-Clubs und sagt: „Die Unsicherheit bei der Informationstechnologie ist kein Naturgesetz. Wir können und müssen sie politisch gestalten.“ Und der frühere Bundesbeauftragte für den Datenschutz Peter Schaar meinte: „Datenschutz ist kein Selbstzweck. Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Grundrechte unter veränderten technologischen Bedingungen bewahrt werden.“

Michael Schröder

Einen Bericht von Max Muth zu dem Thema “Guter Krake, böser Krake?” auf BR 24 hören Sie -> hier.
Einen Bericht von Max Muth zu dem Thema “Bürgerschutz in digitalen Zeiten. Die unheimliche Macht der Datenkraken” auf B5 aktuell – Das Medienmagazin hören Sie -> hier.

Yvonne Hofstetter warnt vor der Datensammelwut der Maschinen.

(Foto: Julia Haas)

Prof. Dr. Klaus Mainzer: „Die intelligenten Infrastrukturen dürfen nicht aus dem Ruder laufen.“

(Foto: Julia Haas)

Markus Morgenroth zeigte, wie Datensammler und –händler ihr legales Geschäft betreiben.

(Foto: Julia Haas)

Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar: „Grundrechte müssen unter veränderten technologischen Bedingungen bewahrt werden.“

(Foto: Julia Haas)

Constanze Kurz (links) und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wollen Big Data politisch gestalten und einzäunen.

(Foto: Julia Haas)

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