Impulse und Hilfe zum Thema Demenz
In den vergangenen Monaten und Jahren haben wir uns verstärkt mit dem Thema Demenz auseinandergesetzt. Der Synodale Unterausschuss für Ethik in Medizin und Biotechnik hat zusammen mit der Landeskirche und der Diakonie dazu eine Broschüre veröffentlicht, an der auch Studienleiter Hendrik Meyer-Magister mitgearbeitet hat.
In Deutschland leben derzeit rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Experten zufolge könnte ihre Zahl bis 2050 auf bis zu 2,7 Millionen steigen. Mit der neuen Broschüre “Menschen mit Demenz und Kirche” und der begleitenden Website www.menschen-mit-demenz-und-kirche.de setzen die Evangelisch-Lutherische Kirche in Bayern (ELKB) und die Diakonie Bayern ein Zeichen für eine demenzsensible Kirche und Gesellschaft.
Dr. Hendrik Meyer-Magister, stellvertretender Akademiedirektor und Studienleiter für Gesundheit, Künstliche Intelligenz und Spiritual Care an der Evangelischen Akademie Tutzing, hat an der Broschüre mitgearbeitet. In diesem Interview erläutert er, worum es geht.
Herr Meyer-Magister, Sie haben für die Evangelische Akademie Tutzing in den vergangenen Studienjahren etliche Veranstaltungen zum Thema Demenz angeboten. Worum ging es Ihnen dabei?
Als Akademie haben wir den Auftrag, gesellschaftliche Herausforderungen zu thematisieren und ein Forum zu bieten, diese Herausforderungen lösungsorientiert zu diskutieren. Angesichts der demographischen Situation, des allgemeinen Fachkräftemangels und der angespannten Finanzierung ist die Frage der Pflege im Alter eine solche Herausforderung. Menschen werden bei guter körperlicher Gesundheit immer älter, bleiben körperlich mobil, bauen aber geistig häufig ab. Die Zahl der Demenzerkrankten wird weiter zunehmen! Aber gerade Menschen mit demenziellen Veränderungen brauchen häufig intensive Pflege und – mindestens genauso wichtig – intensive persönliche Zuwendung. “Care Arbeit” ist mehr als “Versorgung”. Das gilt auch für die An- und Zugehörigen, die sowohl den Alltag und die Pflege organisieren müssen, als auch auf einem langen Weg des Abschieds sind von der Person, die sie einmal kannten und die sich nun verändert. Wichtig war mir auch immer zu thematisieren: Wo ist unsere Rolle als Kirche in einem Versorgungsnetzwerk, in der Seelsorge, in spezialisierten diakonischen Angeboten aber auch in der Gemeinde?
Sie waren neben anderen Experten auch Mitglied des Synodalen Unterausschuss für Ethik in Medizin und Biotechnik – in Zusammenarbeit mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und der Diakonie Bayern. Was waren die Ziele des Ausschusses?
Die Kirche beschäftigt das Thema Demenz schon seit langem, viele Projekte in Kirche und Diakonie leisten hier tolle Arbeit! Die letzte “Handreichung der Evang.-Luth. Kirche in Bayern zur Begleitung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen.” ist 2006 unter dem Titel “Nähme ich Flügel der Morgenröte” erschienen, 2009 in zweiter Auflage. Wir wollten noch einmal neu ansetzen, auch in einer kirchlichen Situation, in der wir absehbar weniger und kleiner werden. Unsere Frage war: Was erwarten Menschen von ihrer Kirche, wenn sich bei ihnen selbst oder bei An- und Zugehörigen eine Demenz abzeichnet? Wir wollten einen niedrigschwelligen Wegweiser in die Sorgenetzwerke anbieten, in dem Bewusstsein, als Kirche nicht alles selbst erklären, anbieten und abdecken zu müssen und zu können. Daher haben wir die Diakonie prominent eingebunden. An wen kann ich mich wenden? Wo finde ich spezialisierte Angebote? An wen kann ich als Haupt- oder Ehrenamtliche:r weiterverweisen? Denn es gibt viel Unterstützung kirchlicher, diakonischer aber auch nicht-kirchlicher Stellen. Die Herausforderung ist, das richtige Angebot zur richtigen Zeit zu finden. Noch mal anders gesagt: Als Kirche müssen wir nicht noch einmal allen erklären, was eine Demenz ist und das zwischen bei Buchdeckel drucken. Das können andere, etwa die Alzheimer-Gesellschaft oder medizinische Fachgesellschaften, besser und es auch aktueller halten. Aber an gute Informationen und Angebote zu gelangen, ist heute mehr denn je eine Herausforderung.
Nun ist Ende Oktober die Broschüre “Menschen mit Demenz und Kirche” erschienen und die dazu gehörige Website “menschen-mit-demenz-und-kirche.de” online gegangen. An welche Zielgruppe wenden sich die beiden Veröffentlichungen und was lässt sich hier finden?
Wir richten uns damit an Gemeinden, Einrichtungen, Angehörige und Interessierte, die Menschen mit Demenz begleiten. Grundlage ist die Überzeugung, dass jeder Mensch – auch mit Demenz – ein Geschöpf Gottes ist, das gesehen und wertgeschätzt gehört.
Die Broschüre wird begleitet und ergänzt von einer Website, die zukünftig immer wieder aktualisiert werden soll. Sie verweist auf Informationen, Hilfsangebote, Filme, Bücher, Kunst etc. aber eben auch kirchliche Angebote, die sich mit Demenz befassen. Nicht zuletzt war uns wichtig, den Gemeinden, den Haupt- und Ehrenamtlichen etwas an die Hand zu geben. Demenzsensible oder auch “Vergiss-mein-nicht”-Gottesdienste sind wichtige und gut etablierte Bausteine einer demenzsensiblen Gemeinde. Aber es gibt auch andere Dinge, die man im Bereich Musik, in der Seelsorge, in Gruppen usw. häufig schon mit wenig Aufwand umsetzen kann. Denn je mehr Menschen zukünftig mit einer Demenz leben werden, desto mehr wird das Thema auch in den Kirchengemeinden vorkommen.
Ein besonderer Akzent liegt auf dem Thema Demenz und Kunst. Können Sie das erläutern?
Kunst kann Gemeinschaft und Teilhabe fördern, das wird in der Zusammenarbeit mit Demenzerkrankten immer wieder deutlich. Die Illustrationen der Broschüre entstanden in einem Malprojekt mit Menschen mit und ohne Demenz im Evangelischen Pflegezentrum Sendling in München. Inspiration lieferte Psalm 23: “Der Herr ist mein Hirte. Mir wird nichts mangeln.” Das Projekt hat Dr. Oliver Schultz mit der dortigen Seelsorgerin Barbara Kittelberger durchgeführt. Schultz ist Bildender Künstler und Germanist und arbeitet unter anderem an der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Er gibt zudem die Zeitschrift “demenz: das Magazin” heraus. Von seiner künstlerischen Arbeit mit demenziell veränderten Menschen hat Schultz auf der Tagung “Zukunft Demenz” im Mai 2024 in Tutzing in beeindruckender Weise berichtet. So sind wir in Kontakt gekommen. Uns ging es in der Broschüre auch darum, eine andere Bildsprache zu entwickeln und Menschen mit Demenz selbst ihre Sicht auf die Welt und die überlieferten Texte in Bildern ausdrücken zu lassen. Die Bilder, die mit den Menschen in Sendling entstanden sind, beeindrucken mich jedes Mal, wenn ich die Broschüre zur Hand nehme.
Info:
Die Broschüre “Menschen mit Demenz und Kirche” kann kostenfrei beim Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern bestellt werden: demenz@elkb.de. Auf der Website www.menschen-mit-demenz-und-kirche.de finden sich ergänzend Materialien, Veranstaltungshinweise und Praxisbeispiele zum Thema Demenz.
Weitere Informationen:
- “Seefunken-Podcast” vom August 2024 mit Hendrik Meyer-Magister und Barbara Kittelberger zum Thema Demenz hier abrufen
- “Mit Demenz leben lernen” – Gastbeitrag von Prof. Dr. habil. Thomas Klie im “Rotunde”-Blog der Akademie hier lesen
- “Demenz-App, Ethik, Herz und geschlossene Türen” – Bericht von Felix Franke, Seniorenbeauftrager aus Kaufbeuren über den Fachtag “Nicht vergessen!” am 19. April 2024 in Kaufbeuren hier lesen



