Bonhoeffer-Gedenktagung in Flossenbürg
von Pressestelle × am 28. April 202580 Jahre nach der Ermordung von Dietrich Bonhoeffer im KZ Flossenbürg gingen wir in einer Tagung vom 7. – 8. April dem geistigen und spirituellen Erbe des evangelischen Theologen nach – sowie dem Missbrauch und der Aneignung seines Widerstands. Die Veranstaltung war überschrieben mit der Frage “Wem gehört Bonhoeffer?”. Eine Rückschau in Bildern.
Hier können Sie den genauen Ablauf sowie die Referierenden der Tagung nachlesen.
Aufmacherbild: “Dietrich Bonhoeffer lesen in den Geteilten Staaten von Amerika”, Vortrag von PhD Lori Brandt Hale (Bildnachweis für alle Bilder: Haist / Evangelische Akademie Tutzing)

Akademiedirektor Udo Hahn wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass die Tagung zwar Dietrich Bonhoeffer ehrt, aber zugleich all jener gedenkt, die mit ihm am 9. April 1945 ermordet wurden – sowie der vielen, die in Flossenbürg interniert waren, gelitten haben und gestorben sind.

Die Tagung fand in Kooperation mit der Internationalen Bonhoeffer-Gesellschaft, der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg und der Arbeitsgemeinschaft für Evangelische Erwachsenenbildung in Bayern (AEEB) statt – im Bild Dekan Thomas Guba, Vorsitzender des Aufsichtsrats der AEEB.

Von links nach rechts: Prof. Dr. Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, Prof. Dr. Florian Höhne, 1. Vorsitzender der Internationale Bonhoeffer-Gesellschaft mit seiner Stellvertreterin, PD Dr. Nadine Hamilton, der bayerische Innenminister Joachim Herrmann sowie Akademiedirektor Udo Hahn.

“Dass der Glaube eine Kraft ist, sich in der Gesellschaft zu engagieren, dass kann man bei Bonhoeffer studieren”, sagte Akademiedirektor Udo Hahn in seiner Begrüßung – und freute sich, dass so viele Nachfahren der am 9. April Ermordeten an der Tagung teilnahmen.

“Dietrich Bonhoeffer steht für Selbstlosigkeit, Wahrheitsliebe und Rechtschaffenheit. Seine Gedanken und Taten werden noch vielen weiteren Generationen Mut und Hoffnung geben, für die Wahrheit, für das Gute und für unseren christlichen Glauben einzustehen.”
Mit diesen Worten beschrieb Bayerns Innenminister Joachim Herrmann bei der Tagung zum 80. Jahrestag der Ermordung Dietrich Bonhoeffers in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg das Vermächtnis des evangelischen Theologen. Bei der zweitägigen Veranstaltung wurde den Opfern des Nationalsozialismus gedacht und über die Herausforderungen der heutigen Zeit diskutiert. “In zwei Wochen jährt sich die Befreiung des Konzentrationslagers Flossenbürg durch die US-Army zum 80. Mal. Auch heute noch erfüllt uns dieser Ort des Grauens mit tiefer Bestürzung und Scham. Das Gedenken an die Opfer ist und bleibt für uns Auftrag und Verpflichtung. Wir halten die Erinnerung wach, unsere Erinnerungshaltung ist wichtig”, bekräftigte Herrmann.
(aus der PM des Staatsministeriums)

Das Bonhoeffer-Gedenken in Deutschland – Zwischen Spiritualität, Sozialismus und wissenschaftlicher Forschung – darüber sprachen Dr. Nadine Hamilton …

… und Prof. Dr. Florian Höhne.

Prof. Dr. Peter Steinbach, Wissenschaftlicher Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin
Aus seinem Vortrag:
“In der Haft entdeckte Bonhoeffer etwas ganz Neues an sich: Eine unendliche Kraft, die aus dem so intensiv durchdachten erlebten Zusammenhang von ‘Widerstand und Ergebung’ erwuchs. Die Haftzeit schreckte ihn deshalb nicht, sondern weitete seinen Blick und verbreiterte seine Empfindungen. Deutlich wird dies an einem Bild aus der Haftanstalt Tegel. Bonhoeffer steht in Tegel im Gefängnis mit einem italienischen und französischen Gefangenen, er in der Mitte, ganz bestimmend. Er trägt Anzug und Krawatte und präsentiert sich wie ein Herr. Er bestimmt das Bild. Der Wärter steht daneben und nimmt Haltung ein. Die Haft in Tegel wurde zu seiner Bestimmung, zum Beweis, dass keineswegs nur Widerstand aus dem Zentrum der Macht heraus, sondern sogar im Gefängnis geleistet werden konnte. Denn Bonhoeffer bewährte sich in der extremen Vereinzelung und Vereinsamung, er blieb mit sich im Einklang. Widerstand als Ergebung – dies blieb bestimmend und macht Bonhoeffer zum Exempel individueller Standhaftigkeit im 20. Jahrhundert, dem Jahrhundert der Diktaturen.
Die Fragen, die er stellte, gelten weiterhin: ‘Wer hält stand?’ Er lebte sie und beantwortete sie exemplarisch auf seine Weise. Auch fragte er, welche Menschen nach dem Untergang des NS-Staates gebraucht wurden. Seine Antwort war schlicht und klar: ‘Nicht Genies, nicht Zyniker, nicht Menschenverächter, nicht raffinierte Taktiker, sondern schlichte, einfach, gerade Menschen werden wir brauchen.’
Bonhoeffers Lebenswege rücken ihn mitten in seine Zeit. Er unterscheidet sich von den meisten seiner Zeitgenossen, aber nicht, weil wir ihn herausheben, sondern weil er sich auf die Herausforderungen seiner Zeit einließ, gleichsam ‘mitten im Leben’ und damit in Verantwortung und auch Schuld stand. Deshalb ist er für uns so unverzichtbar, kommt es doch immer darauf an, Distanzierung von Zeitströmungen mit dem Engagement für Mitmenschlichkeit zu verbinden – in der Einsamkeit der christlichen Existenz, in der Distanzierung zu Machthabern, die Folgebereitschaft verlangen und deshalb jene verderbliche Fraglosigkeit wecken wollen, die erklärt, weshalb es so schwer war, hinzuschauen, sich zu empören und zu handeln.”

Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Landesbischof i.R. und Vorsitzender des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK):
“Welch zentrale Bedeutung Bonhoeffer für die ökumenische Bewegung hatte, aber auch, wie wichtig die Ökumene für sein eigenes Denken war, kommt in der bemerkenswerten Tatsache zum Ausdruck, dass die erste Veröffentlichung von Texten Bonhoeffers nach seinem Tod, die heute zu den bekanntesten gehören und zentrale Inhalte seines Denkens wiedergeben, aus der Zentrale des Vorläufers des Weltkirchenrats in Genf kam. Unter dem Titel ‘Das Zeugnis eines Boten. Zum Gedächtnis von Dietrich Bonhoeffer’ erschien dort schon 1945, wenige Monate nach seinem Tod ein 60 Seiten starkes Heft mit einer Einleitung, einem Aufsatz von Willem Visser’t Hooft zu seinen Begegnungen mit Bonhoeffer und den Texten Bonhoeffers selbst, darunter der Traktat ‘Nach zehn Jahren’, Passagen aus der ‘Nachfolge’, Gedichte wie ‘Christen und Heiden’ und ‘Wer bin ich’ sowie seine Gedanken zur Diesseitigkeit des Christentums.
In der mit ‘Ökumenischer Rat der Kirchen’ unterzeichneten Einleitung heißt es: ‘In den letzten Jahren vor dem Krieg war Bonhoeffer stark beteiligt an der ökumenischen Bewegung – erst als Glied und Sekretär für Deutschland der ökumenischen Jugendkommission, später auch als Mitglied des ökumenischen Rats für praktisches Christentum. In diesen Jahren hat er auch an manchen ökumenischen Tagungen teilgenommen und sich auch prinzipiell mit den ökumenischen Problemen beschäftigt. Er war der eigentliche Dolmetscher des ökumenischen Anliegens der Bekennenden Kirche in der Ökumene.’ Es wird auch erläutert, warum der ÖRK Bonhoeffer diese Veröffentlichung widmet: ‘die Zeugnisse und Berichte, die wir hier der Öffentlichkeit übergeben, wollen Dietrich Bonhoeffer noch einmal zu Wort kommen lassen. Er selbst hat nie seine eigene Ehre, sondern stets nur die seines Herrn gesucht. Dietrich Bonhoeffer, der heimgegangen ist zu seines Herrn Freude, ruft uns in die Nachfolge Jesu Christi.’
Über seine erste Begegnung mit Dietrich Bonhoeffer im Frühjahr 1939 schreibt Visser’t Hooft Folgendes: ‘Es war im Bahnhof Paddington in London. Wir hatten viel voneinander gehört, aber es war nun doch eine Überraschung, dass wir so schnell durch die Zone der ersten Fühlungnahme hindurch in die tieferen Zonen des wirklichen Gesprächs vorstoßen konnten, ja, dass er mich bald wie einen alten Freund behandelte. Es war bei ihm zu spüren, dass er im Kampf der letzten Jahre eine Freiheit gefunden hatte, die es im erlaubte, direkt auf die Menschen loszugehen.'”

Die südafrikanische Theologin Dr. Nadia Marais ging der Frage nach, welchen Einfluss Bonhoeffers Denken auf den Widerstand gegen das Apartheid-Regime hatte.

Der Vortrag von Prof. Dr. Christophe Chalamet, Professor für Systematische Theologie an der Universität Genf, war mit den Worten “Um unserer gemeinsamen Menschlichkeit willen” überschrieben.

Pfr. Dr. Pascal Bataringaya, Präsident der Presbyterianischen Kirche von Ruanda, spach über “Dietrich Bonhoeffers theologische und ethische Perspektiven auf Versöhnung und Frieden: Die kontextuelle Relevanz für Ruanda nach dem Genozid”

“Dietrich Bonhoeffer lesen in den Geteilten Staaten von Amerika” – mit Prof. Lori Brandt Hale, der Vorsitzenden der Internationalen Bonhoeffer Gesellschaft.

“Wagnis Frieden” – Bonhoeffers Pazifismus als Inspiration und Herausforderung war das Thema von Arnd Henze, Journalist und Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)

Während der Führung durch die Gedenkstätte: Übersichtskarte über Lager und Konzentrationslager während des Dritten Reichs.

Prof. Dr. Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

Die Erinnerung lebendig halten – farbige Treppenstufen auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.