Wärst Du doch der alte Besen! Immer neue Güsse bringt er schnell herein!
Der Zauberlehrling
Medizinische „Datenpools“ – das war einmal. Sie sind längst zu gigantischen Datenseen angeschwollen. Und immer mehr Datenströme fließen zusammen. Biobanken halten eine Flut an Proben und Informationen von Millionen von Menschen vor – bis hin zu ihren genetischen Codes. Weltweit vernetzt durchforsten Algorithmen die Datenbanken systematisch nach Zusammenhängen, die dem ärztlichen Auge verborgen bleiben.
So lassen sich etwa Fälle seltener Erkrankungen schneller diagnostizieren und besser behandeln. Denn wo behandelnde Ärztinnen und Ärzte im Einzelfall im Trüben fischen, findet der Algorithmus leicht einen ähnlichen seltenen Fisch im großen Teich. Mehr noch: aus dem sequenzierten Genom einer Person lassen sich Krankheitsrisiken herausfiltern, lange bevor Symptome auftauchen. Ist das Krebsrisiko erst einmal erkannt, muss der Tumor gar nicht erst wachsen, bevor er behandelt werden kann. Die Medizin verspricht so präventiv, personalisierter, partizipativer und präziser zu werden. Big Data macht’s möglich.
Längst unterstützt KI das medizinische Tagesgeschäft – etwa bei der Auswertung von MRT-Bildern. Schon heute macht der Algorithmus weniger Fehler als sein menschliches Pendant. Er arbeitet rund um die Uhr und verlangt keinen Tariflohn. Den Patientinnen und Patienten hilft derweil Dr. Google bei der Selbstdiagnose nach Feierabend. Wer im Netz nachliest, geht mit einer Flut an Informationen und reichlich Gesprächsbedarf in die Sprechstunde.
Die Potenziale der digitalen Medizin sind riesig. Aber auch ihre Risiken liegen auf der Hand. So oder so redet der Algorithmus zukünftig mit im Behandlungszimmer. Das klassische Arzt-Patienten-Verhältnis erweitert sich zu einer Dreiecksbeziehung. Wer hat hier zukünftig das Sagen? Mit Goethe: Lassen sich die Geister der digitalen Medizin für Ärztinnen und Ärzte wie auch für Patientinnen und Patienten gleichermaßen dienstbar machen? Oder werden wir alle in Zukunft als autonome Individuen in der Datenflut untergehen? Und mit Blick auf unser digitalisiertes Medizinsystem japsend hervorstoßen: Wärst Du doch der alte Besen!
Prof. Dr. med. Andreas Mackensen
Direktor der Medizinischen Klinik 5 -Hämatologie & Internistische Onkologie am Universitätsklinikum Erlangen
Prof. Dr. theol. habil. Arne Manzeschke
Leiter der Fachstelle für Ethik und Anthropologie im Gesundheitswesen der ELKB, Professor für Anthropologie und Ethik für Gesundheitsberufe an der Evangelischen Hochschule Nürnberg
Dr. theol. Hendrik Meyer-Magister
Studienleiter für Gesundheit, Künstliche Intelligenz und Spiritual Care, Evangelische Akademie Tutzing