Südafrika – Land im Umbruch: Aktuelle Eindrücke einer Reise ans Kap

Nein, man muss keine prophetische Gabe beanspruchen, um Südafrika als ein „Land im Umbruch“ wahrzunehmen. Dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an einer Studienreise der Evangelischen Akademie Tutzing unter eben dieser Überschrift gerade zu dem Zeitpunkt ans Kap reisten, als das wohl bedeutendste Ereignis seit dem Ende der Apartheid geschah, erlebten alle als einen Wimpernschlag der Geschichte, den sie aus nächster Nähe beobachten konnten. Die Rede ist vom Rücktritt von Staatspräsident Jacob Zuma am 14. Februar. Dieser Schritt war schon vor geraumer Zeit erwartet worden. Dass er ausgerechnet jetzt erfolgen würde, grenzt schon fast an ein Wunder. Noch am Tag zuvor spielte Zuma den Unwissenden, den Unschuldigen, den Naiven – der die Chuzpe hatte, sich als Opfer zu stilisieren, der für die aktuelle Lage des Landes gar nicht verantwortlich sei und auch gar nichts dafür könne, dass Südafrika unter seiner Führung wirtschaftlich und sozial immer instabiler wurde.

An Zuma prallte über die Jahre alles ab, was andere Politiker schon viel früher zu Fall gebracht hätte. Zu nennen ist hier vor allem ein System von Vetternwirtschaft, das er installierte. Die Last, die er seinem Land aufbürdete, ist eine nie dagewesene Form von Korruption. Südafrikas Justiz ist in dieser andauernden Krise zum Garanten für Stabilität geworden – und hat mit der Verhaftung von Familienmitgliedern und Menschen befreundeter Familien Zeichen gesetzt und seine Grenzüberschreitungen markiert.

Dass Zumas politisches Ende absehbar war, zeichnete sich spätestens im Dezember 2017 ab, als Cyrill Ramaphosa zum Vorsitzenden des ANC gewählt worden war – mit knapper Mehrheit. Zumas Schicksal war damit besiegelt. Es schien unmöglich, dass er Staatspräsident bis zu den Wahlen 2019 würde bleiben können. Ramaphosas Ambition, Zuma das Präsidentenamt eher früher als später abjagen zu wollen, war allerdings mäßig ausgeprägt. Ohnehin ist es überraschend, dass Zuma im ANC so lange Rückhalt hatte – angesichts der immer länger werdenden Liste von gravierenden Vorwürfen. So waren es die Oppositionsparteien, die in immer neuen Anläufen Zumas Vergehen anprangerten.

Manchen Verantwortlichen im ANC dürfte dann endlich in den Sinn gekommen sein, dass die Partei Gefahr läuft, ihre Mehrheit zu verlieren. Tatsächlich schwindet der Rückhalt des ANC seit geraumer Zeit. Der ANC – das sind nach dem Ende der Apartheid nicht (mehr) automatisch die Guten. Das war die Partei nie, denn in ihr sammelten sich ganz unterschiedliche Interessen, Strömungen, Flügel. Da ist die kleine Gruppe jener, die – wie Nelson Mandela – zum Teil Jahrzehnte inhaftiert waren. Zu nennen sind jene, die den Protest im Land organisierten und immer wieder im Gefängnis landeten. Dazu gehören Personen, die aus dem Exil nach Südafrika zurückkehrten – manche davon in kommunistischen Ländern ausgebildet wurden. Der ANC ist also keineswegs eine homogene Gruppe. Nach wie vor aber ist die Verehrung für all jene groß, die – wie Mandela – das Schicksal langer Haft zu tragen hatten. Zu ihr gehört auch Jacob Zuma – und sein Nachfolger. Weite Teile des ANC waren inzwischen zu der Überzeugung gereift, dass Zuma der Partei auf Dauer schaden dürfte. Dem innerparteilichen Druck vermochte er nicht mehr standzuhalten.

Cyrill Ramaphosa ist das genaue Gegenbild von Jacob Zuma. Ein Sympathieträger – mit viel Humor ausgestattet, offen, geradezu leutselig. Er ist Jurist, war Gewerkschaftsführer – und er ist ein erfolgreicher Unternehmer. Nelson Mandela hatte sich ihn als seinen Nachfolger gewünscht. Ramaphosa scheint an Mandela anzuknüpfen. Das haben bereits seine ersten Reden gezeigt. Während Zuma die unterschiedlichen Ethnien gegeneinander aufbrachte – zuletzt noch in seiner Rücktrittsansprache –, redet Ramaphosa der Versöhnung das Wort. Die viel beschworene Regenbogen-Nation ist nämlich keine Ist Beschreibung. Vielmehr ist der Weg dorthin weit.

Eine vorsichtiger Ausblick: Mit Cyrill Ramaphosa dürfte der ANC seine Mehrheit stabilisieren können. Sein Politikstil und seine Projekte werden wohl den Oppositionsparteien hier und da den Wind aus den Segeln nehmen. Er bietet viel weniger Angriffsflächen. Sein Ziel, die Korruption zu bekämpfen, wird schwer zu erreichen sein, denn es handelt sich um ein strukturelles Problem. Die Wiederbelebung der Wirtschaft kann ihm dagegen leichter gelingen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob Ramaphosa nur ein Strohfeuer entfachte. Die Aufbruchstimmung im Land ist aktuell so stark wie seit dem Ende der Apartheid nicht mehr. Das lässt hoffen.

Udo Hahn

(Der Autor, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, besucht Südafrika seit 1993 regelmäßig. Seit 2011 ist die Akademie durch einen Partnerschaftsvertrag mit dem Institute für Theological & Interdisciplinary Research der Ecumenical Foundation of Southern Africa (EFSA) verbunden.)