Nachruf auf Thich Nhat Hanh

Er war weltweit bekannt als “Vater der Achtsamkeit” – nun ist der buddhistische Zen-Meister und Friedensaktivist Thích Nhất Hạnh im Alter von 95 Jahren gestorben. 1991 war Thich Nhat Hanh zu Gast in Tutzing – Jürgen Micksch, früherer Studienleiter und stellvertretender Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing, erinnert sich noch sehr gut an diese Begegnung.

 

Thich Nhat Hanh wurde im Westen bekannt als “Vater der Achtsamkeit”. Dabei verstand der vietnamesische Zen-Meister, der das bekannte Kloster „Plum Village“ in Frankreich gründete, die Tradition des Buddhismus immer auch sozial und politisch. Er betonte das “Interbeing – Intersein” aller Wesen. Der Mönch von damals war neben dem Dalai Lama Mitbegründer des Engagierten Buddhismus und wurde von Martin Luther King für den Friedensnobelpreis nominiert. In seinen letzten Lebensjahren wurde für Thich Nhat Hanh die Verbundenheit mit der Erde zentral. In seinen “Liebesbriefen an Mutter Erde” wird das genauso deutlich wie in Sitzmeditationen seiner Nonnen und Mönche auf Fridays-For-Future-Demonstrationen oder in Vorträgen auf Klimakonferenzen.

1991 war Thich Nhat Hanh Hanh einer Einladung von Jürgen Micksch nach Tutzing zur Tagung “Einheit in Vielfalt” gefolgt. Der Theologe und Soziologe sowie Initiator verschiedener sozialer und interreligiöser Einrichtungen war damals Studienleiter und stellvertretender Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing. Jürgen Micksch erinnert sich an diese Begegnung mit folgenden Worten:

“Der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh ging bei seinem Besuch in der Evangelischen Akademie sogleich in den Park. Er setzte sich ans Wasser und freute sich über den Ausblick, den See und die Berge. Diese Atmosphäre nahm er ganz tief in sich auf. Wir schwiegen und meditierten. Dann bat er mich, etwas zu singen. Ich sagte ihm, dass ich nicht singen kann – aber das ließ er nicht gelten. Schließlich überredete er mich, ein Lied zu singen. Und danach bat er auch die ihn begleitende Nonne um ein Lied. Als ich ihn daraufhin um ein Lied bat, da blieb er jedoch dabei, dass er nicht singen kann. Gemeinsam sprachen wir über die Akademie und die Tagung, die wir gemeinsam gestalten wollten.

Zu dem Wochenende luden wir genauso viele Buddhisten wie Christen ein. Wir wollten die Zeit mit buddhistischen und christlichen Traditionen und Ritualen gestalten. Neben Gesängen beider Religionen erlebten wir Gehmeditationen im Park, hörten Vorträge und sprachen darüber. Unvergessen ist mir die Rede von Thich Nhat Hanh zum Abendmahl. Er hatte dazu so tiefe Zugänge aus buddhistischer Sicht, dass ich das nicht für möglich hielt. Und er war so offen für das Miteinander von Christen und Buddhisten, wie ich mir das vorher nicht vorstellen konnte.

Zum Abschluss dieser Tage mit über hundert Teilnehmenden im Jahr 1991 vereinbarten wir eine gemeinsame Feier mit christlichen und buddhistische Ansprachen, Ritualen und Meditationen. Dazu gehörten auch freie Gebete, die für die christlichen Teilnehmenden vorgesehen waren, die das anfangs auch aufgriffen. Und dann folgten Formulierungen, die einen ganz anderen sprachlichen und geistigen Hintergrund hatten. Immer mehr Buddhisten formulierten freie Gebete und wir erlebten ein sehr berührendes spirituelles Miteinander.

Zum Abschluss der religiösen Feier schlug ich Thich Nhat Hanh einen Friedensgruß vor. Der Geist des erlebten Friedens wird dabei an Menschen weitergegeben, die einem nicht bekannt sind. Und da sagte er, dass wir es nicht beim Händeschütteln belassen sollten. Er befürwortete Umarmungen. Und als es zum Friedensgruß kam, da umarmte er mich in einer Intensität, dass mir der Atem wegblieb.”

An der Akademie war Thich Nhat Hanh auch im Jahr 2017 spürbar präsent, wenn auch nicht physisch. Es war seine Dharmalehrerin, Schwester Hai Nghiem, die aus seinem buddhistischen Zentrum in Frankreich angereist war. “Der Atem der Erde – Antworten auf den Klimawandel” hieß die Tagung, auf der verschiedene spirituelle und kulturelle Traditionen durch Vorträge, praktische Übungen und Rituale in den Austausch kamen. Schwester Hai Nghiem sprach zum Thema “Caring for our earth body: Wie wir jeden Aspekt des Lebens als spirituelle Praxis wahrnehme”. Der Vortrag selbst war eine Art geführte Meditation, die in eine gemeinsame Gehmeditation unter den großen Bäumen des Schlossparks überging. Genau wie von Thich Nhat Hanh täglich in seinen Klöstern praktiziert, war es die Verbindung von Lehre, die den Horizont weitet, und von konkreter Achtsamkeitspraxis, die in jedem Schritt und in jeder Alltagshandlung eine Möglichkeit zur Sammlung und zur Erdung bietet.

Thich Nhat Hanh strahlte eine große Bescheidenheit aus und zugleich einen starken Willen. Ihn prägten eine tiefe religiöse Spiritualität und ein Geist der Versöhnung und des Friedens. Am 22. Januar 2022 ist er in Vietnam mit 95 Jahren gestorben.

Jürgen Micksch, Katharina Hirschbrunn

Über die Autorin / den Autor:

Jürgen Micksch lud als stellvertretender Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing von 1984 bis 1993 Thich Nhat Hanh und mehrmals den Dalai Lama nach Tutzing ein. Gegenwärtig ist er Geschäftsführer des Abrahamischen Forums in Deutschland und Vorstand der Stiftung für die Internationalen Wochen gegen Rassismus mit dem Arbeitskreis “Religionen laden ein”, in dem neun Religionsgemeinschaften zusammenwirken.

Katharina Hirschbrunn ist Studienleiterin für Wirtschaft und Arbeitswelt, Nachhaltige Entwicklung, an der Evangelischen Akademie Tutzing. Im Rahmen eines Promotionsprojektes beschäftigte sie sich mit buddhistischen Perspektiven auf Ökonomie. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gesellschaftspolitik der Hochschule für Philosophie in München arbeitet sie in einem interkulturellen Projekt zum Weltgemeinwohl.

Bild: Der Zen-Meister Thich Nhat Hanh (Foto: Gemeinschaft für Achtsames Leben Bayern e.V.)

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