Licht vom unerschaffenen Lichte

In seinem Predigttext “Zum Sonntag” in der Ausgabe des Sonntagsblatts vom 30. Januar 2022, schreibt Pfarrer und Studienleiter Dr. Hendrik Meyer-Magister von der Sehnsucht nach Glanz im Grau des zweiten Pandemiewinters und schaut sich dazu die Bibelstelle 2. Mose 34,28-32 an.

2. Mose 34,28-32:
Und er war allda bei dem Herrn vierzig Tage und vierzig Nächte und aß kein Brot und trank kein Wasser. Und er schrieb auf die Tafeln die Worte des Bundes, die Zehn Worte.
Als nun Mose vom Berge Sinai herabstieg, hatte er die zwei Tafeln des Gesetzes in seiner Hand und wusste nicht, dass die Haut seines Angesichts glänzte, weil er mit Gott geredet hatte.
Als aber Aaron und alle Israeliten sahen, dass die Haut seines Angesichts glänzte, fürchteten sie sich, ihm zu nahen.
Da rief sie Mose, und sie wandten sich wieder zu ihm, Aaron und alle Obersten der Gemeinde, und er redete mit ihnen.
Danach nahten sich ihm auch alle Israeliten. Und er gebot ihnen alles, was der Herr mit ihm geredet hatte auf dem Berge Sinai.
Und als er dies alles mit ihnen geredet hatte, legte er eine Decke auf sein Angesicht.

Mose strahlt über das ganze Gesicht. In einer Wolke ist ihm Gott in seiner ganzen Herrlichkeit auf dem Sinai begegnet. Im Zwiegespräch hat er ihm etwas anvertraut: Weisungen für ein gelingendes Miteinander in Freiheit und Gemeinschaft für die Menschen, mit denen Mose seit Jahren durch die karge Wüste unterwegs ist. Mose strahlt. Ihm ist von Gott Gutes widerfahren.

Als er herabsteigt, strahlt er nicht bloß vor Glück. Er ist ganz durchdrungen von der Herrlichkeit Gottes. Er strahlt einen Glanz aus, der von ganz woanders zu kommen scheint: vom Berg, von oben, von Gott. Licht vom unerschaffenen Lichte: Faszinierend und etwas mulmig zugleich.

Glanz und Gloria fallen derzeit wahrlich nicht vom Himmel. Zwei Jahre Pandemie haben vieles in uns und unserem Miteinander erschüttert. Freiheiten mussten eingeschränkt werden, unsere Gemeinschaft wird auf eine harte Probe gestellt. Erfreulich ist dabei, wie schnell wir dem Virus wirksam begegnen konnten und wie viele Menschen die Pandemieeindämmung mittragen. Das lässt mich hoffen, dass wir diese wüste Zeit bald hinter uns lassen können. Ich möchte endlich Anderen wieder nahekommen können –­ ohne mulmiges Gefühl. Ich sehne mich danach, dass das strahlende Lachen im Gesicht meines Gegenübers nicht mehr bedeckt sein muss.

Ich sehne mich nach Glanz im Grau des zweiten Pandemiewinters – gerade jetzt, wo es noch dunkel ist, aber der weihnachtliche Lichterglanz mit Sternen und Lichterketten wieder im Keller eingemottet ist. Bisweilen erinnere ich mich da nur schwer, wann Gott mir zuletzt Gutes widerfahren ließ, wann mich sein Morgenglanz der Ewigkeit warm und weich auf den Wangen gekitzelt hat. Der Alltag überdeckt das so leicht: Wann habe ich eigentlich zuletzt von Ohr zu Ohr gestrahlt? Wann hat mein Gott mich durch und durch begeistert?

Und dann fallen mir doch Lichtblicke ein, die die letzten Wochen und Monate reich und hell gemacht haben. Ich denke noch einmal an die Gesichter der Kinder beim Open-Air-Familiengottesdienst an Heiligabend zurück. Ich habe selten Kinder so hingebungsvoll die Weihnachtsgeschichte spielen sehen wie in diesem Jahr, mit Leuchten in den Augen und großem Stolz, dieses Mal der Engel, die Maria oder der Esel zu sein.

Manchmal sehe ich Menschen bei etwas zu und es jagt mir einen wohligen Schauer über den Rücken. Mir steht ein Freund vor Augen, wie er alles um sich herum vergisst und hingebungsvoll einen Espresso mit Milchschaum aufgießt. Oder eine ältere Dame, die ganz versunken in ihrem Ohrensessel Masche für Masche eine Mütze für die Enkelin strickt.

Es gibt diese Momente, in denen plötzlich etwas aufblitzt, das von ganz woanders her zu kommen scheint: Licht vom unerschaffenen Lichte. Da ist jemand völlig begeistert von etwas. Da wird in dem, was er oder sie gerade tut, eine große Hingabe und Liebe offenbar. Da liegt ein himmlischer Glanz in den Augen.

Mose ist allein auf dem Berg. Er redet mit Gott. Er fastet – vielleicht vergisst er auch nur zu essen und zu trinken. Andächtig schreibt er auf, was Gott ihm sagt. Er ist ganz bei Gott und ganz bei sich. Er war “allda bei dem Herrn” heißt es ganz wunderbar im Bibeltext.

Egal was es ist: Theater spielen, Kaffee kochen oder fasten, stricken oder beten. Allein oder mit anderen. Es braucht Momente, in denen ich “allda” bin. Damit Gottes Herrlichkeit mich umfängt, damit Gott mich strahlen lässt.

Gott,
der du allda warst, bist und sein wirst,
vor dir komme ich zu mir.
Lass auch mich allda sein.
Schenke Besinnung in der Erschütterung.
Durchdringe mich mit deiner Herrlichkeit und
lass mich erstrahlen in Deinem Glanz.

 

Dr. Hendrik Meyer-Magister ist Pfarrer und Studienleiter für Gesundheit, Künstliche Intelligenz und Spiritual Care an der Evangelischen Akademie Tutzing.

Hinweis: Mit freundlicher Genehmigung des Sonntagsblatts. Dieser Artikel erschien in der Ausgabe vom 30. Januar 2022

Bild: Die Sonne glitzert auf dem Starnberger See: Am Ufer des Geländes der Evangelischen Akademie Tutzing. (Foto: dgr / eat archiv)