Hoffnung als Lebensprinzip – Akademiedirektor Udo Hahn spricht Gastkommentar „Zum Sonntag“ auf Bayern 2

„Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen.“ Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat nach eigener Aussage die an ihn gerichtete Frage „Wo ist Ihre große Vision?“ so beantwortet. Später gab er sich im Rückblick verhalten selbstkritisch: Es sei eine „pampige Antwort auf eine dusselige Frage“ gewesen. Ersteres stimmt. Doch so dusselig, wie Schmidt meinte, ist die Frage keineswegs.

Während Visionen im öffentlichen Ansehen nicht gerade hoch im Kurs stehen, erfreuen sich Visionäre durchaus großer Anerkennung. Zum Beispiel Galiei, da Vinci, Newton, Einstein. Oder aus der Gegenwart Apple-Gründer Steve Jobs, Starkoch Jamie Oliver und Tesla-Erfinder Elon Musk.

Andererseits: In vielen Bereichen fehlt gerade die zündende Idee. Große Herausforderungen verlangen große Antworten. Immer nur dem Pragmatismus das Wort reden und „auf Sicht“ steuern, lässt gar keine Phantasie entstehen, wie etwas anders und damit auch besser werden könnte.

Dass wir den weiterführenden Gedanken brauchen, dafür gab es in der Geschichte der Menschheit schon immer Anlässe. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Philosoph Ernst Bloch seinem zwischen 1938 und 1947 im US-amerikanischen Exil Hauptwerk den Titel „Das Prinzip Hoffnung“ gab. Eine Zukunft in Gerechtigkeit und Frieden – wer wünschte sich das nicht? Ein erreichbares Ziel? Wohl nur die eine oder andere Etappe. Aber immerhin. Manche konkrete Utopie wird am Ende doch wahr. Man denke nur an Martin Luther Kings berühmte Rede – I have a dream. Viele haben diesen Traum im Alltag gelebt – und so gesellschaftliche Veränderungen herbeigeführt.

„Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen“, sagt der Philosoph Bloch. Und damit hat er den Theologen Jürgen Moltmann inspiriert, 1964 seine „Theologie der Hoffnung“ zu schreiben. Sie bleibt im kirchlichen Raum einer der bemerkenswertesten Impulse, der auf seine Wiederentdeckung und Weiterführung wartet. Glaube und Liebe sind vielfach Gegenstand theologischen Nachdenkens – zum Thema Hoffnung findet sich überraschend wenig. Dabei ist die Erwartung besserer Zeiten das Projekt Hoffnung der Gegenwart schlechthin.

Moltmann, inzwischen 91 Jahre alt, denkt sein Lebensthema weiter. „Die Theologie der Hoffnung setzt auf eine Zukunft des gemeinsamen Lebens in Gerechtigkeit und Frieden: Diese menschheitliche Zukunft ist möglich“, sagte Moltmann unlängst in einem Vortrag. Damit aus dieser Vision Wirklichkeit wird, müssen wir das neue Paradigma erkennen – dass die menschliche Kultur und die Natur der Erde biozentrisch verbunden sind. „Bevor wir die Erde bebauen und bewahren und eine Weltverantwortung übernehmen, sorgt die Erde für uns“, so Moltmann. Nicht uns sei die Erde anvertraut, sondern wir ihr. Die Erde kann ohne Menschen leben, aber wir nicht ohne die Erde. In der Biosphäre der Erde leben wir und alle Tiere von der Intelligenz der Pflanzen und Bäume. Sie können Photosynthese, der Mensch nicht.

Jürgen Moltmann geht noch einen Schritt weiter. Er sieht Religion und Kirche in einer anderen Rolle, als die, welche ihnen bislang zugeschrieben wurde: Moderne Religionstheorien siedeln Religion meist im Unglück der Menschen an: Religion ist „der Seufzer der bedrängten Kreatur“ oder das „Opium des Volkes“, um sein Elend zu vergessen, sagte Karl Marx. Oder der Volksmund: „Not lehrt Beten.“

Dem hält Moltmann entschieden entgegen: „Nichts davon ist wahr… In Wahrheit ist Religion das Fest, in dem das Leben gefeiert wird.“ Dieses Fest des Lebens beschwingt die Seele und setzt ungeahnte Kräfte frei, denn – so Moltmann: „Wir sind für die Freude geschaffen.“ Im Lichte dieser Erkenntnis kommt der Theologe zu einem überraschenden Ergebnis: „Das Christentum ist eine einzigartige Religion der Freude, der Freude Gottes, der Freude der Menschen und der Freude der Erde.“

Unsere Gesellschaft – und auch die Politik – sind von Hoffnung als einem motivierenden Lebensprinzip nicht selten weit entfernt. Und oft bleibt auch der Impuls aus den Kirchen schwach. Wenn sich diese Kräfte doch mobilisieren ließen, dann würde sich manche Ängstlichkeit in Zuversicht verwandeln. Und Initiativen frei setzen, die das Leben heute verändern.

Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing

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